1. Dem Glauben geht vor eine überzeu- gende Erkenntniß auf der einten Seite von der Grösse und Tiefe seines Sündenelendes, und der Gefahr seiner Seele, auf der an- dern Seite von der Allgenugsamkeit und Nothwendigkeit Christi, und seines bluti- gen Verdienstes. Fehlet es an diesem Grunde, so wird der Glaube nie rechtschaf- fen werden. Das erste, was also der Geist GOttes thut, wenn er das Licht des Glau- bens in der Seele anzünden will, ist dieses: Er zeiget ihr, wie sie durch die Sünde biß zum Tode verwundet, wie von Natur nichts gutes, nichts gesundes an ihr sey, wie sie um der Sünde willen sich in der äussersten Gefahr des Todes, und eines ewigen Ver- derbens befinde. Er giebt ihr lebendig zu erkennen, daß weder bey ihr selbst, noch aussert ihr in den Creaturen nicht das aller- geringste zu finden, wodurch ihr von ihrem Unglücke könnte geholfen werden. Wer wird eine Begierde nach seiner Errettung haben, der die Gefahr nicht kennet, die ihm drohet? Wer wird nach einem Arzte, wer wird nach Mittlen zur Genesung sich sehnen, der weder seine Krankheit noch die Folgen derselben kennet? Hat aber der heilige Geist die Seelenaugen eröfnet, und die Gefahr lebendig zu erkennen gegeben, so wird die Seele mit vieler Beugung nach einem Er-
ret-
Der groſſen und ſeligen
1. Dem Glauben geht vor eine uͤberzeu- gende Erkenntniß auf der einten Seite von der Groͤſſe und Tiefe ſeines Suͤndenelendes, und der Gefahr ſeiner Seele, auf der an- dern Seite von der Allgenugſamkeit und Nothwendigkeit Chriſti, und ſeines bluti- gen Verdienſtes. Fehlet es an dieſem Grunde, ſo wird der Glaube nie rechtſchaf- fen werden. Das erſte, was alſo der Geiſt GOttes thut, wenn er das Licht des Glau- bens in der Seele anzuͤnden will, iſt dieſes: Er zeiget ihr, wie ſie durch die Suͤnde biß zum Tode verwundet, wie von Natur nichts gutes, nichts geſundes an ihr ſey, wie ſie um der Suͤnde willen ſich in der aͤuſſerſten Gefahr des Todes, und eines ewigen Ver- derbens befinde. Er giebt ihr lebendig zu erkennen, daß weder bey ihr ſelbſt, noch auſſert ihr in den Creaturen nicht das aller- geringſte zu finden, wodurch ihr von ihrem Ungluͤcke koͤnnte geholfen werden. Wer wird eine Begierde nach ſeiner Errettung haben, der die Gefahr nicht kennet, die ihm drohet? Wer wird nach einem Arzte, wer wird nach Mittlen zur Geneſung ſich ſehnen, der weder ſeine Krankheit noch die Folgen derſelben kennet? Hat aber der heilige Geiſt die Seelenaugen eroͤfnet, und die Gefahr lebendig zu erkennen gegeben, ſo wird die Seele mit vieler Beugung nach einem Er-
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Der groſſen und ſeligen
1. Dem Glauben geht vor eine uͤberzeu-
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der Groͤſſe und Tiefe ſeines Suͤndenelendes,
und der Gefahr ſeiner Seele, auf der an-
dern Seite von der Allgenugſamkeit und
Nothwendigkeit Chriſti, und ſeines bluti-
gen Verdienſtes. Fehlet es an dieſem
Grunde, ſo wird der Glaube nie rechtſchaf-
fen werden. Das erſte, was alſo der Geiſt
GOttes thut, wenn er das Licht des Glau-
bens in der Seele anzuͤnden will, iſt dieſes:
Er zeiget ihr, wie ſie durch die Suͤnde biß
zum Tode verwundet, wie von Natur nichts
gutes, nichts geſundes an ihr ſey, wie ſie
um der Suͤnde willen ſich in der aͤuſſerſten
Gefahr des Todes, und eines ewigen Ver-
derbens befinde. Er giebt ihr lebendig zu
erkennen, daß weder bey ihr ſelbſt, noch
auſſert ihr in den Creaturen nicht das aller-
geringſte zu finden, wodurch ihr von ihrem
Ungluͤcke koͤnnte geholfen werden. Wer
wird eine Begierde nach ſeiner Errettung
haben, der die Gefahr nicht kennet, die ihm
drohet? Wer wird nach einem Arzte, wer
wird nach Mittlen zur Geneſung ſich ſehnen,
der weder ſeine Krankheit noch die Folgen
derſelben kennet? Hat aber der heilige Geiſt
die Seelenaugen eroͤfnet, und die Gefahr
lebendig zu erkennen gegeben, ſo wird die
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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/230>, abgerufen am 21.11.2024.
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