Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

noch jugendweichen Zügen. Aber nicht klösterlich kalt
war ihr Ausdruck, sondern von kräftigem Leben durch¬
glüht. Sie flehte nicht, rang nicht um Erhörung. Sie
brachte, so schien es, ein tägliches Opfer, ein gewohn¬
tes Gelübde dar, das ihre Seele erfüllte und dem ihr
Leben geweiht war.

In steigender Neugier war der junge Cavalier
immer näher herangetreten, da hatte sie sich erhoben
und war seinem unbescheidenen Auge unverschleiert mit
einem stolzen fremden Blicke begegnet. Dann hatte sie
die Kirche verlassen. Zwiefach enttäuscht, -- denn in der
Ferne war ihm die Dame jünger erschienen und auf
ihre einfache Hoheit war er nach seinen venetianischen
Erfahrungen und Gewohnheiten nicht gefaßt, -- hatte er
noch einen Blick auf die verschiedenen Kirchenbilder ge¬
worfen und ein Wort mit dem Küster gesprochen.

Als Fausch, das Fläschchen auf einem silbernen
Teller mit einiger Feierlichkeit vor sich hertragend, in
der Hinterpforte seines Schenkraumes erschien, hatte sich
der Gast schon in nachlässigster Haltung auf einer Otto¬
mane nächst der Thüre niedergelassen. Er zog jetzt
seine Füße von dem Marmortischchen, auf das er sie
gelegt hatte, der Bäcker aber holte ein fein geschliffenes
kleines Kelchglas herbei, stellte es neben die Flasche und
begann nach seiner Gewohnheit selbst das Gespräch.

noch jugendweichen Zügen. Aber nicht klöſterlich kalt
war ihr Ausdruck, ſondern von kräftigem Leben durch¬
glüht. Sie flehte nicht, rang nicht um Erhörung. Sie
brachte, ſo ſchien es, ein tägliches Opfer, ein gewohn¬
tes Gelübde dar, das ihre Seele erfüllte und dem ihr
Leben geweiht war.

In ſteigender Neugier war der junge Cavalier
immer näher herangetreten, da hatte ſie ſich erhoben
und war ſeinem unbeſcheidenen Auge unverſchleiert mit
einem ſtolzen fremden Blicke begegnet. Dann hatte ſie
die Kirche verlaſſen. Zwiefach enttäuſcht, — denn in der
Ferne war ihm die Dame jünger erſchienen und auf
ihre einfache Hoheit war er nach ſeinen venetianiſchen
Erfahrungen und Gewohnheiten nicht gefaßt, — hatte er
noch einen Blick auf die verſchiedenen Kirchenbilder ge¬
worfen und ein Wort mit dem Küſter geſprochen.

Als Fauſch, das Fläſchchen auf einem ſilbernen
Teller mit einiger Feierlichkeit vor ſich hertragend, in
der Hinterpforte ſeines Schenkraumes erſchien, hatte ſich
der Gaſt ſchon in nachläſſigſter Haltung auf einer Otto¬
mane nächſt der Thüre niedergelaſſen. Er zog jetzt
ſeine Füße von dem Marmortiſchchen, auf das er ſie
gelegt hatte, der Bäcker aber holte ein fein geſchliffenes
kleines Kelchglas herbei, ſtellte es neben die Flaſche und
begann nach ſeiner Gewohnheit ſelbſt das Geſpräch.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0131" n="121"/>
noch jugendweichen Zügen. Aber nicht klö&#x017F;terlich kalt<lb/>
war ihr Ausdruck, &#x017F;ondern von kräftigem Leben durch¬<lb/>
glüht. Sie flehte nicht, rang nicht um Erhörung. Sie<lb/>
brachte, &#x017F;o &#x017F;chien es, ein tägliches Opfer, ein gewohn¬<lb/>
tes Gelübde dar, das ihre Seele erfüllte und dem ihr<lb/>
Leben geweiht war.</p><lb/>
          <p>In &#x017F;teigender Neugier war der junge Cavalier<lb/>
immer näher herangetreten, da hatte &#x017F;ie &#x017F;ich erhoben<lb/>
und war &#x017F;einem unbe&#x017F;cheidenen Auge unver&#x017F;chleiert mit<lb/>
einem &#x017F;tolzen fremden Blicke begegnet. Dann hatte &#x017F;ie<lb/>
die Kirche verla&#x017F;&#x017F;en. Zwiefach enttäu&#x017F;cht, &#x2014; denn in der<lb/>
Ferne war ihm die Dame jünger er&#x017F;chienen und auf<lb/>
ihre einfache Hoheit war er nach &#x017F;einen venetiani&#x017F;chen<lb/>
Erfahrungen und Gewohnheiten nicht gefaßt, &#x2014; hatte er<lb/>
noch einen Blick auf die ver&#x017F;chiedenen Kirchenbilder ge¬<lb/>
worfen und ein Wort mit dem Kü&#x017F;ter ge&#x017F;prochen.</p><lb/>
          <p>Als Fau&#x017F;ch, das Flä&#x017F;chchen auf einem &#x017F;ilbernen<lb/>
Teller mit einiger Feierlichkeit vor &#x017F;ich hertragend, in<lb/>
der Hinterpforte &#x017F;eines Schenkraumes er&#x017F;chien, hatte &#x017F;ich<lb/>
der Ga&#x017F;t &#x017F;chon in nachlä&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;ter Haltung auf einer Otto¬<lb/>
mane näch&#x017F;t der Thüre niedergela&#x017F;&#x017F;en. Er zog jetzt<lb/>
&#x017F;eine Füße von dem Marmorti&#x017F;chchen, auf das er &#x017F;ie<lb/>
gelegt hatte, der Bäcker aber holte ein fein ge&#x017F;chliffenes<lb/>
kleines Kelchglas herbei, &#x017F;tellte es neben die Fla&#x017F;che und<lb/>
begann nach &#x017F;einer Gewohnheit &#x017F;elb&#x017F;t das Ge&#x017F;präch.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0131] noch jugendweichen Zügen. Aber nicht klöſterlich kalt war ihr Ausdruck, ſondern von kräftigem Leben durch¬ glüht. Sie flehte nicht, rang nicht um Erhörung. Sie brachte, ſo ſchien es, ein tägliches Opfer, ein gewohn¬ tes Gelübde dar, das ihre Seele erfüllte und dem ihr Leben geweiht war. In ſteigender Neugier war der junge Cavalier immer näher herangetreten, da hatte ſie ſich erhoben und war ſeinem unbeſcheidenen Auge unverſchleiert mit einem ſtolzen fremden Blicke begegnet. Dann hatte ſie die Kirche verlaſſen. Zwiefach enttäuſcht, — denn in der Ferne war ihm die Dame jünger erſchienen und auf ihre einfache Hoheit war er nach ſeinen venetianiſchen Erfahrungen und Gewohnheiten nicht gefaßt, — hatte er noch einen Blick auf die verſchiedenen Kirchenbilder ge¬ worfen und ein Wort mit dem Küſter geſprochen. Als Fauſch, das Fläſchchen auf einem ſilbernen Teller mit einiger Feierlichkeit vor ſich hertragend, in der Hinterpforte ſeines Schenkraumes erſchien, hatte ſich der Gaſt ſchon in nachläſſigſter Haltung auf einer Otto¬ mane nächſt der Thüre niedergelaſſen. Er zog jetzt ſeine Füße von dem Marmortiſchchen, auf das er ſie gelegt hatte, der Bäcker aber holte ein fein geſchliffenes kleines Kelchglas herbei, ſtellte es neben die Flaſche und begann nach ſeiner Gewohnheit ſelbſt das Geſpräch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/131
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/131>, abgerufen am 30.11.2024.