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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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oder Sprung erwünscht gewesen wäre. Hier, wo wir es nur mit dem Erzähler zu thun haben, müssen wir vor Allem die heitere Klarheit, den Seelenadel, die unverfälschte Innigkeit seiner Muse hervorheben, deren gewinnende Anmuth dadurch kaum beeinträchtigt wird, daß es ihren Gebilden bei aller Naturkraft mitunter ein wenig an dreister, unreflektirter Frische gebricht, daß es scheint, als liege dem Dichter daran, seine Geschichten nicht bloß zu erzählen, sondern zu beweisen. Um so mehr freuen wir uns, aus dem beliebtesten seiner dichterischen Erzeugnisse, aus den Rieser Erzählungen -- die ersten erschienen, mit allgemeinem Beifall begrüßt, im Morgenblatt, hierauf als Sammlung (jüngst in dritter Auflage), und wurden später durch die "neuen" E. a. d. N. vermehrt -- eine ausheben zu können, die ein solcher Vorwurf auch nicht von ferne trifft. In diesem ganzen Gewebe ist kein Faden, der nicht von echtem Zeuge wäre: treue Schilderung des Volkslebens ohne alle fremde Beimischung, anmuthende Frische, meisterliche Einfachheit und von Anfang bis zu Ende ein gesunder Humor. Die Scene, welche an Eginhard und Emma anstreift, darf wohl den besten Erfindungen beigezählt werden; von noch größerer aber und nicht bloß komischer Wirkung ist die Hauptscene, die den Sieg des Schwachen über den Starken darstellt -- wobei der Dichter die Haltbarkeit der veränderten Gesinnung des Besiegten, an welcher denn doch gezweifelt werden könnte, durch heimathfrohe Berufung aus die Landesart sehr glücklich verbürgt.

oder Sprung erwünscht gewesen wäre. Hier, wo wir es nur mit dem Erzähler zu thun haben, müssen wir vor Allem die heitere Klarheit, den Seelenadel, die unverfälschte Innigkeit seiner Muse hervorheben, deren gewinnende Anmuth dadurch kaum beeinträchtigt wird, daß es ihren Gebilden bei aller Naturkraft mitunter ein wenig an dreister, unreflektirter Frische gebricht, daß es scheint, als liege dem Dichter daran, seine Geschichten nicht bloß zu erzählen, sondern zu beweisen. Um so mehr freuen wir uns, aus dem beliebtesten seiner dichterischen Erzeugnisse, aus den Rieser Erzählungen — die ersten erschienen, mit allgemeinem Beifall begrüßt, im Morgenblatt, hierauf als Sammlung (jüngst in dritter Auflage), und wurden später durch die „neuen“ E. a. d. N. vermehrt — eine ausheben zu können, die ein solcher Vorwurf auch nicht von ferne trifft. In diesem ganzen Gewebe ist kein Faden, der nicht von echtem Zeuge wäre: treue Schilderung des Volkslebens ohne alle fremde Beimischung, anmuthende Frische, meisterliche Einfachheit und von Anfang bis zu Ende ein gesunder Humor. Die Scene, welche an Eginhard und Emma anstreift, darf wohl den besten Erfindungen beigezählt werden; von noch größerer aber und nicht bloß komischer Wirkung ist die Hauptscene, die den Sieg des Schwachen über den Starken darstellt — wobei der Dichter die Haltbarkeit der veränderten Gesinnung des Besiegten, an welcher denn doch gezweifelt werden könnte, durch heimathfrohe Berufung aus die Landesart sehr glücklich verbürgt.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/6>, abgerufen am 05.05.2024.