Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.Thaten der Gnade. III. Stück. richtigkeit ihrer Traurigkeit über die Sün-de, wenn sie keine grosse Angst und Bangig- keit fühlen, und wenn ihr Leidwesen nicht in häufige Thränen ausbricht. Sie mey- nen, wenn es ihnen Ernst wäre, ihre Sün- den zu bereuen, und sich zu dem HErrn zu bekehren, so würden sie sich nicht so dürre und trocken befinden. Es ist aber hierbey wohl zu bemerken, daß es bey der göttli- chen Traurigkeit, weder auf einen hohen Grad der Angst, noch auf ein gewisses Maaß der Thränen ankommt. Der HErr führt die Seelen ungleich, eine mehr Ge- setzlich, andere mehr Evangelisch. Einigen giebt er Ströme von Thränen, andere wis- sen davon wenig oder nichts, und die Trau- rigkeit ist bey ihnen mehr innerlich. Seine Weißheit aber richtet alles ein, nach dem sie es zu Erreichung ihrer Absichten nöthig und heilsam findet. Einige suchen eine noch grössere Angst, und möchten gern viele äus- sere Thränen vergiessen, und könnten sie es dahin bringen, so würden sie dieses zum ei- nigen Kennzeichen ihrer Busse machen, und in Gefahr stehen, von dem Feinde in man- chem betrogen zu werden. Es kommt also nicht auf die Grösse, sondern auf die Auf- richtigkeit der Traurigkeit an. Wo ein wahres inneres Gefühl und Leidwesen über die Sünde ist, wo dieses Leidwesen die Seele recht R 2
Thaten der Gnade. III. Stuͤck. richtigkeit ihrer Traurigkeit uͤber die Suͤn-de, wenn ſie keine groſſe Angſt und Bangig- keit fuͤhlen, und wenn ihr Leidweſen nicht in haͤufige Thraͤnen ausbricht. Sie mey- nen, wenn es ihnen Ernſt waͤre, ihre Suͤn- den zu bereuen, und ſich zu dem HErrn zu bekehren, ſo wuͤrden ſie ſich nicht ſo duͤrre und trocken befinden. Es iſt aber hierbey wohl zu bemerken, daß es bey der goͤttli- chen Traurigkeit, weder auf einen hohen Grad der Angſt, noch auf ein gewiſſes Maaß der Thraͤnen ankommt. Der HErr fuͤhrt die Seelen ungleich, eine mehr Ge- ſetzlich, andere mehr Evangeliſch. Einigen giebt er Stroͤme von Thraͤnen, andere wiſ- ſen davon wenig oder nichts, und die Trau- rigkeit iſt bey ihnen mehr innerlich. Seine Weißheit aber richtet alles ein, nach dem ſie es zu Erreichung ihrer Abſichten noͤthig und heilſam findet. Einige ſuchen eine noch groͤſſere Angſt, und moͤchten gern viele aͤuſ- ſere Thraͤnen vergieſſen, und koͤnnten ſie es dahin bringen, ſo wuͤrden ſie dieſes zum ei- nigen Kennzeichen ihrer Buſſe machen, und in Gefahr ſtehen, von dem Feinde in man- chem betrogen zu werden. Es kommt alſo nicht auf die Groͤſſe, ſondern auf die Auf- richtigkeit der Traurigkeit an. Wo ein wahres inneres Gefuͤhl und Leidweſen uͤber die Suͤnde iſt, wo dieſes Leidweſen die Seele recht R 2
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Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
richtigkeit ihrer Traurigkeit uͤber die Suͤn-
de, wenn ſie keine groſſe Angſt und Bangig-
keit fuͤhlen, und wenn ihr Leidweſen nicht
in haͤufige Thraͤnen ausbricht. Sie mey-
nen, wenn es ihnen Ernſt waͤre, ihre Suͤn-
den zu bereuen, und ſich zu dem HErrn zu
bekehren, ſo wuͤrden ſie ſich nicht ſo duͤrre
und trocken befinden. Es iſt aber hierbey
wohl zu bemerken, daß es bey der goͤttli-
chen Traurigkeit, weder auf einen hohen
Grad der Angſt, noch auf ein gewiſſes
Maaß der Thraͤnen ankommt. Der HErr
fuͤhrt die Seelen ungleich, eine mehr Ge-
ſetzlich, andere mehr Evangeliſch. Einigen
giebt er Stroͤme von Thraͤnen, andere wiſ-
ſen davon wenig oder nichts, und die Trau-
rigkeit iſt bey ihnen mehr innerlich. Seine
Weißheit aber richtet alles ein, nach dem
ſie es zu Erreichung ihrer Abſichten noͤthig
und heilſam findet. Einige ſuchen eine noch
groͤſſere Angſt, und moͤchten gern viele aͤuſ-
ſere Thraͤnen vergieſſen, und koͤnnten ſie es
dahin bringen, ſo wuͤrden ſie dieſes zum ei-
nigen Kennzeichen ihrer Buſſe machen, und
in Gefahr ſtehen, von dem Feinde in man-
chem betrogen zu werden. Es kommt alſo
nicht auf die Groͤſſe, ſondern auf die Auf-
richtigkeit der Traurigkeit an. Wo ein
wahres inneres Gefuͤhl und Leidweſen uͤber
die Suͤnde iſt, wo dieſes Leidweſen die Seele
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