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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Thaten der Gnade. II. Stück.
werden, und ein ander Urtheil von dir als
ehemahlen fällen. So lange Paulus in
seiner natürlichen Blindheit dahingienge,
so lange war er unsträflich in seinen Augen,
und hatte bey seinem bösen und blinden ey-
fern die besten Gedanken, und recht hohe
Einbildungen von sich selbsten. Aber so
bald das göttliche Licht von dem Himmel
seine Seele durchstrahlte, und seine Augen
eröfnete, so sahe er den Abgrund seines
Verderbens, und den Betrug seiner Gut-
heit, darauf er sich bißhieher vergeblich ver-
lassen hatte, er wird ein Sünder, und zwar
der allergröste Sünder in seinen Augen,
und siehet in der demüthigsten Beugung
nach einer bessern Gerechtigkeit sich um.
So geht es gewiß einem jeden Naturmen-
schen, wenn die Schuppen von denen blinden
Augen fallen, und die Decke der Verblen-
dung durch die Gnade weggenommen wird,
denn erst wird der finstere Sünder in den
Stand gesetzt, zu sehen, was er sey. Oder
für wen, ihr in den Bättelkram eures eige-
nen Wesens verliebte Seelen, für wen
ist JEsus gekommen? Wem zu gutem hat
sich der Heyland in seine Leiden gewagt?
Sind es Gerechte? Nein, es sind Sünder!
Sind es Gesunde? Nein, es sind Kranke!
Und wer sind diese beyde? Paulus zeiget es
uns, Rom. 3:23. Sie sind allzumahl

Sün-
J 5

Thaten der Gnade. II. Stuͤck.
werden, und ein ander Urtheil von dir als
ehemahlen faͤllen. So lange Paulus in
ſeiner natuͤrlichen Blindheit dahingienge,
ſo lange war er unſtraͤflich in ſeinen Augen,
und hatte bey ſeinem boͤſen und blinden ey-
fern die beſten Gedanken, und recht hohe
Einbildungen von ſich ſelbſten. Aber ſo
bald das goͤttliche Licht von dem Himmel
ſeine Seele durchſtrahlte, und ſeine Augen
eroͤfnete, ſo ſahe er den Abgrund ſeines
Verderbens, und den Betrug ſeiner Gut-
heit, darauf er ſich bißhieher vergeblich ver-
laſſen hatte, er wird ein Suͤnder, und zwar
der allergroͤſte Suͤnder in ſeinen Augen,
und ſiehet in der demuͤthigſten Beugung
nach einer beſſern Gerechtigkeit ſich um.
So geht es gewiß einem jeden Naturmen-
ſchen, wenn die Schuppen von denen blinden
Augen fallen, und die Decke der Verblen-
dung durch die Gnade weggenommen wird,
denn erſt wird der finſtere Suͤnder in den
Stand geſetzt, zu ſehen, was er ſey. Oder
fuͤr wen, ihr in den Baͤttelkram eures eige-
nen Weſens verliebte Seelen, fuͤr wen
iſt JEſus gekommen? Wem zu gutem hat
ſich der Heyland in ſeine Leiden gewagt?
Sind es Gerechte? Nein, es ſind Suͤnder!
Sind es Geſunde? Nein, es ſind Kranke!
Und wer ſind dieſe beyde? Paulus zeiget es
uns, Rom. 3:23. Sie ſind allzumahl

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[137/0189] Thaten der Gnade. II. Stuͤck. werden, und ein ander Urtheil von dir als ehemahlen faͤllen. So lange Paulus in ſeiner natuͤrlichen Blindheit dahingienge, ſo lange war er unſtraͤflich in ſeinen Augen, und hatte bey ſeinem boͤſen und blinden ey- fern die beſten Gedanken, und recht hohe Einbildungen von ſich ſelbſten. Aber ſo bald das goͤttliche Licht von dem Himmel ſeine Seele durchſtrahlte, und ſeine Augen eroͤfnete, ſo ſahe er den Abgrund ſeines Verderbens, und den Betrug ſeiner Gut- heit, darauf er ſich bißhieher vergeblich ver- laſſen hatte, er wird ein Suͤnder, und zwar der allergroͤſte Suͤnder in ſeinen Augen, und ſiehet in der demuͤthigſten Beugung nach einer beſſern Gerechtigkeit ſich um. So geht es gewiß einem jeden Naturmen- ſchen, wenn die Schuppen von denen blinden Augen fallen, und die Decke der Verblen- dung durch die Gnade weggenommen wird, denn erſt wird der finſtere Suͤnder in den Stand geſetzt, zu ſehen, was er ſey. Oder fuͤr wen, ihr in den Baͤttelkram eures eige- nen Weſens verliebte Seelen, fuͤr wen iſt JEſus gekommen? Wem zu gutem hat ſich der Heyland in ſeine Leiden gewagt? Sind es Gerechte? Nein, es ſind Suͤnder! Sind es Geſunde? Nein, es ſind Kranke! Und wer ſind dieſe beyde? Paulus zeiget es uns, Rom. 3:23. Sie ſind allzumahl Suͤn- J 5

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/189>, abgerufen am 21.11.2024.