Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Schnell flüstert's aus dem Baume jetzt: "Der Mord ist nicht vollendet! Ich bin nur leicht am Arm verletzt. Ich hatt' mich umgewendet." "Komm, Göttin", fleht er, "Waldeskind, Daß ich Vergebung finde!" Die Schultern schmiegend schlüpft geschwind Die Dryas aus der Rinde. Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar, Ein Brüten und ein Weben, Von grünem Blätterschatten war Der schlanke Wuchs umgeben. Er fing den Arm zu küssen an, Die Stelle mit dem Hiebe, Und, der er viel zu Leid gethan, Die that ihm viel zu Liebe. "In meinem Baum -- ist lauter Traum" ... Sie schlüpft zurück behende Und lispelt in den Waldesraum: "Ich weiß, wen ich dir sende!" Der Botin Biene Dienst ist schwer,
Sie muß sich redlich plagen, Honig und Wermuth hin und her, Waldaus, waldein zu tragen. Schnell flüſtert's aus dem Baume jetzt: „Der Mord iſt nicht vollendet! Ich bin nur leicht am Arm verletzt. Ich hatt' mich umgewendet.“ „Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind, Daß ich Vergebung finde!“ Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwind Die Dryas aus der Rinde. Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar, Ein Brüten und ein Weben, Von grünem Blätterſchatten war Der ſchlanke Wuchs umgeben. Er fing den Arm zu küſſen an, Die Stelle mit dem Hiebe, Und, der er viel zu Leid gethan, Die that ihm viel zu Liebe. „In meinem Baum — iſt lauter Traum“ ... Sie ſchlüpft zurück behende Und lispelt in den Waldesraum: „Ich weiß, wen ich dir ſende!“ Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer,
Sie muß ſich redlich plagen, Honig und Wermuth hin und her, Waldaus, waldein zu tragen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0034" n="20"/> <lg n="6"> <l>Schnell flüſtert's aus dem Baume jetzt:</l><lb/> <l>„Der Mord iſt nicht vollendet!</l><lb/> <l>Ich bin nur leicht am Arm verletzt.</l><lb/> <l>Ich hatt' mich umgewendet.“</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>„Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind,</l><lb/> <l>Daß ich Vergebung finde!“</l><lb/> <l>Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwind</l><lb/> <l>Die Dryas aus der Rinde.</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,</l><lb/> <l>Ein Brüten und ein Weben,</l><lb/> <l>Von grünem Blätterſchatten war</l><lb/> <l>Der ſchlanke Wuchs umgeben.</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>Er fing den Arm zu küſſen an,</l><lb/> <l>Die Stelle mit dem Hiebe,</l><lb/> <l>Und, der er viel zu Leid gethan,</l><lb/> <l>Die that ihm viel zu Liebe.</l><lb/> </lg> <lg n="10"> <l>„In meinem Baum — iſt lauter Traum“ ...</l><lb/> <l>Sie ſchlüpft zurück behende</l><lb/> <l>Und lispelt in den Waldesraum:</l><lb/> <l>„Ich weiß, wen ich dir ſende!“</l><lb/> </lg> <lg n="11"> <l>Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer,</l><lb/> <l>Sie muß ſich redlich plagen,</l><lb/> <l>Honig und Wermuth hin und her,</l><lb/> <l>Waldaus, waldein zu tragen.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0034]
Schnell flüſtert's aus dem Baume jetzt:
„Der Mord iſt nicht vollendet!
Ich bin nur leicht am Arm verletzt.
Ich hatt' mich umgewendet.“
„Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind,
Daß ich Vergebung finde!“
Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwind
Die Dryas aus der Rinde.
Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,
Ein Brüten und ein Weben,
Von grünem Blätterſchatten war
Der ſchlanke Wuchs umgeben.
Er fing den Arm zu küſſen an,
Die Stelle mit dem Hiebe,
Und, der er viel zu Leid gethan,
Die that ihm viel zu Liebe.
„In meinem Baum — iſt lauter Traum“ ...
Sie ſchlüpft zurück behende
Und lispelt in den Waldesraum:
„Ich weiß, wen ich dir ſende!“
Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer,
Sie muß ſich redlich plagen,
Honig und Wermuth hin und her,
Waldaus, waldein zu tragen.
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