Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

nein, von der die Thäler dieß- und jenseits der rhäti¬
schen Alpen wiederhallten.

Aber das war das Geringste -- Schlimmeres
drohte -- Bünden unterhandelte mit Spanien, behaup¬
tete Wertmüller. Und nicht etwa einzelne Parteigänger
und Unruhstifter zettelten, sondern das gesammte Volk
war in Gährung und Verschwörung gegen Frankreich
begriffen, und Jenatsch, der heillose Heuchler, hielt das
ganze Spiel des Betrugs in der Hand.

Der Herzog pflegte gemeiniglich leichthin zu er¬
wiedern, derartiges habe sich noch nie ereignet, es sei
schlechterdings undenkbar, daß ein ganzes Volk sich wie
eine geheime Gesellschaft verschwöre, unmöglich, daß
nicht mindestens Einer ihn warnte unter seinen vielen
redlichen Anhängern im Lande. Im schlimmsten Falle
würde ihn sein Gastfreund, der ruhige, wohlunterrichtete
und keiner Partei pflichtige Doktor Sprecher, gegen
dessen ehrenwerthe Gesinnung selbst der Locotenent nichts
werde einwenden können, vor solchen unerhörten ver¬
rätherischen Anschlägen sicher stellen.

Der unbelehrbare Zürcher ließ das nicht gelten.

Was die Verschwörung eines ganzen Volkes be¬
treffe, so wolle er gerne zugeben, sagte er, daß sie nir¬
gends möglich wäre, als unter den Bündnern, die mit
dem nordischen Phlegma die südliche Verschlagenheit in

nein, von der die Thäler dieß- und jenſeits der rhäti¬
ſchen Alpen wiederhallten.

Aber das war das Geringſte — Schlimmeres
drohte — Bünden unterhandelte mit Spanien, behaup¬
tete Wertmüller. Und nicht etwa einzelne Parteigänger
und Unruhſtifter zettelten, ſondern das geſammte Volk
war in Gährung und Verſchwörung gegen Frankreich
begriffen, und Jenatſch, der heilloſe Heuchler, hielt das
ganze Spiel des Betrugs in der Hand.

Der Herzog pflegte gemeiniglich leichthin zu er¬
wiedern, derartiges habe ſich noch nie ereignet, es ſei
ſchlechterdings undenkbar, daß ein ganzes Volk ſich wie
eine geheime Geſellſchaft verſchwöre, unmöglich, daß
nicht mindeſtens Einer ihn warnte unter ſeinen vielen
redlichen Anhängern im Lande. Im ſchlimmſten Falle
würde ihn ſein Gaſtfreund, der ruhige, wohlunterrichtete
und keiner Partei pflichtige Doktor Sprecher, gegen
deſſen ehrenwerthe Geſinnung ſelbſt der Locotenent nichts
werde einwenden können, vor ſolchen unerhörten ver¬
rätheriſchen Anſchlägen ſicher ſtellen.

Der unbelehrbare Zürcher ließ das nicht gelten.

Was die Verſchwörung eines ganzen Volkes be¬
treffe, ſo wolle er gerne zugeben, ſagte er, daß ſie nir¬
gends möglich wäre, als unter den Bündnern, die mit
dem nordiſchen Phlegma die ſüdliche Verſchlagenheit in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0311" n="301"/>
nein, von der die Thäler dieß- und jen&#x017F;eits der rhäti¬<lb/>
&#x017F;chen Alpen wiederhallten.</p><lb/>
          <p>Aber das war das Gering&#x017F;te &#x2014; Schlimmeres<lb/>
drohte &#x2014; Bünden unterhandelte mit Spanien, behaup¬<lb/>
tete Wertmüller. Und nicht etwa einzelne Parteigänger<lb/>
und Unruh&#x017F;tifter zettelten, &#x017F;ondern das ge&#x017F;ammte Volk<lb/>
war in Gährung und Ver&#x017F;chwörung gegen Frankreich<lb/>
begriffen, und Jenat&#x017F;ch, der heillo&#x017F;e Heuchler, hielt das<lb/>
ganze Spiel des Betrugs in der Hand.</p><lb/>
          <p>Der Herzog pflegte gemeiniglich leichthin zu er¬<lb/>
wiedern, derartiges habe &#x017F;ich noch nie ereignet, es &#x017F;ei<lb/>
&#x017F;chlechterdings undenkbar, daß ein ganzes Volk &#x017F;ich wie<lb/>
eine geheime Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ver&#x017F;chwöre, unmöglich, daß<lb/>
nicht minde&#x017F;tens Einer ihn warnte unter &#x017F;einen vielen<lb/>
redlichen Anhängern im Lande. Im &#x017F;chlimm&#x017F;ten Falle<lb/>
würde ihn &#x017F;ein Ga&#x017F;tfreund, der ruhige, wohlunterrichtete<lb/>
und keiner Partei pflichtige Doktor Sprecher, gegen<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en ehrenwerthe Ge&#x017F;innung &#x017F;elb&#x017F;t der Locotenent nichts<lb/>
werde einwenden können, vor &#x017F;olchen unerhörten ver¬<lb/>
rätheri&#x017F;chen An&#x017F;chlägen &#x017F;icher &#x017F;tellen.</p><lb/>
          <p>Der unbelehrbare Zürcher ließ das nicht gelten.</p><lb/>
          <p>Was die Ver&#x017F;chwörung eines ganzen Volkes be¬<lb/>
treffe, &#x017F;o wolle er gerne zugeben, &#x017F;agte er, daß &#x017F;ie nir¬<lb/>
gends möglich wäre, als unter den Bündnern, die mit<lb/>
dem nordi&#x017F;chen Phlegma die &#x017F;üdliche Ver&#x017F;chlagenheit in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0311] nein, von der die Thäler dieß- und jenſeits der rhäti¬ ſchen Alpen wiederhallten. Aber das war das Geringſte — Schlimmeres drohte — Bünden unterhandelte mit Spanien, behaup¬ tete Wertmüller. Und nicht etwa einzelne Parteigänger und Unruhſtifter zettelten, ſondern das geſammte Volk war in Gährung und Verſchwörung gegen Frankreich begriffen, und Jenatſch, der heilloſe Heuchler, hielt das ganze Spiel des Betrugs in der Hand. Der Herzog pflegte gemeiniglich leichthin zu er¬ wiedern, derartiges habe ſich noch nie ereignet, es ſei ſchlechterdings undenkbar, daß ein ganzes Volk ſich wie eine geheime Geſellſchaft verſchwöre, unmöglich, daß nicht mindeſtens Einer ihn warnte unter ſeinen vielen redlichen Anhängern im Lande. Im ſchlimmſten Falle würde ihn ſein Gaſtfreund, der ruhige, wohlunterrichtete und keiner Partei pflichtige Doktor Sprecher, gegen deſſen ehrenwerthe Geſinnung ſelbſt der Locotenent nichts werde einwenden können, vor ſolchen unerhörten ver¬ rätheriſchen Anſchlägen ſicher ſtellen. Der unbelehrbare Zürcher ließ das nicht gelten. Was die Verſchwörung eines ganzen Volkes be¬ treffe, ſo wolle er gerne zugeben, ſagte er, daß ſie nir¬ gends möglich wäre, als unter den Bündnern, die mit dem nordiſchen Phlegma die ſüdliche Verſchlagenheit in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/311
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/311>, abgerufen am 22.11.2024.