Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem Leid sich Leid erzeugen, sie weidet sich an dem Opfer und scheint der Verfolgung gar nicht satt werden zu können. --

Tobias schlief ununterbrochen bis zum hellen Morgen. Als er erwachte, hatte er ein dumpfes Gefühl von körperlichem und geistigem Weh. Er erinnerte sich, die Erlebnisse der vergangenen Nacht traten vor seine Seele bis zum letzten, und die erlittene Schmach ging ihm siedendheiß durch den Leib. Er athmete schwer und sah, aufs Tiefste gekränkt und gequält, vor sich hin.

Von den Empfindungen, die in schmerzender Verwirrung durch seine Seele gingen, blieb zuletzt eine stehen. Er hatte etwas erfahren, das sich Niemand gefallen lassen darf, wenn noch ein Funke von Ehrgefühl in ihm ist. Eine solche Behandlung durfte nicht mehr vorkommen, er durfte sie nicht dulden -- und wenn Alles zu Grunde ging! -- Aus der Pein und der Entrüstung erhob sich ein Geist des Trotzes in ihm; ein Durst nach Rache erfaßte ihn, und er befriedigte sein Gemüth nur durch den festen Entschluß: nun auf keinen Fall nachzugeben, sondern der Bäbe treu zu bleiben, und wenn sich die ganze Welt darüber zu Tod ärgerte!

Das Aergste war geschehen. Der Vater hatte ihn gezüchtigt wie einen Buben, hatte ihn über alle Begriffe schmählich tractirt. Was konnte ihm jetzt noch widerfahren? Was hatte er noch zu verlieren? -- Jetzt ging's in Einem hin, was noch geschah. Auf etwas

aus dem Leid sich Leid erzeugen, sie weidet sich an dem Opfer und scheint der Verfolgung gar nicht satt werden zu können. —

Tobias schlief ununterbrochen bis zum hellen Morgen. Als er erwachte, hatte er ein dumpfes Gefühl von körperlichem und geistigem Weh. Er erinnerte sich, die Erlebnisse der vergangenen Nacht traten vor seine Seele bis zum letzten, und die erlittene Schmach ging ihm siedendheiß durch den Leib. Er athmete schwer und sah, aufs Tiefste gekränkt und gequält, vor sich hin.

Von den Empfindungen, die in schmerzender Verwirrung durch seine Seele gingen, blieb zuletzt eine stehen. Er hatte etwas erfahren, das sich Niemand gefallen lassen darf, wenn noch ein Funke von Ehrgefühl in ihm ist. Eine solche Behandlung durfte nicht mehr vorkommen, er durfte sie nicht dulden — und wenn Alles zu Grunde ging! — Aus der Pein und der Entrüstung erhob sich ein Geist des Trotzes in ihm; ein Durst nach Rache erfaßte ihn, und er befriedigte sein Gemüth nur durch den festen Entschluß: nun auf keinen Fall nachzugeben, sondern der Bäbe treu zu bleiben, und wenn sich die ganze Welt darüber zu Tod ärgerte!

Das Aergste war geschehen. Der Vater hatte ihn gezüchtigt wie einen Buben, hatte ihn über alle Begriffe schmählich tractirt. Was konnte ihm jetzt noch widerfahren? Was hatte er noch zu verlieren? — Jetzt ging's in Einem hin, was noch geschah. Auf etwas

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0116"/>
aus dem Leid sich Leid erzeugen, sie weidet sich an dem Opfer und      scheint der Verfolgung gar nicht satt werden zu können. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Tobias schlief ununterbrochen bis zum hellen Morgen. Als er erwachte, hatte er ein dumpfes      Gefühl von körperlichem und geistigem Weh. Er erinnerte sich, die Erlebnisse der vergangenen      Nacht traten vor seine Seele bis zum letzten, und die erlittene Schmach ging ihm siedendheiß      durch den Leib. Er athmete schwer und sah, aufs Tiefste gekränkt und gequält, vor sich hin.</p><lb/>
        <p>Von den Empfindungen, die in schmerzender Verwirrung durch seine Seele gingen, blieb zuletzt      eine stehen. Er hatte etwas erfahren, das sich Niemand gefallen lassen darf, wenn noch ein      Funke von Ehrgefühl in ihm ist. Eine solche Behandlung durfte nicht mehr vorkommen, er durfte      sie nicht dulden &#x2014; und wenn Alles zu Grunde ging! &#x2014; Aus der Pein und der Entrüstung erhob sich      ein Geist des Trotzes in ihm; ein Durst nach Rache erfaßte ihn, und er befriedigte sein Gemüth      nur durch den festen Entschluß: nun auf keinen Fall nachzugeben, sondern der Bäbe treu zu      bleiben, und wenn sich die ganze Welt darüber zu Tod ärgerte!</p><lb/>
        <p>Das Aergste war geschehen. Der Vater hatte ihn gezüchtigt wie einen Buben, hatte ihn über      alle Begriffe schmählich tractirt. Was konnte ihm jetzt noch widerfahren? Was hatte er noch zu      verlieren? &#x2014; Jetzt ging's in Einem hin, was noch geschah. Auf etwas<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] aus dem Leid sich Leid erzeugen, sie weidet sich an dem Opfer und scheint der Verfolgung gar nicht satt werden zu können. — Tobias schlief ununterbrochen bis zum hellen Morgen. Als er erwachte, hatte er ein dumpfes Gefühl von körperlichem und geistigem Weh. Er erinnerte sich, die Erlebnisse der vergangenen Nacht traten vor seine Seele bis zum letzten, und die erlittene Schmach ging ihm siedendheiß durch den Leib. Er athmete schwer und sah, aufs Tiefste gekränkt und gequält, vor sich hin. Von den Empfindungen, die in schmerzender Verwirrung durch seine Seele gingen, blieb zuletzt eine stehen. Er hatte etwas erfahren, das sich Niemand gefallen lassen darf, wenn noch ein Funke von Ehrgefühl in ihm ist. Eine solche Behandlung durfte nicht mehr vorkommen, er durfte sie nicht dulden — und wenn Alles zu Grunde ging! — Aus der Pein und der Entrüstung erhob sich ein Geist des Trotzes in ihm; ein Durst nach Rache erfaßte ihn, und er befriedigte sein Gemüth nur durch den festen Entschluß: nun auf keinen Fall nachzugeben, sondern der Bäbe treu zu bleiben, und wenn sich die ganze Welt darüber zu Tod ärgerte! Das Aergste war geschehen. Der Vater hatte ihn gezüchtigt wie einen Buben, hatte ihn über alle Begriffe schmählich tractirt. Was konnte ihm jetzt noch widerfahren? Was hatte er noch zu verlieren? — Jetzt ging's in Einem hin, was noch geschah. Auf etwas

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/116
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/116>, abgerufen am 17.09.2024.