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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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sie der die Stadt nördlich begrenzenden stillen Meer¬
fläche zu.

"Ihr fochtet in Deutschland, Hauptmann, bevor
Ihr der Republik von San Marco Eure Dienste an¬
geboten habt?" begann der ungeduldige Wertmüller das
Gespräch, da sein Gefährte eigenen Gedanken nachzu¬
hangen schien.

"Unter Mansfeld. Dann folgte ich der schwedi¬
schen Fahne bis zu dem unseligen Tage von Lützen,"
war die zerstreute Antwort.

"Unselig? Es war eine entschiedene Victorie!"
meinte der junge Offizier.

"Wäre es doch lieber eine Niederlage gewesen und
hätten zwei strahlende Augen sich nicht geschlossen!" sagte
der Bündner. "Durch den Tod eines Mannes ward
die Weltlage eine andere. Unter Gustav Adolf war
der Krieg kein muthwilliges Blutvergießen: er führte
ihn für seinen großen Gedanken, zum Schutze der evan¬
gelischen Freiheit ein starkes nordisches Reich zu grün¬
den, und ein solches Reich wäre der Halt und Hort
aller kleinen protestantischen Gemeinwesen, auch meines
Bündens, geworden. Dies ersehnte Ziel ist uns mit
dem großen Todten entrückt und der seiner Seele be¬
raubte Krieg entartet zur reißenden Bestie. Was bleibt
übrig? Zweckloses Morden und habgierige Theilung der

ſie der die Stadt nördlich begrenzenden ſtillen Meer¬
fläche zu.

„Ihr fochtet in Deutſchland, Hauptmann, bevor
Ihr der Republik von San Marco Eure Dienſte an¬
geboten habt?“ begann der ungeduldige Wertmüller das
Geſpräch, da ſein Gefährte eigenen Gedanken nachzu¬
hangen ſchien.

„Unter Mansfeld. Dann folgte ich der ſchwedi¬
ſchen Fahne bis zu dem unſeligen Tage von Lützen,“
war die zerſtreute Antwort.

„Unſelig? Es war eine entſchiedene Victorie!“
meinte der junge Offizier.

„Wäre es doch lieber eine Niederlage geweſen und
hätten zwei ſtrahlende Augen ſich nicht geſchloſſen!“ ſagte
der Bündner. „Durch den Tod eines Mannes ward
die Weltlage eine andere. Unter Guſtav Adolf war
der Krieg kein muthwilliges Blutvergießen: er führte
ihn für ſeinen großen Gedanken, zum Schutze der evan¬
geliſchen Freiheit ein ſtarkes nordiſches Reich zu grün¬
den, und ein ſolches Reich wäre der Halt und Hort
aller kleinen proteſtantiſchen Gemeinweſen, auch meines
Bündens, geworden. Dies erſehnte Ziel iſt uns mit
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[152/0162] ſie der die Stadt nördlich begrenzenden ſtillen Meer¬ fläche zu. „Ihr fochtet in Deutſchland, Hauptmann, bevor Ihr der Republik von San Marco Eure Dienſte an¬ geboten habt?“ begann der ungeduldige Wertmüller das Geſpräch, da ſein Gefährte eigenen Gedanken nachzu¬ hangen ſchien. „Unter Mansfeld. Dann folgte ich der ſchwedi¬ ſchen Fahne bis zu dem unſeligen Tage von Lützen,“ war die zerſtreute Antwort. „Unſelig? Es war eine entſchiedene Victorie!“ meinte der junge Offizier. „Wäre es doch lieber eine Niederlage geweſen und hätten zwei ſtrahlende Augen ſich nicht geſchloſſen!“ ſagte der Bündner. „Durch den Tod eines Mannes ward die Weltlage eine andere. Unter Guſtav Adolf war der Krieg kein muthwilliges Blutvergießen: er führte ihn für ſeinen großen Gedanken, zum Schutze der evan¬ geliſchen Freiheit ein ſtarkes nordiſches Reich zu grün¬ den, und ein ſolches Reich wäre der Halt und Hort aller kleinen proteſtantiſchen Gemeinweſen, auch meines Bündens, geworden. Dies erſehnte Ziel iſt uns mit dem großen Todten entrückt und der ſeiner Seele be¬ raubte Krieg entartet zur reißenden Beſtie. Was bleibt übrig? Zweckloſes Morden und habgierige Theilung der

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/162>, abgerufen am 27.11.2024.