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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Rohans Tochter, die dem Herzog Bernhard von Wei¬
mar anverlobte Marguerite. Mit dieser erfreulichen,
aber privaten Bestimmung seiner gewissenhaften und
schönen Arbeit war der Doctor Sprecher nur halb ein¬
verstanden. Er hätte sie lieber zum Ruhme des Her¬
zogs und nicht zur Unehre des Verfassers ohne falsche
Bescheidenheit alsbald durch die Presse verewigen und
in die Welt ausgehen lassen.

Auf andere Weise bethätigte sich des Herzogs Ad¬
jutant, der junge Wertmüller. Ruhelos trieb er sich
in allen hohen und niedern Regionen der kleinen Stadt
um. In kürzester Frist war er in Chur eine bekannte
Persönlichkeit, vom bischöflichen Palaste an, wo er seiner
scharfen Augen und boshaften Zunge wegen gescheut,
am Spieltische dagegen jederzeit willkommen war, bis
hinunter in die dunkelsten Winkelschenken, wo man ihn,
wie dort, an den gedehnten Winterabenden gerne kommen
und nicht selten noch lieber wieder gehen sah. Es ge¬
lang ihm hier, die phlegmatischen Bündner durch seine
Sticheleien, politischen Vexierreden und mancherlei andere
Brennnesseln so lange zu reizen, bis ihnen Dinge ent¬
fuhren, die sie nachher schwer bereuten über die Lippen
gelassen zu haben.

War das Publikum empfänglich und regte es ihn
durch phantasievolle Beschränktheit an, so entfaltete er

Rohans Tochter, die dem Herzog Bernhard von Wei¬
mar anverlobte Marguerite. Mit dieſer erfreulichen,
aber privaten Beſtimmung ſeiner gewiſſenhaften und
ſchönen Arbeit war der Doctor Sprecher nur halb ein¬
verſtanden. Er hätte ſie lieber zum Ruhme des Her¬
zogs und nicht zur Unehre des Verfaſſers ohne falſche
Beſcheidenheit alsbald durch die Preſſe verewigen und
in die Welt ausgehen laſſen.

Auf andere Weiſe bethätigte ſich des Herzogs Ad¬
jutant, der junge Wertmüller. Ruhelos trieb er ſich
in allen hohen und niedern Regionen der kleinen Stadt
um. In kürzeſter Friſt war er in Chur eine bekannte
Perſönlichkeit, vom biſchöflichen Palaſte an, wo er ſeiner
ſcharfen Augen und boshaften Zunge wegen geſcheut,
am Spieltiſche dagegen jederzeit willkommen war, bis
hinunter in die dunkelſten Winkelſchenken, wo man ihn,
wie dort, an den gedehnten Winterabenden gerne kommen
und nicht ſelten noch lieber wieder gehen ſah. Es ge¬
lang ihm hier, die phlegmatiſchen Bündner durch ſeine
Sticheleien, politiſchen Vexierreden und mancherlei andere
Brennneſſeln ſo lange zu reizen, bis ihnen Dinge ent¬
fuhren, die ſie nachher ſchwer bereuten über die Lippen
gelaſſen zu haben.

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durch phantaſievolle Beſchränktheit an, ſo entfaltete er

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[298/0308] Rohans Tochter, die dem Herzog Bernhard von Wei¬ mar anverlobte Marguerite. Mit dieſer erfreulichen, aber privaten Beſtimmung ſeiner gewiſſenhaften und ſchönen Arbeit war der Doctor Sprecher nur halb ein¬ verſtanden. Er hätte ſie lieber zum Ruhme des Her¬ zogs und nicht zur Unehre des Verfaſſers ohne falſche Beſcheidenheit alsbald durch die Preſſe verewigen und in die Welt ausgehen laſſen. Auf andere Weiſe bethätigte ſich des Herzogs Ad¬ jutant, der junge Wertmüller. Ruhelos trieb er ſich in allen hohen und niedern Regionen der kleinen Stadt um. In kürzeſter Friſt war er in Chur eine bekannte Perſönlichkeit, vom biſchöflichen Palaſte an, wo er ſeiner ſcharfen Augen und boshaften Zunge wegen geſcheut, am Spieltiſche dagegen jederzeit willkommen war, bis hinunter in die dunkelſten Winkelſchenken, wo man ihn, wie dort, an den gedehnten Winterabenden gerne kommen und nicht ſelten noch lieber wieder gehen ſah. Es ge¬ lang ihm hier, die phlegmatiſchen Bündner durch ſeine Sticheleien, politiſchen Vexierreden und mancherlei andere Brennneſſeln ſo lange zu reizen, bis ihnen Dinge ent¬ fuhren, die ſie nachher ſchwer bereuten über die Lippen gelaſſen zu haben. War das Publikum empfänglich und regte es ihn durch phantaſievolle Beſchränktheit an, ſo entfaltete er

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/308>, abgerufen am 22.11.2024.