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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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er hinter dem Hause verschwand. Hatte dieser sie gesehen und wollte sie verrathen? -- Es konnte nicht sein. Er war nur im Hof, nicht im Garten gewesen -- und wie hätte er sie hinter dem Gebüsch wahrnehmen können? Offenbar hatte er nur etwas vergessen gehabt, was ihm schon öfters passirt war, und suchte jetzt wieder die Kameraden auf.

Tobias kehrte zurück. Es ist nichts, sagte er zu der Bäbe. Auch auf dem Feld ist Niemand -- wir können ganz außer Sorge sein. -- Erheitert schaute das Mädchen den Wackern an, der bei erneuter Röthe des Gesichts und entsprechendem Selbstgefühl wegen bewiesener Geistesgegenwart ein stattlicheres Ansehen erlangt hatte. Sie freute sich, daß er der Gefahr so beherzt entgegengegangen war um sie zu beruhigen, und belohnte ihn mit einem Blick voll Erkenntlichkeit. Dann fragte sie: Du bist so gut, Tobias; -- hast du mich denn wirklich so gern? -- Wie kannst du nur so fragen, rief Tobias. Ins Feuer thät' ich gehen für dich, wenn's nöthig wär'! Umbringen ließ' ich mich -- auf der Stell'! -- Nun, entgegnete die Bäbe, so weit wird's nicht kommen! Lächelnd ließ sie ihren Blick auf ihm ruhen. Sie sah, daß er viel versprach, aber sie sah auch, daß er's aus Liebe und aus ganz ehrlichem Herzen that. Sie fühlte, daß er ihr gehörte, und gab sich schweigend der Lust dieser Empfindung hin. Nach einer kleinen Weile rief sie kindlich erfreut und empordeutend: Ei sieh! -- Eine Grasmücke hatte auf dem nächsten

er hinter dem Hause verschwand. Hatte dieser sie gesehen und wollte sie verrathen? — Es konnte nicht sein. Er war nur im Hof, nicht im Garten gewesen — und wie hätte er sie hinter dem Gebüsch wahrnehmen können? Offenbar hatte er nur etwas vergessen gehabt, was ihm schon öfters passirt war, und suchte jetzt wieder die Kameraden auf.

Tobias kehrte zurück. Es ist nichts, sagte er zu der Bäbe. Auch auf dem Feld ist Niemand — wir können ganz außer Sorge sein. — Erheitert schaute das Mädchen den Wackern an, der bei erneuter Röthe des Gesichts und entsprechendem Selbstgefühl wegen bewiesener Geistesgegenwart ein stattlicheres Ansehen erlangt hatte. Sie freute sich, daß er der Gefahr so beherzt entgegengegangen war um sie zu beruhigen, und belohnte ihn mit einem Blick voll Erkenntlichkeit. Dann fragte sie: Du bist so gut, Tobias; — hast du mich denn wirklich so gern? — Wie kannst du nur so fragen, rief Tobias. Ins Feuer thät' ich gehen für dich, wenn's nöthig wär'! Umbringen ließ' ich mich — auf der Stell'! — Nun, entgegnete die Bäbe, so weit wird's nicht kommen! Lächelnd ließ sie ihren Blick auf ihm ruhen. Sie sah, daß er viel versprach, aber sie sah auch, daß er's aus Liebe und aus ganz ehrlichem Herzen that. Sie fühlte, daß er ihr gehörte, und gab sich schweigend der Lust dieser Empfindung hin. Nach einer kleinen Weile rief sie kindlich erfreut und empordeutend: Ei sieh! — Eine Grasmücke hatte auf dem nächsten

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[0052] er hinter dem Hause verschwand. Hatte dieser sie gesehen und wollte sie verrathen? — Es konnte nicht sein. Er war nur im Hof, nicht im Garten gewesen — und wie hätte er sie hinter dem Gebüsch wahrnehmen können? Offenbar hatte er nur etwas vergessen gehabt, was ihm schon öfters passirt war, und suchte jetzt wieder die Kameraden auf. Tobias kehrte zurück. Es ist nichts, sagte er zu der Bäbe. Auch auf dem Feld ist Niemand — wir können ganz außer Sorge sein. — Erheitert schaute das Mädchen den Wackern an, der bei erneuter Röthe des Gesichts und entsprechendem Selbstgefühl wegen bewiesener Geistesgegenwart ein stattlicheres Ansehen erlangt hatte. Sie freute sich, daß er der Gefahr so beherzt entgegengegangen war um sie zu beruhigen, und belohnte ihn mit einem Blick voll Erkenntlichkeit. Dann fragte sie: Du bist so gut, Tobias; — hast du mich denn wirklich so gern? — Wie kannst du nur so fragen, rief Tobias. Ins Feuer thät' ich gehen für dich, wenn's nöthig wär'! Umbringen ließ' ich mich — auf der Stell'! — Nun, entgegnete die Bäbe, so weit wird's nicht kommen! Lächelnd ließ sie ihren Blick auf ihm ruhen. Sie sah, daß er viel versprach, aber sie sah auch, daß er's aus Liebe und aus ganz ehrlichem Herzen that. Sie fühlte, daß er ihr gehörte, und gab sich schweigend der Lust dieser Empfindung hin. Nach einer kleinen Weile rief sie kindlich erfreut und empordeutend: Ei sieh! — Eine Grasmücke hatte auf dem nächsten

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/52>, abgerufen am 18.05.2024.