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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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lassen habe, keiner anderen Weisung Folge zu leisten,
als seiner eigenen mündlichen.

Der Herzog trat auf den schmalen Balkon und
blickte, noch unter dem Eindrucke der seltsamen Vorgänge
des Abends, in die ruhige Mondnacht hinaus. Er
sah, wie Jenatsch eine Gondel bestieg, wie sie abstieß
und mit schnellen leisen Ruderschlägen der Wendung
des Canals zuglitt. -- Jetzt hielt sie wie unschlüssig
still, -- jetzt strebte sie eilig der nächsten Landungstreppe
zu. Was war das? Aus einer Seitenlagune und
gegenüber aus dem Schatten der Paläste schossen plötz¬
lich vier schmale, offene Fahrzeuge hervor und darin
blitzte es wie Waffen. Schon war die Gondel von
allen Seiten umringt. Der Herzog beugte sich gespannt
lauschend über die Brüstung. Er glaubte einen Augen¬
blick im unsichern Mondlichte eine große Gestalt mit
gezogenem Degen auf dem Vordertheile des umzingelten
Nachens zu erblicken, sie schien ans Ufer springen zu
wollen, -- da verwirrte sich die Gruppe zum undeut¬
lichen Handgemenge. Leises Waffengeräusch erreichte
das Ohr des Herzogs und jetzt, laut und scharf durch
die nächtliche Stille schmetternd, ein Ruf! Deutlich
erscholl es und dringend:

"Herzog Rohan, befreie Deinen Knecht!"


laſſen habe, keiner anderen Weiſung Folge zu leiſten,
als ſeiner eigenen mündlichen.

Der Herzog trat auf den ſchmalen Balkon und
blickte, noch unter dem Eindrucke der ſeltſamen Vorgänge
des Abends, in die ruhige Mondnacht hinaus. Er
ſah, wie Jenatſch eine Gondel beſtieg, wie ſie abſtieß
und mit ſchnellen leiſen Ruderſchlägen der Wendung
des Canals zuglitt. — Jetzt hielt ſie wie unſchlüſſig
ſtill, — jetzt ſtrebte ſie eilig der nächſten Landungstreppe
zu. Was war das? Aus einer Seitenlagune und
gegenüber aus dem Schatten der Paläſte ſchoſſen plötz¬
lich vier ſchmale, offene Fahrzeuge hervor und darin
blitzte es wie Waffen. Schon war die Gondel von
allen Seiten umringt. Der Herzog beugte ſich geſpannt
lauſchend über die Brüſtung. Er glaubte einen Augen¬
blick im unſichern Mondlichte eine große Geſtalt mit
gezogenem Degen auf dem Vordertheile des umzingelten
Nachens zu erblicken, ſie ſchien ans Ufer ſpringen zu
wollen, — da verwirrte ſich die Gruppe zum undeut¬
lichen Handgemenge. Leiſes Waffengeräuſch erreichte
das Ohr des Herzogs und jetzt, laut und ſcharf durch
die nächtliche Stille ſchmetternd, ein Ruf! Deutlich
erſcholl es und dringend:

„Herzog Rohan, befreie Deinen Knecht!“


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[181/0191] laſſen habe, keiner anderen Weiſung Folge zu leiſten, als ſeiner eigenen mündlichen. Der Herzog trat auf den ſchmalen Balkon und blickte, noch unter dem Eindrucke der ſeltſamen Vorgänge des Abends, in die ruhige Mondnacht hinaus. Er ſah, wie Jenatſch eine Gondel beſtieg, wie ſie abſtieß und mit ſchnellen leiſen Ruderſchlägen der Wendung des Canals zuglitt. — Jetzt hielt ſie wie unſchlüſſig ſtill, — jetzt ſtrebte ſie eilig der nächſten Landungstreppe zu. Was war das? Aus einer Seitenlagune und gegenüber aus dem Schatten der Paläſte ſchoſſen plötz¬ lich vier ſchmale, offene Fahrzeuge hervor und darin blitzte es wie Waffen. Schon war die Gondel von allen Seiten umringt. Der Herzog beugte ſich geſpannt lauſchend über die Brüſtung. Er glaubte einen Augen¬ blick im unſichern Mondlichte eine große Geſtalt mit gezogenem Degen auf dem Vordertheile des umzingelten Nachens zu erblicken, ſie ſchien ans Ufer ſpringen zu wollen, — da verwirrte ſich die Gruppe zum undeut¬ lichen Handgemenge. Leiſes Waffengeräuſch erreichte das Ohr des Herzogs und jetzt, laut und ſcharf durch die nächtliche Stille ſchmetternd, ein Ruf! Deutlich erſcholl es und dringend: „Herzog Rohan, befreie Deinen Knecht!“

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/191>, abgerufen am 24.11.2024.