Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Serbellonis Auftrag betrauten Pancraz jetzt unmöglich
folgen. Er mußte als verderblicher Dämon unter der
Maske der Treue neben dem Herzog bleiben, als arg¬
wöhnischer Wächter jede seiner Bewegungen beobachten
und um jeden Preis verhindern, daß der ermattete
Kranke seinen Feldherrnstab nicht am Ende doch in die
Hände Richelieus niederlege.

Wer aber konnte an seiner Stelle mit Serbelloni
unterhandeln? Allerdings nur einer, dem er traute wie
sich selbst, aber dieser Mann war nicht vorhanden. --
Noch einmal blickte er nach den Fenstern von Riedberg
hinüber. Ein schneller Gedanke durchfuhr ihn und
stand nach einem Augenblicke der Ueberlegung als klarer
Entschluß in ihm fest.

Mit raschen Schritten eilte er nach Thusis zurück.
Vor der Herberge stand ein Haufen Marktleute, schweig¬
sam und in gedrückter Stimmung, denn sie hatten auf
ihn und einen günstigen Bescheid vom Herzoge lange
gewartet. Der alte Lugnetzer trat ihm aus der im
Dunkel zusammengedrängten Gruppe entgegen mit der
Frage auf den Lippen, die ihrer aller Gemüth beun¬
ruhigte.

Aber Jenatsch ließ ihn nicht zu Worte kommen.

"Hört an, liebe Landsleute, und bewahrt es in
einem feinen Herzen," rief er mit eindringlicher aber

Serbellonis Auftrag betrauten Pancraz jetzt unmöglich
folgen. Er mußte als verderblicher Dämon unter der
Maske der Treue neben dem Herzog bleiben, als arg¬
wöhniſcher Wächter jede ſeiner Bewegungen beobachten
und um jeden Preis verhindern, daß der ermattete
Kranke ſeinen Feldherrnſtab nicht am Ende doch in die
Hände Richelieus niederlege.

Wer aber konnte an ſeiner Stelle mit Serbelloni
unterhandeln? Allerdings nur einer, dem er traute wie
ſich ſelbſt, aber dieſer Mann war nicht vorhanden. —
Noch einmal blickte er nach den Fenſtern von Riedberg
hinüber. Ein ſchneller Gedanke durchfuhr ihn und
ſtand nach einem Augenblicke der Ueberlegung als klarer
Entſchluß in ihm feſt.

Mit raſchen Schritten eilte er nach Thuſis zurück.
Vor der Herberge ſtand ein Haufen Marktleute, ſchweig¬
ſam und in gedrückter Stimmung, denn ſie hatten auf
ihn und einen günſtigen Beſcheid vom Herzoge lange
gewartet. Der alte Lugnetzer trat ihm aus der im
Dunkel zuſammengedrängten Gruppe entgegen mit der
Frage auf den Lippen, die ihrer aller Gemüth beun¬
ruhigte.

Aber Jenatſch ließ ihn nicht zu Worte kommen.

„Hört an, liebe Landsleute, und bewahrt es in
einem feinen Herzen,“ rief er mit eindringlicher aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0287" n="277"/>
Serbellonis Auftrag betrauten Pancraz jetzt unmöglich<lb/>
folgen. Er mußte als verderblicher Dämon unter der<lb/>
Maske der Treue neben dem Herzog bleiben, als arg¬<lb/>
wöhni&#x017F;cher Wächter jede &#x017F;einer Bewegungen beobachten<lb/>
und um jeden Preis verhindern, daß der ermattete<lb/>
Kranke &#x017F;einen Feldherrn&#x017F;tab nicht am Ende doch in die<lb/>
Hände Richelieus niederlege.</p><lb/>
          <p>Wer aber konnte an &#x017F;einer Stelle mit Serbelloni<lb/>
unterhandeln? Allerdings nur einer, dem er traute wie<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, aber die&#x017F;er Mann war nicht vorhanden. &#x2014;<lb/>
Noch einmal blickte er nach den Fen&#x017F;tern von Riedberg<lb/>
hinüber. Ein &#x017F;chneller Gedanke durchfuhr ihn und<lb/>
&#x017F;tand nach einem Augenblicke der Ueberlegung als klarer<lb/>
Ent&#x017F;chluß in ihm fe&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Mit ra&#x017F;chen Schritten eilte er nach Thu&#x017F;is zurück.<lb/>
Vor der Herberge &#x017F;tand ein Haufen Marktleute, &#x017F;chweig¬<lb/>
&#x017F;am und in gedrückter Stimmung, denn &#x017F;ie hatten auf<lb/>
ihn und einen gün&#x017F;tigen Be&#x017F;cheid vom Herzoge lange<lb/>
gewartet. Der alte Lugnetzer trat ihm aus der im<lb/>
Dunkel zu&#x017F;ammengedrängten Gruppe entgegen mit der<lb/>
Frage auf den Lippen, die ihrer aller Gemüth beun¬<lb/>
ruhigte.</p><lb/>
          <p>Aber Jenat&#x017F;ch ließ ihn nicht zu Worte kommen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hört an, liebe Landsleute, und bewahrt es in<lb/>
einem feinen Herzen,&#x201C; rief er mit eindringlicher aber<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0287] Serbellonis Auftrag betrauten Pancraz jetzt unmöglich folgen. Er mußte als verderblicher Dämon unter der Maske der Treue neben dem Herzog bleiben, als arg¬ wöhniſcher Wächter jede ſeiner Bewegungen beobachten und um jeden Preis verhindern, daß der ermattete Kranke ſeinen Feldherrnſtab nicht am Ende doch in die Hände Richelieus niederlege. Wer aber konnte an ſeiner Stelle mit Serbelloni unterhandeln? Allerdings nur einer, dem er traute wie ſich ſelbſt, aber dieſer Mann war nicht vorhanden. — Noch einmal blickte er nach den Fenſtern von Riedberg hinüber. Ein ſchneller Gedanke durchfuhr ihn und ſtand nach einem Augenblicke der Ueberlegung als klarer Entſchluß in ihm feſt. Mit raſchen Schritten eilte er nach Thuſis zurück. Vor der Herberge ſtand ein Haufen Marktleute, ſchweig¬ ſam und in gedrückter Stimmung, denn ſie hatten auf ihn und einen günſtigen Beſcheid vom Herzoge lange gewartet. Der alte Lugnetzer trat ihm aus der im Dunkel zuſammengedrängten Gruppe entgegen mit der Frage auf den Lippen, die ihrer aller Gemüth beun¬ ruhigte. Aber Jenatſch ließ ihn nicht zu Worte kommen. „Hört an, liebe Landsleute, und bewahrt es in einem feinen Herzen,“ rief er mit eindringlicher aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/287
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/287>, abgerufen am 22.11.2024.