Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bank des Alten.
Ich bin einmal in einem Thal gegangen,
Das fern der Welt, dem Himmel nahe war,
Durch das Gelände seiner Wiesen klangen
Die Sensen rings der zweiten Mahd im Jahr.
Ich schritt durch eines Dörfchens stille Gassen.
Kein Laut. Vor einer Hütte saß allein
Ein alter Mann, von seiner Kraft verlassen,
Und schaute feiernd auf den Firneschein.
Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,
Seh' ich den Himmel jenes Thales blaun,
Den Müden seh' ich wieder auf die Firne,
Die nahen, selig klaren Firne schaun.
S'ist nur ein Traum. Wohl ist der Greis geschieden
Aus dieser Sonne Licht, von Jahren schwer;
Er schlummert wohl in seines Grabes Frieden
Und seine Bank steht vor der Hütte leer.
Noch pulst mein Leben feurig. Wie den Andern
kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät;
Dann will ich langsam in die Berge wandern
Und suchen wo die Bank des Alten steht.

C. F. Meyer, Gedichte. 6
Die Bank des Alten.
Ich bin einmal in einem Thal gegangen,
Das fern der Welt, dem Himmel nahe war,
Durch das Gelände ſeiner Wieſen klangen
Die Senſen rings der zweiten Mahd im Jahr.
Ich ſchritt durch eines Dörfchens ſtille Gaſſen.
Kein Laut. Vor einer Hütte ſaß allein
Ein alter Mann, von ſeiner Kraft verlaſſen,
Und ſchaute feiernd auf den Firneſchein.
Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,
Seh' ich den Himmel jenes Thales blaun,
Den Müden ſeh' ich wieder auf die Firne,
Die nahen, ſelig klaren Firne ſchaun.
S'iſt nur ein Traum. Wohl iſt der Greis geſchieden
Aus dieſer Sonne Licht, von Jahren ſchwer;
Er ſchlummert wohl in ſeines Grabes Frieden
Und ſeine Bank ſteht vor der Hütte leer.
Noch pulſt mein Leben feurig. Wie den Andern
kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät;
Dann will ich langſam in die Berge wandern
Und ſuchen wo die Bank des Alten ſteht.

C. F. Meyer, Gedichte. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0095" n="81"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Die Bank des Alten.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Ich bin einmal in einem Thal gegangen,</l><lb/>
              <l>Das fern der Welt, dem Himmel nahe war,</l><lb/>
              <l>Durch das Gelände &#x017F;einer Wie&#x017F;en klangen</l><lb/>
              <l>Die Sen&#x017F;en rings der zweiten Mahd im Jahr.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Ich &#x017F;chritt durch eines Dörfchens &#x017F;tille Ga&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
              <l>Kein Laut. Vor einer Hütte &#x017F;aß allein</l><lb/>
              <l>Ein alter Mann, von &#x017F;einer Kraft verla&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chaute feiernd auf den Firne&#x017F;chein.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,</l><lb/>
              <l>Seh' ich den Himmel jenes Thales blaun,</l><lb/>
              <l>Den Müden &#x017F;eh' ich wieder auf die Firne,</l><lb/>
              <l>Die nahen, &#x017F;elig klaren Firne &#x017F;chaun.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>S'i&#x017F;t nur ein Traum. Wohl i&#x017F;t der Greis ge&#x017F;chieden</l><lb/>
              <l>Aus die&#x017F;er Sonne Licht, von Jahren &#x017F;chwer;</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;chlummert wohl in &#x017F;eines Grabes Frieden</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;eine Bank &#x017F;teht vor der Hütte leer.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Noch pul&#x017F;t mein Leben feurig. Wie den Andern</l><lb/>
              <l>kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät;</l><lb/>
              <l>Dann will ich lang&#x017F;am in die Berge wandern</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;uchen wo die Bank des Alten &#x017F;teht.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">C. F. <hi rendition="#g">Meyer</hi>, Gedichte. 6<lb/></fw>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0095] Die Bank des Alten. Ich bin einmal in einem Thal gegangen, Das fern der Welt, dem Himmel nahe war, Durch das Gelände ſeiner Wieſen klangen Die Senſen rings der zweiten Mahd im Jahr. Ich ſchritt durch eines Dörfchens ſtille Gaſſen. Kein Laut. Vor einer Hütte ſaß allein Ein alter Mann, von ſeiner Kraft verlaſſen, Und ſchaute feiernd auf den Firneſchein. Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne, Seh' ich den Himmel jenes Thales blaun, Den Müden ſeh' ich wieder auf die Firne, Die nahen, ſelig klaren Firne ſchaun. S'iſt nur ein Traum. Wohl iſt der Greis geſchieden Aus dieſer Sonne Licht, von Jahren ſchwer; Er ſchlummert wohl in ſeines Grabes Frieden Und ſeine Bank ſteht vor der Hütte leer. Noch pulſt mein Leben feurig. Wie den Andern kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät; Dann will ich langſam in die Berge wandern Und ſuchen wo die Bank des Alten ſteht. C. F. Meyer, Gedichte. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/95
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/95>, abgerufen am 24.11.2024.