war. Doch unglaublich! er selber hatte sich ja ver¬ blenden lassen durch ein Gefühl bewundernder Liebe zu diesem edlen Menschenbilde! Er hatte geglaubt, daß der Werth reiner Gesinnung, der ihn berückt hatte, auch in der Rechnung des Kardinals eine Zahl sei . . . Ja wohl hatte Richelieu mit dieser Zahl gerechnet, -- wie der schlaue Fischer auf seinen Köder zählt -- und Jenatsch selbst, -- doch nicht allein er -- Verzweiflung ergriff ihn -- sein Vaterland war ein Opfer dieses Betruges.
Vielleicht war noch Rettung möglich! Weg jetzt mit jedem hemmenden Bedenken, mit allen Banden der Dankbarkeit, mit allen Berückungen der Liebe, mit jeder Eigensucht eines rein gehaltenen Charakters! Hinunter mit der Vergangenheit! Weg die Fesseln ihrer liebge¬ wordenen Ueberzeugungen und Vorurtheile! Gelöst werde jeder Zusammenhang des Dankes und der Treue! --
Und er forderte den großen Cardinal zum Zwei¬ kampf ein die Schranken seines Berglandes, Mann gegen Mann, List gegen List, Frevel gegen Frevel.
Und sein Herz brannte in wilder Freude, weil in Bünden Einer war, der sich der schlauen Eminenz ge¬ wachsen fühlte.
So durchjagte Jenatsch das Reich der Möglich¬ keiten mit rastlosen Gedanken. Er achtete des Weges
war. Doch unglaublich! er ſelber hatte ſich ja ver¬ blenden laſſen durch ein Gefühl bewundernder Liebe zu dieſem edlen Menſchenbilde! Er hatte geglaubt, daß der Werth reiner Geſinnung, der ihn berückt hatte, auch in der Rechnung des Kardinals eine Zahl ſei . . . Ja wohl hatte Richelieu mit dieſer Zahl gerechnet, — wie der ſchlaue Fiſcher auf ſeinen Köder zählt — und Jenatſch ſelbſt, — doch nicht allein er — Verzweiflung ergriff ihn — ſein Vaterland war ein Opfer dieſes Betruges.
Vielleicht war noch Rettung möglich! Weg jetzt mit jedem hemmenden Bedenken, mit allen Banden der Dankbarkeit, mit allen Berückungen der Liebe, mit jeder Eigenſucht eines rein gehaltenen Charakters! Hinunter mit der Vergangenheit! Weg die Feſſeln ihrer liebge¬ wordenen Ueberzeugungen und Vorurtheile! Gelöſt werde jeder Zuſammenhang des Dankes und der Treue! —
Und er forderte den großen Cardinal zum Zwei¬ kampf ein die Schranken ſeines Berglandes, Mann gegen Mann, Liſt gegen Liſt, Frevel gegen Frevel.
Und ſein Herz brannte in wilder Freude, weil in Bünden Einer war, der ſich der ſchlauen Eminenz ge¬ wachſen fühlte.
So durchjagte Jenatſch das Reich der Möglich¬ keiten mit raſtloſen Gedanken. Er achtete des Weges
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war. Doch unglaublich! er ſelber hatte ſich ja ver¬
blenden laſſen durch ein Gefühl bewundernder Liebe
zu dieſem edlen Menſchenbilde! Er hatte geglaubt, daß
der Werth reiner Geſinnung, der ihn berückt hatte, auch
in der Rechnung des Kardinals eine Zahl ſei . . . Ja
wohl hatte Richelieu mit dieſer Zahl gerechnet, — wie
der ſchlaue Fiſcher auf ſeinen Köder zählt — und Jenatſch
ſelbſt, — doch nicht allein er — Verzweiflung ergriff
ihn — ſein Vaterland war ein Opfer dieſes Betruges.
Vielleicht war noch Rettung möglich! Weg jetzt
mit jedem hemmenden Bedenken, mit allen Banden der
Dankbarkeit, mit allen Berückungen der Liebe, mit jeder
Eigenſucht eines rein gehaltenen Charakters! Hinunter
mit der Vergangenheit! Weg die Feſſeln ihrer liebge¬
wordenen Ueberzeugungen und Vorurtheile! Gelöſt werde
jeder Zuſammenhang des Dankes und der Treue! —
Und er forderte den großen Cardinal zum Zwei¬
kampf ein die Schranken ſeines Berglandes, Mann gegen
Mann, Liſt gegen Liſt, Frevel gegen Frevel.
Und ſein Herz brannte in wilder Freude, weil in
Bünden Einer war, der ſich der ſchlauen Eminenz ge¬
wachſen fühlte.
So durchjagte Jenatſch das Reich der Möglich¬
keiten mit raſtloſen Gedanken. Er achtete des Weges
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/281>, abgerufen am 22.11.2024.
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