Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.Thaten der Gnade. IV. Stück. pfade (da man Friede und Leben findet) zuführen. Je mehr sie sich zu denen From- men gesellete, je eifriger sie die äussere Mit- tel des Heyls brauchte, desto verdächtiger wurde sie sich selbsten, und desto mehr fühl- te sie Schläge, Ankl[a]gen und Unruhen in ihrem Gewissen. Sie wurde nicht nur über- zeuget, daß sie in dem Zustande, darinnen sie sich befande, noch keinen Antheil an dem göttlichen Frieden und Versöhnung hoffen konnte, sondern es wurde ihr nach und nach das gezeiget und geoffenbaret, was sie bis hieher nie geglaubet hatte, sie lernte näm- lich ihr ganzes sündliche Verderben, und den in der Zeit der Unwissenheit bös geführ- ten Lebenslauf deutlich einsehen und erken- nen. Die Sünden, die sie ehemahlen für Kleinigkeiten, ja für nichts gehalten, wur- den ihr nun zur schweren Last; alle Ent- schuldigungen und Ausflüchte, wormit das Gewissen vorhin eingewieget worden, fielen nun weg, und alle eigene Gutheit, darin- nen man sich in der Blindheit, auch bey al- lem Greuel und Unflath, noch so schön vor- kommt, wurden ihr zur Sünde. Mit ei- nem Wort: sie stunde da nacket, bloß und entdecket vor dem Angesicht des HErrn, sie sahe die unendliche Kluft, die die Sünde zwischen ihr und ihrem GOtt gemacht, und wie weit sie von dem Heyland und der Hof- nung X 5
Thaten der Gnade. IV. Stuͤck. pfade (da man Friede und Leben findet) zufuͤhren. Je mehr ſie ſich zu denen From- men geſellete, je eifriger ſie die aͤuſſere Mit- tel des Heyls brauchte, deſto verdaͤchtiger wurde ſie ſich ſelbſten, und deſto mehr fuͤhl- te ſie Schlaͤge, Ankl[a]gen und Unruhen in ihrem Gewiſſen. Sie wurde nicht nur uͤber- zeuget, daß ſie in dem Zuſtande, darinnen ſie ſich befande, noch keinen Antheil an dem goͤttlichen Frieden und Verſoͤhnung hoffen konnte, ſondern es wurde ihr nach und nach das gezeiget und geoffenbaret, was ſie bis hieher nie geglaubet hatte, ſie lernte naͤm- lich ihr ganzes ſuͤndliche Verderben, und den in der Zeit der Unwiſſenheit boͤs gefuͤhr- ten Lebenslauf deutlich einſehen und erken- nen. Die Suͤnden, die ſie ehemahlen fuͤr Kleinigkeiten, ja fuͤr nichts gehalten, wur- den ihr nun zur ſchweren Laſt; alle Ent- ſchuldigungen und Ausfluͤchte, wormit das Gewiſſen vorhin eingewieget worden, fielen nun weg, und alle eigene Gutheit, darin- nen man ſich in der Blindheit, auch bey al- lem Greuel und Unflath, noch ſo ſchoͤn vor- kommt, wurden ihr zur Suͤnde. Mit ei- nem Wort: ſie ſtunde da nacket, bloß und entdecket vor dem Angeſicht des HErrn, ſie ſahe die unendliche Kluft, die die Suͤnde zwiſchen ihr und ihrem GOtt gemacht, und wie weit ſie von dem Heyland und der Hof- nung X 5
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Thaten der Gnade. IV. Stuͤck.
pfade (da man Friede und Leben findet) zu
fuͤhren. Je mehr ſie ſich zu denen From-
men geſellete, je eifriger ſie die aͤuſſere Mit-
tel des Heyls brauchte, deſto verdaͤchtiger
wurde ſie ſich ſelbſten, und deſto mehr fuͤhl-
te ſie Schlaͤge, Anklagen und Unruhen in
ihrem Gewiſſen. Sie wurde nicht nur uͤber-
zeuget, daß ſie in dem Zuſtande, darinnen
ſie ſich befande, noch keinen Antheil an dem
goͤttlichen Frieden und Verſoͤhnung hoffen
konnte, ſondern es wurde ihr nach und nach
das gezeiget und geoffenbaret, was ſie bis
hieher nie geglaubet hatte, ſie lernte naͤm-
lich ihr ganzes ſuͤndliche Verderben, und
den in der Zeit der Unwiſſenheit boͤs gefuͤhr-
ten Lebenslauf deutlich einſehen und erken-
nen. Die Suͤnden, die ſie ehemahlen fuͤr
Kleinigkeiten, ja fuͤr nichts gehalten, wur-
den ihr nun zur ſchweren Laſt; alle Ent-
ſchuldigungen und Ausfluͤchte, wormit das
Gewiſſen vorhin eingewieget worden, fielen
nun weg, und alle eigene Gutheit, darin-
nen man ſich in der Blindheit, auch bey al-
lem Greuel und Unflath, noch ſo ſchoͤn vor-
kommt, wurden ihr zur Suͤnde. Mit ei-
nem Wort: ſie ſtunde da nacket, bloß und
entdecket vor dem Angeſicht des HErrn, ſie
ſahe die unendliche Kluft, die die Suͤnde
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