tung geben, und mache uns treue! dem Winke deiner Gnade zu folgen.
Diese Stimme richtete ihr verwunde- tes und nach JEsu so innig sehnendes Herz in einer süssen Verwunderung auf. Jhr Geist wurde durch eine kindliche und gehei- me Freude belebet. Sie dachte bey sich selb- sten, das ist die Stimme deines Freundes! Siehe! er kommt. Alle auch die innersten Seelenkräfte vereinigten sich, um aufzu- stehen, und dem ankommenden Bräutigam der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen Armen des Glaubens und der Liebe anzu- fassen, und in den Genuß seiner Seligkei- ten und die Gemeinschaft seiner theuren Lie- be zu tretten.
Je herrlicher und erhabener aber JE- sus in dem unaussprechlichen Reichthum seines Erbarmens sich einer Seele offenba- ret, desto demüthiger und niedriger, desto zerschmelzter und zerbrochener wird sie in der Liebe. So gienge es dieser Seele auch, sie sanke gleichsam in einer mit der zärtlich- sten Liebe vermischten Beugung und Scham vor JEsu nieder, und schüttete ihr, durch die Liebesstrahlen Christi mit empfindlich- ster Neigung erfülltes Herz aus. Mein Heyland! (sprach sie) ist es möglich, daß du eine so grosse Sünderin, eine so schnöde, schändliche und undankbare Creatur, wie
ich
Thaten der Gnade. I. Stuͤck.
tung geben, und mache uns treue! dem Winke deiner Gnade zu folgen.
Dieſe Stimme richtete ihr verwunde- tes und nach JEſu ſo innig ſehnendes Herz in einer ſuͤſſen Verwunderung auf. Jhr Geiſt wurde durch eine kindliche und gehei- me Freude belebet. Sie dachte bey ſich ſelb- ſten, das iſt die Stimme deines Freundes! Siehe! er kommt. Alle auch die innerſten Seelenkraͤfte vereinigten ſich, um aufzu- ſtehen, und dem ankommenden Braͤutigam der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen Armen des Glaubens und der Liebe anzu- faſſen, und in den Genuß ſeiner Seligkei- ten und die Gemeinſchaft ſeiner theuren Lie- be zu tretten.
Je herrlicher und erhabener aber JE- ſus in dem unausſprechlichen Reichthum ſeines Erbarmens ſich einer Seele offenba- ret, deſto demuͤthiger und niedriger, deſto zerſchmelzter und zerbrochener wird ſie in der Liebe. So gienge es dieſer Seele auch, ſie ſanke gleichſam in einer mit der zaͤrtlich- ſten Liebe vermiſchten Beugung und Scham vor JEſu nieder, und ſchuͤttete ihr, durch die Liebesſtrahlen Chriſti mit empfindlich- ſter Neigung erfuͤlltes Herz aus. Mein Heyland! (ſprach ſie) iſt es moͤglich, daß du eine ſo groſſe Suͤnderin, eine ſo ſchnoͤde, ſchaͤndliche und undankbare Creatur, wie
ich
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Thaten der Gnade. I. Stuͤck.
tung geben, und mache uns treue! dem
Winke deiner Gnade zu folgen.
Dieſe Stimme richtete ihr verwunde-
tes und nach JEſu ſo innig ſehnendes Herz
in einer ſuͤſſen Verwunderung auf. Jhr
Geiſt wurde durch eine kindliche und gehei-
me Freude belebet. Sie dachte bey ſich ſelb-
ſten, das iſt die Stimme deines Freundes!
Siehe! er kommt. Alle auch die innerſten
Seelenkraͤfte vereinigten ſich, um aufzu-
ſtehen, und dem ankommenden Braͤutigam
der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen
Armen des Glaubens und der Liebe anzu-
faſſen, und in den Genuß ſeiner Seligkei-
ten und die Gemeinſchaft ſeiner theuren Lie-
be zu tretten.
Je herrlicher und erhabener aber JE-
ſus in dem unausſprechlichen Reichthum
ſeines Erbarmens ſich einer Seele offenba-
ret, deſto demuͤthiger und niedriger, deſto
zerſchmelzter und zerbrochener wird ſie in
der Liebe. So gienge es dieſer Seele auch,
ſie ſanke gleichſam in einer mit der zaͤrtlich-
ſten Liebe vermiſchten Beugung und Scham
vor JEſu nieder, und ſchuͤttete ihr, durch
die Liebesſtrahlen Chriſti mit empfindlich-
ſter Neigung erfuͤlltes Herz aus. Mein
Heyland! (ſprach ſie) iſt es moͤglich, daß du
eine ſo groſſe Suͤnderin, eine ſo ſchnoͤde,
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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/115>, abgerufen am 21.11.2024.
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