Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

halb, denn noch immer waltete in ihm der Drang, hinauszukommen in die Freiheit! -- Er gab der Geliebten rasch die Hand, sagte Gutnacht und schritt vorsichtig über die Stufen in den Hof.

Die Bäbe schloß die Thüre, ging in die zu ebener Erde befindliche Küche, machte Feuer, und bei der Ankunft der Pfarrerin war der Thee fertig. Als sie derselben die Gefäße überreichte, glaubte sie durch den Ernst ihres Gesichts eine gewisse Schadenfreude durchblicken zu sehen. Dies bestärkte sie in ihrem Argwohn, und sie machte sich auf eine bezügliche Anrede gefaßt. Die Pfarrerin sagte indeß nichts als: Gut, nun kannst du wieder zu Bett gehen, und entfernte sich. Während der alte Herr trank, wandelte die Bäbe still in ihre Kammer zurück; und nach Verfluß einer halben Stunde herrschte die vollkommenste Ruhe im Hause. Dem Pfarrer hatte der Thee die Wohlthat des Schlummers verschafft, der Pfarrerin die gelungene Verhinderung des Aergernisses, der Bäbe ihre gesunde Natur und der Entschluß, muthig Allem zu begegnen, was das Geschick gegen sie im Schilde führen mochte.

Anders endete das Abenteuer für den Schneider. Als dieser durch das Hofthor unangefochten auf die Gasse gelangt war, athmete er tief auf und kostete von Grund aus das Glück der Rettung. Daß das Aergerniß seines Betroffenwerdens bei der Pfarrmagd vermieden worden war, konnte er nicht dankbar genug bewundern und preisen. Er ging vorwärts und sog in durstigen

halb, denn noch immer waltete in ihm der Drang, hinauszukommen in die Freiheit! — Er gab der Geliebten rasch die Hand, sagte Gutnacht und schritt vorsichtig über die Stufen in den Hof.

Die Bäbe schloß die Thüre, ging in die zu ebener Erde befindliche Küche, machte Feuer, und bei der Ankunft der Pfarrerin war der Thee fertig. Als sie derselben die Gefäße überreichte, glaubte sie durch den Ernst ihres Gesichts eine gewisse Schadenfreude durchblicken zu sehen. Dies bestärkte sie in ihrem Argwohn, und sie machte sich auf eine bezügliche Anrede gefaßt. Die Pfarrerin sagte indeß nichts als: Gut, nun kannst du wieder zu Bett gehen, und entfernte sich. Während der alte Herr trank, wandelte die Bäbe still in ihre Kammer zurück; und nach Verfluß einer halben Stunde herrschte die vollkommenste Ruhe im Hause. Dem Pfarrer hatte der Thee die Wohlthat des Schlummers verschafft, der Pfarrerin die gelungene Verhinderung des Aergernisses, der Bäbe ihre gesunde Natur und der Entschluß, muthig Allem zu begegnen, was das Geschick gegen sie im Schilde führen mochte.

Anders endete das Abenteuer für den Schneider. Als dieser durch das Hofthor unangefochten auf die Gasse gelangt war, athmete er tief auf und kostete von Grund aus das Glück der Rettung. Daß das Aergerniß seines Betroffenwerdens bei der Pfarrmagd vermieden worden war, konnte er nicht dankbar genug bewundern und preisen. Er ging vorwärts und sog in durstigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0110"/>
halb, denn noch immer waltete in ihm der Drang, hinauszukommen in die Freiheit! &#x2014; Er gab      der Geliebten rasch die Hand, sagte Gutnacht und schritt vorsichtig über die Stufen in den      Hof.</p><lb/>
        <p>Die Bäbe schloß die Thüre, ging in die zu ebener Erde befindliche Küche, machte Feuer, und      bei der Ankunft der Pfarrerin war der Thee fertig. Als sie derselben die Gefäße überreichte,      glaubte sie durch den Ernst ihres Gesichts eine gewisse Schadenfreude durchblicken zu sehen.      Dies bestärkte sie in ihrem Argwohn, und sie machte sich auf eine bezügliche Anrede gefaßt. Die      Pfarrerin sagte indeß nichts als: Gut, nun kannst du wieder zu Bett gehen, und entfernte sich.      Während der alte Herr trank, wandelte die Bäbe still in ihre Kammer zurück; und nach Verfluß      einer halben Stunde herrschte die vollkommenste Ruhe im Hause. Dem Pfarrer hatte der Thee die      Wohlthat des Schlummers verschafft, der Pfarrerin die gelungene Verhinderung des Aergernisses,      der Bäbe ihre gesunde Natur und der Entschluß, muthig Allem zu begegnen, was das Geschick gegen      sie im Schilde führen mochte.</p><lb/>
        <p>Anders endete das Abenteuer für den Schneider. Als dieser durch das Hofthor unangefochten auf      die Gasse gelangt war, athmete er tief auf und kostete von Grund aus das Glück der Rettung. Daß      das Aergerniß seines Betroffenwerdens bei der Pfarrmagd vermieden worden war, konnte er nicht      dankbar genug bewundern und preisen. Er ging vorwärts und sog in durstigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] halb, denn noch immer waltete in ihm der Drang, hinauszukommen in die Freiheit! — Er gab der Geliebten rasch die Hand, sagte Gutnacht und schritt vorsichtig über die Stufen in den Hof. Die Bäbe schloß die Thüre, ging in die zu ebener Erde befindliche Küche, machte Feuer, und bei der Ankunft der Pfarrerin war der Thee fertig. Als sie derselben die Gefäße überreichte, glaubte sie durch den Ernst ihres Gesichts eine gewisse Schadenfreude durchblicken zu sehen. Dies bestärkte sie in ihrem Argwohn, und sie machte sich auf eine bezügliche Anrede gefaßt. Die Pfarrerin sagte indeß nichts als: Gut, nun kannst du wieder zu Bett gehen, und entfernte sich. Während der alte Herr trank, wandelte die Bäbe still in ihre Kammer zurück; und nach Verfluß einer halben Stunde herrschte die vollkommenste Ruhe im Hause. Dem Pfarrer hatte der Thee die Wohlthat des Schlummers verschafft, der Pfarrerin die gelungene Verhinderung des Aergernisses, der Bäbe ihre gesunde Natur und der Entschluß, muthig Allem zu begegnen, was das Geschick gegen sie im Schilde führen mochte. Anders endete das Abenteuer für den Schneider. Als dieser durch das Hofthor unangefochten auf die Gasse gelangt war, athmete er tief auf und kostete von Grund aus das Glück der Rettung. Daß das Aergerniß seines Betroffenwerdens bei der Pfarrmagd vermieden worden war, konnte er nicht dankbar genug bewundern und preisen. Er ging vorwärts und sog in durstigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/110
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/110>, abgerufen am 18.05.2024.