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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Der grossen und seligen
herrschung desselben einlasse. Giebt man
auf den ersten Liebesschlag nicht Achtung,
so folget ein zweyter und härterer. Gera-
thet es dem HErrn auf eine Weise nicht!
so sucht er auf eine andere Art seine gute
Absichten an denen Seelen zu erreichen.
Und da wird man meistens gewahren, daß
die ersten Gnadenwege sehr gelinde, ange-
nehm und lieblich sind, schlägt man aber
diese aus, so folgen schwerere und dunkelere,
die die Pilger nicht nur öfters müde und
verlegen machen, sondern zu Zeiten in harte
und schwere Arbeiten setzen. Wie gut wür-
de man also der Seele rathen, wenn man
das erstemahl die ausgestreckten Hände des
Führers der Seelen anfassen, und sich durch
dieselbe in treuem und kindlichem Gehorsam
zur Vollendung würde leiten lassen.

Die zweyte Aufweckung und Erschütte-
rung, wodurch der HErr diese Person aus
dem völligen Schlafe der Sicherheit er-
wecken, und in seine Liebesvereinigung zu
ziehen suchte, gieng nach ihrer eigenen Er-
zählung ungefehr in dem drey und zwanzig-
sten Jahre ihres Alters in ihr vor. GOtt
liesse sie um diese Zeit in eine sehr schwere
Anfechtung fallen. Jhre Seele wurde in
eine sehr grosse innerliche Angst, Unruhe
und Bangigkeit gesetzet, deren sie sich durch
nichts entschlagen konnte, es war ihr nir-

gends

Der groſſen und ſeligen
herrſchung deſſelben einlaſſe. Giebt man
auf den erſten Liebesſchlag nicht Achtung,
ſo folget ein zweyter und haͤrterer. Gera-
thet es dem HErrn auf eine Weiſe nicht!
ſo ſucht er auf eine andere Art ſeine gute
Abſichten an denen Seelen zu erreichen.
Und da wird man meiſtens gewahren, daß
die erſten Gnadenwege ſehr gelinde, ange-
nehm und lieblich ſind, ſchlaͤgt man aber
dieſe aus, ſo folgen ſchwerere und dunkelere,
die die Pilger nicht nur oͤfters muͤde und
verlegen machen, ſondern zu Zeiten in harte
und ſchwere Arbeiten ſetzen. Wie gut wuͤr-
de man alſo der Seele rathen, wenn man
das erſtemahl die ausgeſtreckten Haͤnde des
Fuͤhrers der Seelen anfaſſen, und ſich durch
dieſelbe in treuem und kindlichem Gehorſam
zur Vollendung wuͤrde leiten laſſen.

Die zweyte Aufweckung und Erſchuͤtte-
rung, wodurch der HErr dieſe Perſon aus
dem voͤlligen Schlafe der Sicherheit er-
wecken, und in ſeine Liebesvereinigung zu
ziehen ſuchte, gieng nach ihrer eigenen Er-
zaͤhlung ungefehr in dem drey und zwanzig-
ſten Jahre ihres Alters in ihr vor. GOtt
lieſſe ſie um dieſe Zeit in eine ſehr ſchwere
Anfechtung fallen. Jhre Seele wurde in
eine ſehr groſſe innerliche Angſt, Unruhe
und Bangigkeit geſetzet, deren ſie ſich durch
nichts entſchlagen konnte, es war ihr nir-

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[98/0150] Der groſſen und ſeligen herrſchung deſſelben einlaſſe. Giebt man auf den erſten Liebesſchlag nicht Achtung, ſo folget ein zweyter und haͤrterer. Gera- thet es dem HErrn auf eine Weiſe nicht! ſo ſucht er auf eine andere Art ſeine gute Abſichten an denen Seelen zu erreichen. Und da wird man meiſtens gewahren, daß die erſten Gnadenwege ſehr gelinde, ange- nehm und lieblich ſind, ſchlaͤgt man aber dieſe aus, ſo folgen ſchwerere und dunkelere, die die Pilger nicht nur oͤfters muͤde und verlegen machen, ſondern zu Zeiten in harte und ſchwere Arbeiten ſetzen. Wie gut wuͤr- de man alſo der Seele rathen, wenn man das erſtemahl die ausgeſtreckten Haͤnde des Fuͤhrers der Seelen anfaſſen, und ſich durch dieſelbe in treuem und kindlichem Gehorſam zur Vollendung wuͤrde leiten laſſen. Die zweyte Aufweckung und Erſchuͤtte- rung, wodurch der HErr dieſe Perſon aus dem voͤlligen Schlafe der Sicherheit er- wecken, und in ſeine Liebesvereinigung zu ziehen ſuchte, gieng nach ihrer eigenen Er- zaͤhlung ungefehr in dem drey und zwanzig- ſten Jahre ihres Alters in ihr vor. GOtt lieſſe ſie um dieſe Zeit in eine ſehr ſchwere Anfechtung fallen. Jhre Seele wurde in eine ſehr groſſe innerliche Angſt, Unruhe und Bangigkeit geſetzet, deren ſie ſich durch nichts entſchlagen konnte, es war ihr nir- gends

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/150>, abgerufen am 13.05.2024.