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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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denn da kann's einem immer besser gehen, und Gott weiß, wie weit man's noch bringen, und was man da am Ende noch werden kann. Denn da ist kein solches Lumpenleben wie bei euch in Deutschland!"

Als Tobias so weit gekommen war, hielt er inne. Der Andres war in der Schule einer der Besten gewesen, obwohl nicht so fleißig, wie er -- ein gescheidter, lustiger, später indeß zum Leichtsinn, zum "Prangen" (Prahlen) und Rechthaben geneigter Bursch, der nicht überall gutthat und schon im Ries mehrfach die Plätze gewechselt hatte. Daß er nun so schreiben konnte, war doch auffallend! Das hatte Alles Händ' und Füß' und klang so vornehm! Der Stolz namentlich in der letzten Zeile flößte ihm Respect ein und erregte sein ganzes Wesen. Er sah mit Ernst auf den Tisch. Die Alte, die aus dem Bisherigen nur das Geschick und Glück ihres Sohnes herausgehört hatte, war erfreut, gerührt, und ermunterte, nach Mehr begierig, zum Weiterlesen.

Tobias las eine Schilderung des Dienstes. Wie er an die Summe kam, welche der Andres täglich erhielt, entfuhr ihm ein Schrei der Ueberraschung -- es war viermal so viel, als er im besten Fall mit der Nadel verdiente! Was muß das für ein Land sein! murmelte er und las weiter. "Das Leben ist freilich auch theurer, als bei euch; aber man lebt besser und kann sich doch noch etwas ersparen. Wer etwas gelernt hat und brav arbeitet, der muß hier vorwärts kommen, es kann sich gar nicht fehlen -- besonders, wenn Einer ein Hand-

denn da kann's einem immer besser gehen, und Gott weiß, wie weit man's noch bringen, und was man da am Ende noch werden kann. Denn da ist kein solches Lumpenleben wie bei euch in Deutschland!“

Als Tobias so weit gekommen war, hielt er inne. Der Andres war in der Schule einer der Besten gewesen, obwohl nicht so fleißig, wie er — ein gescheidter, lustiger, später indeß zum Leichtsinn, zum „Prangen“ (Prahlen) und Rechthaben geneigter Bursch, der nicht überall gutthat und schon im Ries mehrfach die Plätze gewechselt hatte. Daß er nun so schreiben konnte, war doch auffallend! Das hatte Alles Händ' und Füß' und klang so vornehm! Der Stolz namentlich in der letzten Zeile flößte ihm Respect ein und erregte sein ganzes Wesen. Er sah mit Ernst auf den Tisch. Die Alte, die aus dem Bisherigen nur das Geschick und Glück ihres Sohnes herausgehört hatte, war erfreut, gerührt, und ermunterte, nach Mehr begierig, zum Weiterlesen.

Tobias las eine Schilderung des Dienstes. Wie er an die Summe kam, welche der Andres täglich erhielt, entfuhr ihm ein Schrei der Ueberraschung — es war viermal so viel, als er im besten Fall mit der Nadel verdiente! Was muß das für ein Land sein! murmelte er und las weiter. „Das Leben ist freilich auch theurer, als bei euch; aber man lebt besser und kann sich doch noch etwas ersparen. Wer etwas gelernt hat und brav arbeitet, der muß hier vorwärts kommen, es kann sich gar nicht fehlen — besonders, wenn Einer ein Hand-

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/161>, abgerufen am 18.05.2024.