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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ortes fand, konnte es auffallen, daß er mit keiner in ein Verhältniß verflochten wurde. Das lag aber in einer Eigenheit seines Wesens, die er nur ganz im Geheimen pflegte: in einem besonders feinen Geschmack und in ungewöhnlichen Ansprüchen, die er machen zu können glaubte. Er wollte zum Schatz und zum Weib etwas Apartes, ein Mädchen, das ihm ganz und gar gefiel und in jeder Beziehung Ehre machte -- und so Eine konnte er unter den Dorfkindern, so weit sie für ihn erreichbar waren, dermalen nicht finden. Durch Reden Erfahrener, durch Lieder und durch Erzählungsbücher, wie sie auch dem Bauer in die Hand gelangen, hatte er einen höhern Begriff von der Liebe erhalten, und er setzte nun bei sich fest, nur eine Solche zu nehmen, die er liebte, wie es im Buche stand. Die Freundlichkeit der Mädchen mit Artigkeit erwidernd, freute er sich ihrer und that sich in munterer Stimmung an der Seite der guten Geschöpfe recht von Herzen gütlich; aber er band sich nicht, weil ihm eben am Ende doch Keine gut genug war. So täuschte er hie und da eine Hoffnung, stürzte indessen keine der Enttäuschten in Verzweiflung, weil die Liebesdesperation auf dem Lande, des vorherrschend gesunden Sinnes und der Leichtigkeit des Ersatzes wegen, überhaupt nicht sehr üblich ist.

Eine indeß richtete ihr Absehen länger auf ihn und hatte von seiner Kaltsinnigkeit auch zu leiden, weil er ihr besonders anständig war und ein Anderer, der sie hätte trösten können, ausblieb. Es war die Tochter

Ortes fand, konnte es auffallen, daß er mit keiner in ein Verhältniß verflochten wurde. Das lag aber in einer Eigenheit seines Wesens, die er nur ganz im Geheimen pflegte: in einem besonders feinen Geschmack und in ungewöhnlichen Ansprüchen, die er machen zu können glaubte. Er wollte zum Schatz und zum Weib etwas Apartes, ein Mädchen, das ihm ganz und gar gefiel und in jeder Beziehung Ehre machte — und so Eine konnte er unter den Dorfkindern, so weit sie für ihn erreichbar waren, dermalen nicht finden. Durch Reden Erfahrener, durch Lieder und durch Erzählungsbücher, wie sie auch dem Bauer in die Hand gelangen, hatte er einen höhern Begriff von der Liebe erhalten, und er setzte nun bei sich fest, nur eine Solche zu nehmen, die er liebte, wie es im Buche stand. Die Freundlichkeit der Mädchen mit Artigkeit erwidernd, freute er sich ihrer und that sich in munterer Stimmung an der Seite der guten Geschöpfe recht von Herzen gütlich; aber er band sich nicht, weil ihm eben am Ende doch Keine gut genug war. So täuschte er hie und da eine Hoffnung, stürzte indessen keine der Enttäuschten in Verzweiflung, weil die Liebesdesperation auf dem Lande, des vorherrschend gesunden Sinnes und der Leichtigkeit des Ersatzes wegen, überhaupt nicht sehr üblich ist.

Eine indeß richtete ihr Absehen länger auf ihn und hatte von seiner Kaltsinnigkeit auch zu leiden, weil er ihr besonders anständig war und ein Anderer, der sie hätte trösten können, ausblieb. Es war die Tochter

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Ortes fand, konnte es auffallen, daß er mit      keiner in ein Verhältniß verflochten wurde. Das lag aber in einer Eigenheit seines Wesens, die      er nur ganz im Geheimen pflegte: in einem besonders feinen Geschmack und in ungewöhnlichen      Ansprüchen, die er machen zu können glaubte. Er wollte zum Schatz und zum Weib etwas Apartes,      ein Mädchen, das ihm ganz und gar gefiel und in jeder Beziehung Ehre machte &#x2014; und so Eine      konnte er unter den Dorfkindern, so weit sie für ihn erreichbar waren, dermalen nicht finden.      Durch Reden Erfahrener, durch Lieder und durch Erzählungsbücher, wie sie auch dem Bauer in die      Hand gelangen, hatte er einen höhern Begriff von der Liebe erhalten, und er setzte nun bei sich      fest, nur eine Solche zu nehmen, die er liebte, wie es im Buche stand. Die Freundlichkeit der      Mädchen mit Artigkeit erwidernd, freute er sich ihrer und that sich in munterer Stimmung an der      Seite der guten Geschöpfe recht von Herzen gütlich; aber er band sich nicht, weil ihm eben am      Ende doch Keine gut genug war. So täuschte er hie und da eine Hoffnung, stürzte indessen keine      der Enttäuschten in Verzweiflung, weil die Liebesdesperation auf dem Lande, des vorherrschend      gesunden Sinnes und der Leichtigkeit des Ersatzes wegen, überhaupt nicht sehr üblich ist.</p><lb/>
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[0021] Ortes fand, konnte es auffallen, daß er mit keiner in ein Verhältniß verflochten wurde. Das lag aber in einer Eigenheit seines Wesens, die er nur ganz im Geheimen pflegte: in einem besonders feinen Geschmack und in ungewöhnlichen Ansprüchen, die er machen zu können glaubte. Er wollte zum Schatz und zum Weib etwas Apartes, ein Mädchen, das ihm ganz und gar gefiel und in jeder Beziehung Ehre machte — und so Eine konnte er unter den Dorfkindern, so weit sie für ihn erreichbar waren, dermalen nicht finden. Durch Reden Erfahrener, durch Lieder und durch Erzählungsbücher, wie sie auch dem Bauer in die Hand gelangen, hatte er einen höhern Begriff von der Liebe erhalten, und er setzte nun bei sich fest, nur eine Solche zu nehmen, die er liebte, wie es im Buche stand. Die Freundlichkeit der Mädchen mit Artigkeit erwidernd, freute er sich ihrer und that sich in munterer Stimmung an der Seite der guten Geschöpfe recht von Herzen gütlich; aber er band sich nicht, weil ihm eben am Ende doch Keine gut genug war. So täuschte er hie und da eine Hoffnung, stürzte indessen keine der Enttäuschten in Verzweiflung, weil die Liebesdesperation auf dem Lande, des vorherrschend gesunden Sinnes und der Leichtigkeit des Ersatzes wegen, überhaupt nicht sehr üblich ist. Eine indeß richtete ihr Absehen länger auf ihn und hatte von seiner Kaltsinnigkeit auch zu leiden, weil er ihr besonders anständig war und ein Anderer, der sie hätte trösten können, ausblieb. Es war die Tochter

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/21>, abgerufen am 05.05.2024.