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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mögen! Doch die Zeit war gekommen, er mußte der Geliebten den Weg bereiten; mit sachten Tritten begab er sich in den Hof und von hier in den Garten. Möglichst unbefangen ging er zu der schadhaften Stelle der Hecke, machte sie durch Knicken und Zurechtbiegen hindernder Aeste zum Eingehen noch etwas bequemer und kehrte zurück, um sich hinter die Laube zu stellen. Und in Kurzem vernahm er ein feines Geräusch; ein freudiger Schreck durchfuhr ihn; er lugte vor und sah die Bäbe leicht und rasch übers Gras, durch die Bäume herwandeln.

Mit leisem Gruße, kurz Athem holend, stellte sie sich zu ihm. Die Bewegung, in die das Wagniß am noch hellen Tag auch ihr Gemüth versetzt hatte, gab ihr eine feinere Röthe und ließ ihr ganzes Wesen ätherischer erscheinen -- Tobias war von ihrer Schönheit ordentlich geblendet. Sie reichte ihm zärtlich lächelnd die Hand, er drückte sie, die Augen Beider erglänzten -- halb zog sie ihn, halb sank er hin -- und auf einmal hingen sie im ersten, brennenden Liebeskusse zusammen. Ach, so ein Kuß, im Augenblick des innigsten Verlangens gegeben und empfangen, ist sicher das höchste Glück, das den Sterblichen auf Erden vergönnt ist, und wenn auch nur von der Dauer eines Blitzes, dennoch werth, daß Alles dafür gewagt und Alles dafür erduldet werde! --

Tobias, die Geliebte betrachtend, die im hübschen Sonntagskleide wunderbar vor der grünen Laube stand, rief in tiefgefühltem Flüsterton: O Bäbe, wie kann man

mögen! Doch die Zeit war gekommen, er mußte der Geliebten den Weg bereiten; mit sachten Tritten begab er sich in den Hof und von hier in den Garten. Möglichst unbefangen ging er zu der schadhaften Stelle der Hecke, machte sie durch Knicken und Zurechtbiegen hindernder Aeste zum Eingehen noch etwas bequemer und kehrte zurück, um sich hinter die Laube zu stellen. Und in Kurzem vernahm er ein feines Geräusch; ein freudiger Schreck durchfuhr ihn; er lugte vor und sah die Bäbe leicht und rasch übers Gras, durch die Bäume herwandeln.

Mit leisem Gruße, kurz Athem holend, stellte sie sich zu ihm. Die Bewegung, in die das Wagniß am noch hellen Tag auch ihr Gemüth versetzt hatte, gab ihr eine feinere Röthe und ließ ihr ganzes Wesen ätherischer erscheinen — Tobias war von ihrer Schönheit ordentlich geblendet. Sie reichte ihm zärtlich lächelnd die Hand, er drückte sie, die Augen Beider erglänzten — halb zog sie ihn, halb sank er hin — und auf einmal hingen sie im ersten, brennenden Liebeskusse zusammen. Ach, so ein Kuß, im Augenblick des innigsten Verlangens gegeben und empfangen, ist sicher das höchste Glück, das den Sterblichen auf Erden vergönnt ist, und wenn auch nur von der Dauer eines Blitzes, dennoch werth, daß Alles dafür gewagt und Alles dafür erduldet werde! —

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[0050] mögen! Doch die Zeit war gekommen, er mußte der Geliebten den Weg bereiten; mit sachten Tritten begab er sich in den Hof und von hier in den Garten. Möglichst unbefangen ging er zu der schadhaften Stelle der Hecke, machte sie durch Knicken und Zurechtbiegen hindernder Aeste zum Eingehen noch etwas bequemer und kehrte zurück, um sich hinter die Laube zu stellen. Und in Kurzem vernahm er ein feines Geräusch; ein freudiger Schreck durchfuhr ihn; er lugte vor und sah die Bäbe leicht und rasch übers Gras, durch die Bäume herwandeln. Mit leisem Gruße, kurz Athem holend, stellte sie sich zu ihm. Die Bewegung, in die das Wagniß am noch hellen Tag auch ihr Gemüth versetzt hatte, gab ihr eine feinere Röthe und ließ ihr ganzes Wesen ätherischer erscheinen — Tobias war von ihrer Schönheit ordentlich geblendet. Sie reichte ihm zärtlich lächelnd die Hand, er drückte sie, die Augen Beider erglänzten — halb zog sie ihn, halb sank er hin — und auf einmal hingen sie im ersten, brennenden Liebeskusse zusammen. Ach, so ein Kuß, im Augenblick des innigsten Verlangens gegeben und empfangen, ist sicher das höchste Glück, das den Sterblichen auf Erden vergönnt ist, und wenn auch nur von der Dauer eines Blitzes, dennoch werth, daß Alles dafür gewagt und Alles dafür erduldet werde! — Tobias, die Geliebte betrachtend, die im hübschen Sonntagskleide wunderbar vor der grünen Laube stand, rief in tiefgefühltem Flüsterton: O Bäbe, wie kann man

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/50>, abgerufen am 22.12.2024.