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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Als das Lied begann, dachte Niemand mehr an den Schneider.

Er fing an, sich zu gewöhnen, und sang kräftig mit. Plötzlich traf ihn ein anderer Gedanke. Wenn der Pfarrer selbst etwas wußte und von der Kanzel her seinen Blick auf ihn richtete -- oder gar in der Predigt eine Anspielung auf ihn machte, wie das schon vorgekommen war? Und wenn dann erst recht Alles auf ihn sah und er dastand wie ein Gerichteter? -- Aengstlich und bekümmert folgte er dem Gange des Gottesdienstes. Bei Lesung des Textes ging ihm ein Stich durchs Herz: es war die Parabel vom verlorenen Schaf! Wie leicht war da eine Hindeutung auf ihn! -- Er bebte merkbar, und nur mit der größten Anstrengung gelang es ihm, die Empfindungen, die ihn in Bewegung setzten, nicht ganz deutlich werden zu lassen. -- Die zweite Sorge war indessen noch unnützer als die erste. Der Pfarrer hielt eine warme, herzliche Rede, die sich durchaus im Allgemeinen bewegte, und Tobias fing an zu begreifen, daß, wenn seiner darin gedacht worden wäre, dies für ihn nur ehrenvoll hätte sein können.

Viel ruhiger, als er sie betreten, verließ er die Kirche. Auf dem Heimwege sah er zwar noch einige lächelnde Gesichter, aber die Heiterkeit derselben schien ihm doch viel weniger boshaft zu sein, und er empfand sie denn auch viel weniger peinlich. -- In einer mittleren Stimmung kam er nach Hause und behauptete dieselbe während des Mittagessens. Später lockte ihn das

Als das Lied begann, dachte Niemand mehr an den Schneider.

Er fing an, sich zu gewöhnen, und sang kräftig mit. Plötzlich traf ihn ein anderer Gedanke. Wenn der Pfarrer selbst etwas wußte und von der Kanzel her seinen Blick auf ihn richtete — oder gar in der Predigt eine Anspielung auf ihn machte, wie das schon vorgekommen war? Und wenn dann erst recht Alles auf ihn sah und er dastand wie ein Gerichteter? — Aengstlich und bekümmert folgte er dem Gange des Gottesdienstes. Bei Lesung des Textes ging ihm ein Stich durchs Herz: es war die Parabel vom verlorenen Schaf! Wie leicht war da eine Hindeutung auf ihn! — Er bebte merkbar, und nur mit der größten Anstrengung gelang es ihm, die Empfindungen, die ihn in Bewegung setzten, nicht ganz deutlich werden zu lassen. — Die zweite Sorge war indessen noch unnützer als die erste. Der Pfarrer hielt eine warme, herzliche Rede, die sich durchaus im Allgemeinen bewegte, und Tobias fing an zu begreifen, daß, wenn seiner darin gedacht worden wäre, dies für ihn nur ehrenvoll hätte sein können.

Viel ruhiger, als er sie betreten, verließ er die Kirche. Auf dem Heimwege sah er zwar noch einige lächelnde Gesichter, aber die Heiterkeit derselben schien ihm doch viel weniger boshaft zu sein, und er empfand sie denn auch viel weniger peinlich. — In einer mittleren Stimmung kam er nach Hause und behauptete dieselbe während des Mittagessens. Später lockte ihn das

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[0134] Als das Lied begann, dachte Niemand mehr an den Schneider. Er fing an, sich zu gewöhnen, und sang kräftig mit. Plötzlich traf ihn ein anderer Gedanke. Wenn der Pfarrer selbst etwas wußte und von der Kanzel her seinen Blick auf ihn richtete — oder gar in der Predigt eine Anspielung auf ihn machte, wie das schon vorgekommen war? Und wenn dann erst recht Alles auf ihn sah und er dastand wie ein Gerichteter? — Aengstlich und bekümmert folgte er dem Gange des Gottesdienstes. Bei Lesung des Textes ging ihm ein Stich durchs Herz: es war die Parabel vom verlorenen Schaf! Wie leicht war da eine Hindeutung auf ihn! — Er bebte merkbar, und nur mit der größten Anstrengung gelang es ihm, die Empfindungen, die ihn in Bewegung setzten, nicht ganz deutlich werden zu lassen. — Die zweite Sorge war indessen noch unnützer als die erste. Der Pfarrer hielt eine warme, herzliche Rede, die sich durchaus im Allgemeinen bewegte, und Tobias fing an zu begreifen, daß, wenn seiner darin gedacht worden wäre, dies für ihn nur ehrenvoll hätte sein können. Viel ruhiger, als er sie betreten, verließ er die Kirche. Auf dem Heimwege sah er zwar noch einige lächelnde Gesichter, aber die Heiterkeit derselben schien ihm doch viel weniger boshaft zu sein, und er empfand sie denn auch viel weniger peinlich. — In einer mittleren Stimmung kam er nach Hause und behauptete dieselbe während des Mittagessens. Später lockte ihn das

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/134>, abgerufen am 22.12.2024.