Mantel umhüllten, den Obersten Jenatsch zu vermuthen. Das genügte, um den unternehmenden und durch die Winterruhe gelangweilten Locotenenten zu einem lustigen Handstreiche anzufeuern. Er belauerte die Abreise des Italiäners, nahm auf ein paar Tage Urlaub, ritt dem fahrenden Wunderdoktor nach und holte ihn auf seinem feurigen Fuchs gegen Abend des ersten Reisetages ein. Wie ein Wegelagerer überfiel er ihn an einer einsamen Stelle der Gebirgsstraße. Der erschrockene Quacksalber mußte zuerst seinen Apothekerkasten ausräumen und sich dann einer Durchsuchung seiner Person unterwerfen. Wie triumphirte Wertmüller, als er, dem Doktor freundschaftlich auf den Rücken klopfend, ein knisterndes Papier verspürte, das zwischen Tuch und Unterfutter eingenäht war, und dann mit der Pflasterscheere des Unglücklichen aus dessen scharlachrothem Rocke unversehrt ein eigenhändiges Schreiben seines Feindes an einen Kapuzinerpater herausschnitt, worin Jenatsch diesem Aufträge an den Gubernatore Serbelloni in Mailand gab. Der Wortlaut freilich war dunkel, aber die That¬ sache selbst sprach um so klarer. Nachdem der Locote¬ nente den schlotternden Zahnausreißer beruhigt und aus seiner Reiseflasche gestärkt hatte, jagte er in freudigem Galopp nach Chur zurück. Jetzt war der Verräther Jenatsch in seinen Händen.
Mantel umhüllten, den Oberſten Jenatſch zu vermuthen. Das genügte, um den unternehmenden und durch die Winterruhe gelangweilten Locotenenten zu einem luſtigen Handſtreiche anzufeuern. Er belauerte die Abreiſe des Italiäners, nahm auf ein paar Tage Urlaub, ritt dem fahrenden Wunderdoktor nach und holte ihn auf ſeinem feurigen Fuchs gegen Abend des erſten Reiſetages ein. Wie ein Wegelagerer überfiel er ihn an einer einſamen Stelle der Gebirgsſtraße. Der erſchrockene Quackſalber mußte zuerſt ſeinen Apothekerkaſten ausräumen und ſich dann einer Durchſuchung ſeiner Perſon unterwerfen. Wie triumphirte Wertmüller, als er, dem Doktor freundſchaftlich auf den Rücken klopfend, ein kniſterndes Papier verſpürte, das zwiſchen Tuch und Unterfutter eingenäht war, und dann mit der Pflaſterſcheere des Unglücklichen aus deſſen ſcharlachrothem Rocke unverſehrt ein eigenhändiges Schreiben ſeines Feindes an einen Kapuzinerpater herausſchnitt, worin Jenatſch dieſem Aufträge an den Gubernatore Serbelloni in Mailand gab. Der Wortlaut freilich war dunkel, aber die That¬ ſache ſelbſt ſprach um ſo klarer. Nachdem der Locote¬ nente den ſchlotternden Zahnausreißer beruhigt und aus ſeiner Reiſeflaſche geſtärkt hatte, jagte er in freudigem Galopp nach Chur zurück. Jetzt war der Verräther Jenatſch in ſeinen Händen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0316"n="306"/>
Mantel umhüllten, den Oberſten Jenatſch zu vermuthen.<lb/>
Das genügte, um den unternehmenden und durch die<lb/>
Winterruhe gelangweilten Locotenenten zu einem luſtigen<lb/>
Handſtreiche anzufeuern. Er belauerte die Abreiſe des<lb/>
Italiäners, nahm auf ein paar Tage Urlaub, ritt dem<lb/>
fahrenden Wunderdoktor nach und holte ihn auf ſeinem<lb/>
feurigen Fuchs gegen Abend des erſten Reiſetages ein.<lb/>
Wie ein Wegelagerer überfiel er ihn an einer einſamen<lb/>
Stelle der Gebirgsſtraße. Der erſchrockene Quackſalber<lb/>
mußte zuerſt ſeinen Apothekerkaſten ausräumen und ſich<lb/>
dann einer Durchſuchung ſeiner Perſon unterwerfen.<lb/>
Wie triumphirte Wertmüller, als er, dem Doktor<lb/>
freundſchaftlich auf den Rücken klopfend, ein kniſterndes<lb/>
Papier verſpürte, das zwiſchen Tuch und Unterfutter<lb/>
eingenäht war, und dann mit der Pflaſterſcheere des<lb/>
Unglücklichen aus deſſen ſcharlachrothem Rocke unverſehrt<lb/>
ein eigenhändiges Schreiben ſeines Feindes an einen<lb/>
Kapuzinerpater herausſchnitt, worin Jenatſch dieſem<lb/>
Aufträge an den Gubernatore Serbelloni in Mailand<lb/>
gab. Der Wortlaut freilich war dunkel, aber die That¬<lb/>ſache ſelbſt ſprach um ſo klarer. Nachdem der Locote¬<lb/>
nente den ſchlotternden Zahnausreißer beruhigt und aus<lb/>ſeiner Reiſeflaſche geſtärkt hatte, jagte er in freudigem<lb/>
Galopp nach Chur zurück. Jetzt war der Verräther<lb/>
Jenatſch in ſeinen Händen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[306/0316]
Mantel umhüllten, den Oberſten Jenatſch zu vermuthen.
Das genügte, um den unternehmenden und durch die
Winterruhe gelangweilten Locotenenten zu einem luſtigen
Handſtreiche anzufeuern. Er belauerte die Abreiſe des
Italiäners, nahm auf ein paar Tage Urlaub, ritt dem
fahrenden Wunderdoktor nach und holte ihn auf ſeinem
feurigen Fuchs gegen Abend des erſten Reiſetages ein.
Wie ein Wegelagerer überfiel er ihn an einer einſamen
Stelle der Gebirgsſtraße. Der erſchrockene Quackſalber
mußte zuerſt ſeinen Apothekerkaſten ausräumen und ſich
dann einer Durchſuchung ſeiner Perſon unterwerfen.
Wie triumphirte Wertmüller, als er, dem Doktor
freundſchaftlich auf den Rücken klopfend, ein kniſterndes
Papier verſpürte, das zwiſchen Tuch und Unterfutter
eingenäht war, und dann mit der Pflaſterſcheere des
Unglücklichen aus deſſen ſcharlachrothem Rocke unverſehrt
ein eigenhändiges Schreiben ſeines Feindes an einen
Kapuzinerpater herausſchnitt, worin Jenatſch dieſem
Aufträge an den Gubernatore Serbelloni in Mailand
gab. Der Wortlaut freilich war dunkel, aber die That¬
ſache ſelbſt ſprach um ſo klarer. Nachdem der Locote¬
nente den ſchlotternden Zahnausreißer beruhigt und aus
ſeiner Reiſeflaſche geſtärkt hatte, jagte er in freudigem
Galopp nach Chur zurück. Jetzt war der Verräther
Jenatſch in ſeinen Händen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/316>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.