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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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daß der alte Herr von dem Vorgange in seinem Hause keine Ahnung hatte, und verlangend, der so sehr gerühmten Bäbe, allenfalls auch der Frau Pfarrerin, etwas hinauszugeben, fuhr er fort: Und dann, Herr Pfarrer, denkt man eben auch: im Pfarrhause lernt man gute Sitten und einen frommen Lebenswandel -- und das ist am End' doch die Hauptsach'! -- Die Pfarrerin warf einen Blick auf ihn, als ob sie sagen wollte: Du impertinenter Spitzbube! während das Mädchen ein wenig betroffen zu Boden sah. Der alte Herr dagegen nickte, wie zu einem Ausspruch, dem er aufs Innigste beistimmte. Ja, ja, Eber, versetzte er würdig, da habt Ihr Recht! Und es ist wahr, die Bäbe hat bei uns etwas gelernt, so kurze Zeit sie da ist, und macht jetzt dem Pfarrhause Ehre. Sie ist brav, thätig, gehorsam, gutwillig -- und hat sich immer musterhaft aufgeführt.

Das war der Pfarrerin denn doch zu bunt; unfähig, ihr Gerechtigkeitsgefühl länger zurückzuhalten, bemerkte sie: Nun, nun, so ganz ohne Geschichten, die man gern anders gewünscht hätte, ist's doch nicht abgegangen! Fehler hat sie schon auch gemacht, und ein ganzer Engel ist sie grad' nicht! -- Der alte Herr, mit dem wohlwollend satirischen Lächeln eines Mannes, der seine Hälfte necken will, entgegnete: Ja freilich, ihr Frauen wißt immer was und habt immer was zu klagen. Euch kann man nie genug thun! Aber, setzte er gegen die beiden Schneider gewendet hinzu, gegen mich ist sie immer gut und dienstwillig gewesen, und ich hab' nie was Un-

daß der alte Herr von dem Vorgange in seinem Hause keine Ahnung hatte, und verlangend, der so sehr gerühmten Bäbe, allenfalls auch der Frau Pfarrerin, etwas hinauszugeben, fuhr er fort: Und dann, Herr Pfarrer, denkt man eben auch: im Pfarrhause lernt man gute Sitten und einen frommen Lebenswandel — und das ist am End' doch die Hauptsach'! — Die Pfarrerin warf einen Blick auf ihn, als ob sie sagen wollte: Du impertinenter Spitzbube! während das Mädchen ein wenig betroffen zu Boden sah. Der alte Herr dagegen nickte, wie zu einem Ausspruch, dem er aufs Innigste beistimmte. Ja, ja, Eber, versetzte er würdig, da habt Ihr Recht! Und es ist wahr, die Bäbe hat bei uns etwas gelernt, so kurze Zeit sie da ist, und macht jetzt dem Pfarrhause Ehre. Sie ist brav, thätig, gehorsam, gutwillig — und hat sich immer musterhaft aufgeführt.

Das war der Pfarrerin denn doch zu bunt; unfähig, ihr Gerechtigkeitsgefühl länger zurückzuhalten, bemerkte sie: Nun, nun, so ganz ohne Geschichten, die man gern anders gewünscht hätte, ist's doch nicht abgegangen! Fehler hat sie schon auch gemacht, und ein ganzer Engel ist sie grad' nicht! — Der alte Herr, mit dem wohlwollend satirischen Lächeln eines Mannes, der seine Hälfte necken will, entgegnete: Ja freilich, ihr Frauen wißt immer was und habt immer was zu klagen. Euch kann man nie genug thun! Aber, setzte er gegen die beiden Schneider gewendet hinzu, gegen mich ist sie immer gut und dienstwillig gewesen, und ich hab' nie was Un-

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[0197] daß der alte Herr von dem Vorgange in seinem Hause keine Ahnung hatte, und verlangend, der so sehr gerühmten Bäbe, allenfalls auch der Frau Pfarrerin, etwas hinauszugeben, fuhr er fort: Und dann, Herr Pfarrer, denkt man eben auch: im Pfarrhause lernt man gute Sitten und einen frommen Lebenswandel — und das ist am End' doch die Hauptsach'! — Die Pfarrerin warf einen Blick auf ihn, als ob sie sagen wollte: Du impertinenter Spitzbube! während das Mädchen ein wenig betroffen zu Boden sah. Der alte Herr dagegen nickte, wie zu einem Ausspruch, dem er aufs Innigste beistimmte. Ja, ja, Eber, versetzte er würdig, da habt Ihr Recht! Und es ist wahr, die Bäbe hat bei uns etwas gelernt, so kurze Zeit sie da ist, und macht jetzt dem Pfarrhause Ehre. Sie ist brav, thätig, gehorsam, gutwillig — und hat sich immer musterhaft aufgeführt. Das war der Pfarrerin denn doch zu bunt; unfähig, ihr Gerechtigkeitsgefühl länger zurückzuhalten, bemerkte sie: Nun, nun, so ganz ohne Geschichten, die man gern anders gewünscht hätte, ist's doch nicht abgegangen! Fehler hat sie schon auch gemacht, und ein ganzer Engel ist sie grad' nicht! — Der alte Herr, mit dem wohlwollend satirischen Lächeln eines Mannes, der seine Hälfte necken will, entgegnete: Ja freilich, ihr Frauen wißt immer was und habt immer was zu klagen. Euch kann man nie genug thun! Aber, setzte er gegen die beiden Schneider gewendet hinzu, gegen mich ist sie immer gut und dienstwillig gewesen, und ich hab' nie was Un-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/197>, abgerufen am 18.05.2024.