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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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göttlichen Gnade, daß ich ihr dafür nur auf eine Weise
meinen Dank zu bezeugen weiß, -- wenn ich bei den
Frauen in Cazis den Schleier nehme." -- Eine Ant¬
wort, welche die langgeschulte Menschenkenntniß des
Paters zu Schanden machte. Er hatte es sich leichter
gedacht, das, wie er wohl wußte, seit Jahren an Je¬
natsch hangende Gemüth Lucretias von einer alten
Rachepflicht zu befreien, die dem praktischen Manne,
wenn er sie auch nicht gerade verwarf und der ehr¬
würdigen Landessitte gemäß achtete, doch, besonders in
diesem Falle, mit der christlichen Liebe und weltlichen
Klugheit unvereinbar erschien.

Lucretia war über die Mittheilung des Paters er¬
schrocken. Daß es Jenatsch mit der Abschwörung seines
protestantischen Glaubens ein Ernst sei, das, wußte sie, war
unmöglich. Es kam ihr vor, als habe er damit seine erste,
innerste Ueberzeugung verleugnet, als sei er sich nun
ganz untreu geworden und habe sein Selbst vernichtet.
Und was hatte ihn dazu vermocht? Konnte er diese
unlautere That mit seiner Liebe zu Bünden entschul¬
digen und wie seine Untreue an Herzog Rohan als
eine Nothwendigkeit seines Schicksals darstellen?

Was immer ihn dazu getrieben, es konnten nur
Rücksichten und Berechnungen sein, denen der Jürg
von ehedem unzugänglich gewesen wäre.

göttlichen Gnade, daß ich ihr dafür nur auf eine Weiſe
meinen Dank zu bezeugen weiß, — wenn ich bei den
Frauen in Cazis den Schleier nehme.“ — Eine Ant¬
wort, welche die langgeſchulte Menſchenkenntniß des
Paters zu Schanden machte. Er hatte es ſich leichter
gedacht, das, wie er wohl wußte, ſeit Jahren an Je¬
natſch hangende Gemüth Lucretias von einer alten
Rachepflicht zu befreien, die dem praktiſchen Manne,
wenn er ſie auch nicht gerade verwarf und der ehr¬
würdigen Landesſitte gemäß achtete, doch, beſonders in
dieſem Falle, mit der chriſtlichen Liebe und weltlichen
Klugheit unvereinbar erſchien.

Lucretia war über die Mittheilung des Paters er¬
ſchrocken. Daß es Jenatſch mit der Abſchwörung ſeines
proteſtantiſchen Glaubens ein Ernſt ſei, das, wußte ſie, war
unmöglich. Es kam ihr vor, als habe er damit ſeine erſte,
innerſte Ueberzeugung verleugnet, als ſei er ſich nun
ganz untreu geworden und habe ſein Selbſt vernichtet.
Und was hatte ihn dazu vermocht? Konnte er dieſe
unlautere That mit ſeiner Liebe zu Bünden entſchul¬
digen und wie ſeine Untreue an Herzog Rohan als
eine Nothwendigkeit ſeines Schickſals darſtellen?

Was immer ihn dazu getrieben, es konnten nur
Rückſichten und Berechnungen ſein, denen der Jürg
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[359/0369] göttlichen Gnade, daß ich ihr dafür nur auf eine Weiſe meinen Dank zu bezeugen weiß, — wenn ich bei den Frauen in Cazis den Schleier nehme.“ — Eine Ant¬ wort, welche die langgeſchulte Menſchenkenntniß des Paters zu Schanden machte. Er hatte es ſich leichter gedacht, das, wie er wohl wußte, ſeit Jahren an Je¬ natſch hangende Gemüth Lucretias von einer alten Rachepflicht zu befreien, die dem praktiſchen Manne, wenn er ſie auch nicht gerade verwarf und der ehr¬ würdigen Landesſitte gemäß achtete, doch, beſonders in dieſem Falle, mit der chriſtlichen Liebe und weltlichen Klugheit unvereinbar erſchien. Lucretia war über die Mittheilung des Paters er¬ ſchrocken. Daß es Jenatſch mit der Abſchwörung ſeines proteſtantiſchen Glaubens ein Ernſt ſei, das, wußte ſie, war unmöglich. Es kam ihr vor, als habe er damit ſeine erſte, innerſte Ueberzeugung verleugnet, als ſei er ſich nun ganz untreu geworden und habe ſein Selbſt vernichtet. Und was hatte ihn dazu vermocht? Konnte er dieſe unlautere That mit ſeiner Liebe zu Bünden entſchul¬ digen und wie ſeine Untreue an Herzog Rohan als eine Nothwendigkeit ſeines Schickſals darſtellen? Was immer ihn dazu getrieben, es konnten nur Rückſichten und Berechnungen ſein, denen der Jürg von ehedem unzugänglich geweſen wäre.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/369>, abgerufen am 22.11.2024.