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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Jahren -- der Junge war noch zu Hause -- trieb er
sich täglich mit meinem Bruderssohne Rudolf und mit
Lucretia auf dem Riedberg herum. Da kommt einmal
Lucretia, als ich durch den Garten gehe, im Sturm
mit freudeblitzenden Augen auf mich zugelaufen. "Sieh,
sieh, Vater!" ruft sie athemlos und deutet in die Höhe
zu den Schwalbennestern meines Schloßthurmes. Was
erblick' ich dort, Herr Magister! Rathet einmal . . .
Den Jürg, der rittlings auf dem äußersten Ende eines
weit aus der Dachluke ragenden und sich auf und nieder
wiegenden Brettes sitzt. Und der Schlingel schwingt
noch den Filz und begrüßt uns mit Jubelgeschrei! Der
Andere mochte drinnen auf dem sicheren Ende der im¬
provisirten Schaukel hocken, und da Rudolf -- ich sag'
es ungern -- ein tückischer Junge ist, graute mir vor
dem Wagstück. Ich erhob drohend die Hand und eilte
hinauf. Als ich ankam, war Alles wieder an Ort und
Stelle. Ich faßte Jürg am Kragen, ihm seine Frech¬
heit vorhaltend; er antwortete aber ruhig, Rudolf hätte
gemeint, er würde sich dessen nicht getrauen und das
hätte er nicht dürfen auf sich sitzen lassen."

Semmler, dessen Hände bei dieser Geschichte ängst¬
lich nach den Armlehnen seines Stuhls gegriffen hatten,
erlaubte sich nun das in ihm aufsteigende Bedenken aus¬
zusprechen, ob der Umgang Lucretias mit so wilden

Jahren — der Junge war noch zu Hauſe — trieb er
ſich täglich mit meinem Brudersſohne Rudolf und mit
Lucretia auf dem Riedberg herum. Da kommt einmal
Lucretia, als ich durch den Garten gehe, im Sturm
mit freudeblitzenden Augen auf mich zugelaufen. „Sieh,
ſieh, Vater!“ ruft ſie athemlos und deutet in die Höhe
zu den Schwalbenneſtern meines Schloßthurmes. Was
erblick' ich dort, Herr Magiſter! Rathet einmal . . .
Den Jürg, der rittlings auf dem äußerſten Ende eines
weit aus der Dachluke ragenden und ſich auf und nieder
wiegenden Brettes ſitzt. Und der Schlingel ſchwingt
noch den Filz und begrüßt uns mit Jubelgeſchrei! Der
Andere mochte drinnen auf dem ſicheren Ende der im¬
proviſirten Schaukel hocken, und da Rudolf — ich ſag'
es ungern — ein tückiſcher Junge iſt, graute mir vor
dem Wagſtück. Ich erhob drohend die Hand und eilte
hinauf. Als ich ankam, war Alles wieder an Ort und
Stelle. Ich faßte Jürg am Kragen, ihm ſeine Frech¬
heit vorhaltend; er antwortete aber ruhig, Rudolf hätte
gemeint, er würde ſich deſſen nicht getrauen und das
hätte er nicht dürfen auf ſich ſitzen laſſen.“

Semmler, deſſen Hände bei dieſer Geſchichte ängſt¬
lich nach den Armlehnen ſeines Stuhls gegriffen hatten,
erlaubte ſich nun das in ihm aufſteigende Bedenken aus¬
zuſprechen, ob der Umgang Lucretias mit ſo wilden

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[25/0035] Jahren — der Junge war noch zu Hauſe — trieb er ſich täglich mit meinem Brudersſohne Rudolf und mit Lucretia auf dem Riedberg herum. Da kommt einmal Lucretia, als ich durch den Garten gehe, im Sturm mit freudeblitzenden Augen auf mich zugelaufen. „Sieh, ſieh, Vater!“ ruft ſie athemlos und deutet in die Höhe zu den Schwalbenneſtern meines Schloßthurmes. Was erblick' ich dort, Herr Magiſter! Rathet einmal . . . Den Jürg, der rittlings auf dem äußerſten Ende eines weit aus der Dachluke ragenden und ſich auf und nieder wiegenden Brettes ſitzt. Und der Schlingel ſchwingt noch den Filz und begrüßt uns mit Jubelgeſchrei! Der Andere mochte drinnen auf dem ſicheren Ende der im¬ proviſirten Schaukel hocken, und da Rudolf — ich ſag' es ungern — ein tückiſcher Junge iſt, graute mir vor dem Wagſtück. Ich erhob drohend die Hand und eilte hinauf. Als ich ankam, war Alles wieder an Ort und Stelle. Ich faßte Jürg am Kragen, ihm ſeine Frech¬ heit vorhaltend; er antwortete aber ruhig, Rudolf hätte gemeint, er würde ſich deſſen nicht getrauen und das hätte er nicht dürfen auf ſich ſitzen laſſen.“ Semmler, deſſen Hände bei dieſer Geſchichte ängſt¬ lich nach den Armlehnen ſeines Stuhls gegriffen hatten, erlaubte ſich nun das in ihm aufſteigende Bedenken aus¬ zuſprechen, ob der Umgang Lucretias mit ſo wilden

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/35>, abgerufen am 21.11.2024.