das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet wurde. Und doch steht, wie Ihr seht, noch Albis und Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat noch ihren alten Weg. Hütet also Euern Geist und Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung."
Der Alte senkte den Kopf, murmelte aber zwischen den Zähnen: "Daß es so lange nicht eingetroffen ist, beweist mir gerade, daß es jetzt eintrifft."
Kuri Lehmann, der hart neben Waser stehend, sein langes Ruder führte, streifte jetzt diesen mit einem scharfen Blicke aus seinen wasserhellen, von niedrigen, schwarzbuschigen Brauen beschatteten Augen. Diese durch¬ dringenden, sonst kalt verständigen Augen brannten in frechem Feuer.
"Warum, Herr Amtschreiber, schicken die Gnädigen in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und Jesuiten im Veltlin? Ist Ihnen das Herz in die Hosen gefallen?" sagte er.
"Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!" rief erschrocken der alte Lehmann, der am Steuer diese respektlose Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im Munde zerschlagen. Aber er faßte sich und fügte mit ungewohnter Süße hinzu: "Die Herren in Zürich wer¬ den in ihrer Weisheit das Rechte schon treffen".
das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet wurde. Und doch ſteht, wie Ihr ſeht, noch Albis und Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat noch ihren alten Weg. Hütet alſo Euern Geiſt und Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung.“
Der Alte ſenkte den Kopf, murmelte aber zwiſchen den Zähnen: „Daß es ſo lange nicht eingetroffen iſt, beweiſt mir gerade, daß es jetzt eintrifft.“
Kuri Lehmann, der hart neben Waſer ſtehend, ſein langes Ruder führte, ſtreifte jetzt dieſen mit einem ſcharfen Blicke aus ſeinen waſſerhellen, von niedrigen, ſchwarzbuſchigen Brauen beſchatteten Augen. Dieſe durch¬ dringenden, ſonſt kalt verſtändigen Augen brannten in frechem Feuer.
„Warum, Herr Amtſchreiber, ſchicken die Gnädigen in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und Jeſuiten im Veltlin? Iſt Ihnen das Herz in die Hoſen gefallen?“ ſagte er.
„Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!“ rief erſchrocken der alte Lehmann, der am Steuer dieſe reſpektloſe Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im Munde zerſchlagen. Aber er faßte ſich und fügte mit ungewohnter Süße hinzu: „Die Herren in Zürich wer¬ den in ihrer Weisheit das Rechte ſchon treffen“.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0111"n="101"/>
das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet<lb/>
wurde. Und doch ſteht, wie Ihr ſeht, noch Albis und<lb/>
Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat<lb/>
noch ihren alten Weg. Hütet alſo Euern Geiſt und<lb/>
Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung.“</p><lb/><p>Der Alte ſenkte den Kopf, murmelte aber zwiſchen<lb/>
den Zähnen: „Daß es ſo lange nicht eingetroffen iſt,<lb/>
beweiſt mir gerade, daß es jetzt eintrifft.“</p><lb/><p>Kuri Lehmann, der hart neben Waſer ſtehend, ſein<lb/>
langes Ruder führte, ſtreifte jetzt dieſen mit einem<lb/>ſcharfen Blicke aus ſeinen waſſerhellen, von niedrigen,<lb/>ſchwarzbuſchigen Brauen beſchatteten Augen. Dieſe durch¬<lb/>
dringenden, ſonſt kalt verſtändigen Augen brannten in<lb/>
frechem Feuer.</p><lb/><p>„Warum, Herr Amtſchreiber, ſchicken die Gnädigen<lb/>
in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und<lb/>
Jeſuiten im Veltlin? Iſt Ihnen das Herz in die Hoſen<lb/>
gefallen?“ſagte er.</p><lb/><p>„Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!“ rief<lb/>
erſchrocken der alte Lehmann, der am Steuer dieſe<lb/>
reſpektloſe Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten<lb/>
Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im<lb/>
Munde zerſchlagen. Aber er faßte ſich und fügte mit<lb/>
ungewohnter Süße hinzu: „Die Herren in Zürich wer¬<lb/>
den in ihrer Weisheit das Rechte ſchon treffen“.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[101/0111]
das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet
wurde. Und doch ſteht, wie Ihr ſeht, noch Albis und
Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat
noch ihren alten Weg. Hütet alſo Euern Geiſt und
Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung.“
Der Alte ſenkte den Kopf, murmelte aber zwiſchen
den Zähnen: „Daß es ſo lange nicht eingetroffen iſt,
beweiſt mir gerade, daß es jetzt eintrifft.“
Kuri Lehmann, der hart neben Waſer ſtehend, ſein
langes Ruder führte, ſtreifte jetzt dieſen mit einem
ſcharfen Blicke aus ſeinen waſſerhellen, von niedrigen,
ſchwarzbuſchigen Brauen beſchatteten Augen. Dieſe durch¬
dringenden, ſonſt kalt verſtändigen Augen brannten in
frechem Feuer.
„Warum, Herr Amtſchreiber, ſchicken die Gnädigen
in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und
Jeſuiten im Veltlin? Iſt Ihnen das Herz in die Hoſen
gefallen?“ ſagte er.
„Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!“ rief
erſchrocken der alte Lehmann, der am Steuer dieſe
reſpektloſe Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten
Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im
Munde zerſchlagen. Aber er faßte ſich und fügte mit
ungewohnter Süße hinzu: „Die Herren in Zürich wer¬
den in ihrer Weisheit das Rechte ſchon treffen“.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/111>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.