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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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andern kaum mehr unterscheiden konnte; das robuste Gesicht, letzthin schon von Wunsch und Sehnsucht erweicht und durchglänzt, erlangte in der Verliebtheit, die er sich immer größer denken mußte, einen beinahe schönen Ausdruck. Noch eine Zusammenkunft und dazu die Beihülfe guter Geister -- und Sibylle war glücklich, der Schneider gefangen.

Da geschah es, daß die bisherige Pfarrmagd ihren Dienst verließ und an ihre Stelle ein Mädchen kam, die, aus dem benachbarten Kesselthal gebürtig, das letzte Jahr in Ulm gedient hatte und der Pfarrerin von dort recommandirt worden war. Tobias, der dem geistlichen Herrn einen ausgebesserten Rock heimzutragen hatte, sah sie, sprach sie -- und kam als ein Verwandelter nach Hause.

Barbara, rieserisch Bäbe, war aus einem protestantischen Dorfe jenes Thals, das von bewaldeten Anhöhen eingeschlossen, von der kleinen, mühlentreibenden Kessel durchströmt ist, und dessen Bewohner, obwohl sie einzelne Ausdrücke und Manieren für sich haben, im Ganzen von den Riesern wenig unterschieden sind. Das Kind unbemittelter Eltern, hatte sie früh dienen müssen, aber gute Häuser gefunden und als regsames Mädchen endlich in der Stadt ihre Geschicklichkeit vervollkommnet. Bei dem Ruf in das Dorf war ihre Neigung zum Landleben wieder erwacht, und sie gab ihr nach -- vielleicht getrieben von dem Geschick, das eben hier eine Lebenswendung für sie bereit hatte.

andern kaum mehr unterscheiden konnte; das robuste Gesicht, letzthin schon von Wunsch und Sehnsucht erweicht und durchglänzt, erlangte in der Verliebtheit, die er sich immer größer denken mußte, einen beinahe schönen Ausdruck. Noch eine Zusammenkunft und dazu die Beihülfe guter Geister — und Sibylle war glücklich, der Schneider gefangen.

Da geschah es, daß die bisherige Pfarrmagd ihren Dienst verließ und an ihre Stelle ein Mädchen kam, die, aus dem benachbarten Kesselthal gebürtig, das letzte Jahr in Ulm gedient hatte und der Pfarrerin von dort recommandirt worden war. Tobias, der dem geistlichen Herrn einen ausgebesserten Rock heimzutragen hatte, sah sie, sprach sie — und kam als ein Verwandelter nach Hause.

Barbara, rieserisch Bäbe, war aus einem protestantischen Dorfe jenes Thals, das von bewaldeten Anhöhen eingeschlossen, von der kleinen, mühlentreibenden Kessel durchströmt ist, und dessen Bewohner, obwohl sie einzelne Ausdrücke und Manieren für sich haben, im Ganzen von den Riesern wenig unterschieden sind. Das Kind unbemittelter Eltern, hatte sie früh dienen müssen, aber gute Häuser gefunden und als regsames Mädchen endlich in der Stadt ihre Geschicklichkeit vervollkommnet. Bei dem Ruf in das Dorf war ihre Neigung zum Landleben wieder erwacht, und sie gab ihr nach — vielleicht getrieben von dem Geschick, das eben hier eine Lebenswendung für sie bereit hatte.

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[0026] andern kaum mehr unterscheiden konnte; das robuste Gesicht, letzthin schon von Wunsch und Sehnsucht erweicht und durchglänzt, erlangte in der Verliebtheit, die er sich immer größer denken mußte, einen beinahe schönen Ausdruck. Noch eine Zusammenkunft und dazu die Beihülfe guter Geister — und Sibylle war glücklich, der Schneider gefangen. Da geschah es, daß die bisherige Pfarrmagd ihren Dienst verließ und an ihre Stelle ein Mädchen kam, die, aus dem benachbarten Kesselthal gebürtig, das letzte Jahr in Ulm gedient hatte und der Pfarrerin von dort recommandirt worden war. Tobias, der dem geistlichen Herrn einen ausgebesserten Rock heimzutragen hatte, sah sie, sprach sie — und kam als ein Verwandelter nach Hause. Barbara, rieserisch Bäbe, war aus einem protestantischen Dorfe jenes Thals, das von bewaldeten Anhöhen eingeschlossen, von der kleinen, mühlentreibenden Kessel durchströmt ist, und dessen Bewohner, obwohl sie einzelne Ausdrücke und Manieren für sich haben, im Ganzen von den Riesern wenig unterschieden sind. Das Kind unbemittelter Eltern, hatte sie früh dienen müssen, aber gute Häuser gefunden und als regsames Mädchen endlich in der Stadt ihre Geschicklichkeit vervollkommnet. Bei dem Ruf in das Dorf war ihre Neigung zum Landleben wieder erwacht, und sie gab ihr nach — vielleicht getrieben von dem Geschick, das eben hier eine Lebenswendung für sie bereit hatte.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/26>, abgerufen am 05.05.2024.