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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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tritt mit laut klopfendem Herzen angesehen. Konnte sie
Georg retten? Wollte, durfte sie es? . . Hinter ihr
stand Wertmüller, dessen angriffslustige Ungeduld sie
fühlte, und den sie leise den Hahn seines Pistols spannen
hörte. Lucretia erhob sich und schritt, von einer un¬
widerstehlichen Macht gezogen, langsam vor. Bei des
Spaniers letzten Worten stand sie zwischen ihm und
dem an einen steinernen Stützpfeiler der Laube ge¬
schnürten Gefangenen. In diesem Augenblicke flog eine
Handvoll Koth und Steine von einer lachenden Kropf¬
gestalt geworfen an die blutende Stirne des Gefesselten,
aber seine Miene blieb stolz und ruhig, nur seine Lippen
bewegten sich flüsternd: "Lucretia, deine Rache vollzieht
sich!" klang es in romanischen Lauten, ohne daß sein
Blick sich nach ihr gewendet hätte.

"Sennor," redete die Bündnerin den spanischen
Hauptmann mit fester Stimme an, "ich bin Lucretia,
die Tochter jenes Planta, den Georg Jenatsch erschla¬
gen hat. Ich habe seit dem Tode meines Vaters keinen
liebern Gedanken gehabt als den der Rache; aber in
diesem Manne hier erkenne ich den Mörder meines
Vaters nicht."

Der Spanier richtete seinen bösen Blick erst fra¬
gend und dann höhnisch auf sie, aber Lucretia beachtete
ihn nicht. Schon hielt sie ihren kleinen Reisedolch in

tritt mit laut klopfendem Herzen angeſehen. Konnte ſie
Georg retten? Wollte, durfte ſie es? . . Hinter ihr
ſtand Wertmüller, deſſen angriffsluſtige Ungeduld ſie
fühlte, und den ſie leiſe den Hahn ſeines Piſtols ſpannen
hörte. Lucretia erhob ſich und ſchritt, von einer un¬
widerſtehlichen Macht gezogen, langſam vor. Bei des
Spaniers letzten Worten ſtand ſie zwiſchen ihm und
dem an einen ſteinernen Stützpfeiler der Laube ge¬
ſchnürten Gefangenen. In dieſem Augenblicke flog eine
Handvoll Koth und Steine von einer lachenden Kropf¬
geſtalt geworfen an die blutende Stirne des Gefeſſelten,
aber ſeine Miene blieb ſtolz und ruhig, nur ſeine Lippen
bewegten ſich flüſternd: „Lucretia, deine Rache vollzieht
ſich!“ klang es in romaniſchen Lauten, ohne daß ſein
Blick ſich nach ihr gewendet hätte.

„Sennor,“ redete die Bündnerin den ſpaniſchen
Hauptmann mit feſter Stimme an, „ich bin Lucretia,
die Tochter jenes Planta, den Georg Jenatſch erſchla¬
gen hat. Ich habe ſeit dem Tode meines Vaters keinen
liebern Gedanken gehabt als den der Rache; aber in
dieſem Manne hier erkenne ich den Mörder meines
Vaters nicht.“

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gend und dann höhniſch auf ſie, aber Lucretia beachtete
ihn nicht. Schon hielt ſie ihren kleinen Reiſedolch in

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[222/0232] tritt mit laut klopfendem Herzen angeſehen. Konnte ſie Georg retten? Wollte, durfte ſie es? . . Hinter ihr ſtand Wertmüller, deſſen angriffsluſtige Ungeduld ſie fühlte, und den ſie leiſe den Hahn ſeines Piſtols ſpannen hörte. Lucretia erhob ſich und ſchritt, von einer un¬ widerſtehlichen Macht gezogen, langſam vor. Bei des Spaniers letzten Worten ſtand ſie zwiſchen ihm und dem an einen ſteinernen Stützpfeiler der Laube ge¬ ſchnürten Gefangenen. In dieſem Augenblicke flog eine Handvoll Koth und Steine von einer lachenden Kropf¬ geſtalt geworfen an die blutende Stirne des Gefeſſelten, aber ſeine Miene blieb ſtolz und ruhig, nur ſeine Lippen bewegten ſich flüſternd: „Lucretia, deine Rache vollzieht ſich!“ klang es in romaniſchen Lauten, ohne daß ſein Blick ſich nach ihr gewendet hätte. „Sennor,“ redete die Bündnerin den ſpaniſchen Hauptmann mit feſter Stimme an, „ich bin Lucretia, die Tochter jenes Planta, den Georg Jenatſch erſchla¬ gen hat. Ich habe ſeit dem Tode meines Vaters keinen liebern Gedanken gehabt als den der Rache; aber in dieſem Manne hier erkenne ich den Mörder meines Vaters nicht.“ Der Spanier richtete ſeinen böſen Blick erſt fra¬ gend und dann höhniſch auf ſie, aber Lucretia beachtete ihn nicht. Schon hielt ſie ihren kleinen Reiſedolch in

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/232>, abgerufen am 27.11.2024.