Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
(Aber überwunden hat sie Christus!)
Nur ein zarter Jüngling, fast ein Knabe
Noch, entwich der Pilgerreihe durstig,
Nahte sich der jungen Sarazenin
Flehend, forderte von ihr zu trinken.
Langsam senkte sie den Krug. Er schlürfte.
Langsam hob den Krug zu Haupt sie wieder,
Heimwärts wandelnd. Vor des Thores Wölbung
Wandte sie das Haupt mitsammt dem Kruge,
Schritte fühlend hinter ihren Sohlen:
"Pilger, hüte dich vor diesem Thore!
Denn es würde dir zum Thor des Todes!
Meine dunkeln Augen sind verderblich
Und verhaßt ist Christus in Damaskus!"
Und sie wandelt durch des Thores Wölbung,
Und sie wandelt durch die dunkeln Gassen,
Schritte fühlend hinter ihren Sohlen.
Ihre Thüre öffnet sie und schließt sie
Und empor zum innern Söller steigend
Sieht sie mit den Sinnen ihres Geistes
Einen Pilger liegen auf der Schwelle,
Auf der Schwelle vor des Hauses Pforte.
In der ersten Morgenhelle stand sie
Vor dem Pilger, heftig ihn zu schelten:
"Pilger, hebe dich von dieser Schwelle,
(Aber überwunden hat ſie Chriſtus!)
Nur ein zarter Jüngling, faſt ein Knabe
Noch, entwich der Pilgerreihe durſtig,
Nahte ſich der jungen Sarazenin
Flehend, forderte von ihr zu trinken.
Langſam ſenkte ſie den Krug. Er ſchlürfte.
Langſam hob den Krug zu Haupt ſie wieder,
Heimwärts wandelnd. Vor des Thores Wölbung
Wandte ſie das Haupt mitſammt dem Kruge,
Schritte fühlend hinter ihren Sohlen:
„Pilger, hüte dich vor dieſem Thore!
Denn es würde dir zum Thor des Todes!
Meine dunkeln Augen ſind verderblich
Und verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus!“
Und ſie wandelt durch des Thores Wölbung,
Und ſie wandelt durch die dunkeln Gaſſen,
Schritte fühlend hinter ihren Sohlen.
Ihre Thüre öffnet ſie und ſchließt ſie
Und empor zum innern Söller ſteigend
Sieht ſie mit den Sinnen ihres Geiſtes
Einen Pilger liegen auf der Schwelle,
Auf der Schwelle vor des Hauſes Pforte.
In der erſten Morgenhelle ſtand ſie
Vor dem Pilger, heftig ihn zu ſchelten:
„Pilger, hebe dich von dieſer Schwelle,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0247" n="233"/>
            <lg n="5">
              <l>(Aber überwunden hat &#x017F;ie Chri&#x017F;tus!)</l><lb/>
              <l>Nur ein zarter Jüngling, fa&#x017F;t ein Knabe</l><lb/>
              <l>Noch, entwich der Pilgerreihe dur&#x017F;tig,</l><lb/>
              <l>Nahte &#x017F;ich der jungen Sarazenin</l><lb/>
              <l>Flehend, forderte von ihr zu trinken.</l><lb/>
              <l>Lang&#x017F;am &#x017F;enkte &#x017F;ie den Krug. Er &#x017F;chlürfte.</l><lb/>
              <l>Lang&#x017F;am hob den Krug zu Haupt &#x017F;ie wieder,</l><lb/>
              <l>Heimwärts wandelnd. Vor des Thores Wölbung</l><lb/>
              <l>Wandte &#x017F;ie das Haupt mit&#x017F;ammt dem Kruge,</l><lb/>
              <l>Schritte fühlend hinter ihren Sohlen:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Pilger, hüte dich vor die&#x017F;em Thore!</l><lb/>
              <l>Denn es würde dir zum Thor des Todes!</l><lb/>
              <l>Meine dunkeln Augen &#x017F;ind verderblich</l><lb/>
              <l>Und verhaßt i&#x017F;t Chri&#x017F;tus in Damaskus!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Und &#x017F;ie wandelt durch des Thores Wölbung,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ie wandelt durch die dunkeln Ga&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Schritte fühlend hinter ihren Sohlen.</l><lb/>
              <l>Ihre Thüre öffnet &#x017F;ie und &#x017F;chließt &#x017F;ie</l><lb/>
              <l>Und empor zum innern Söller &#x017F;teigend</l><lb/>
              <l>Sieht &#x017F;ie mit den Sinnen ihres Gei&#x017F;tes</l><lb/>
              <l>Einen Pilger liegen auf der Schwelle,</l><lb/>
              <l>Auf der Schwelle vor des Hau&#x017F;es Pforte.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>In der er&#x017F;ten Morgenhelle &#x017F;tand &#x017F;ie</l><lb/>
              <l>Vor dem Pilger, heftig ihn zu &#x017F;chelten:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Pilger, hebe dich von die&#x017F;er Schwelle,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0247] (Aber überwunden hat ſie Chriſtus!) Nur ein zarter Jüngling, faſt ein Knabe Noch, entwich der Pilgerreihe durſtig, Nahte ſich der jungen Sarazenin Flehend, forderte von ihr zu trinken. Langſam ſenkte ſie den Krug. Er ſchlürfte. Langſam hob den Krug zu Haupt ſie wieder, Heimwärts wandelnd. Vor des Thores Wölbung Wandte ſie das Haupt mitſammt dem Kruge, Schritte fühlend hinter ihren Sohlen: „Pilger, hüte dich vor dieſem Thore! Denn es würde dir zum Thor des Todes! Meine dunkeln Augen ſind verderblich Und verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus!“ Und ſie wandelt durch des Thores Wölbung, Und ſie wandelt durch die dunkeln Gaſſen, Schritte fühlend hinter ihren Sohlen. Ihre Thüre öffnet ſie und ſchließt ſie Und empor zum innern Söller ſteigend Sieht ſie mit den Sinnen ihres Geiſtes Einen Pilger liegen auf der Schwelle, Auf der Schwelle vor des Hauſes Pforte. In der erſten Morgenhelle ſtand ſie Vor dem Pilger, heftig ihn zu ſchelten: „Pilger, hebe dich von dieſer Schwelle,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/247
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/247>, abgerufen am 21.11.2024.