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Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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die Glocke auf dem nahen Kirchthurm so stark, wie er nie geglaubt hätte, daß es möglich wäre. Nach leichtem Schreck sich fassend, zählte er die Schläge. Es waren elf. -- Die Zeit war gekommen -- es mußte gewagt sein!

Indem er sich vorsichtig umschaute und zu seinem Troste Niemand gewahrte, schlich er zu der Hofthüre, öffnete sie, lehnte sie wieder an und zog sich hinter den Holderbaum zurück. Hier konnte er nicht gesehen werden, aber auf den Ruf der Geliebten gleich erscheinen.

Die Stille des Grabes umgab ihn. Die dunkle Nacht, die nur von einzelnen, zwischen Wolken vorblickenden Sternen erhellt war, der heilige Bezirk, in dem er sich befand, und der ganze feierliche Umkreis stimmten ihn ernst und ernster. Er begann zu überlegen, was er eigentlich im Sinn habe, und wie es ausfallen könnte. Bei tieferregter Empfindung, bei einem Geist, der durch Furcht und Sorge geschärft und zu lebhaften Vorstellungen befähigt war, sah er die Größe seines Wagnisses in hellem Licht und wurde besonders durch diejenige Seite des Unternehmens getroffen, wonach es als eine Entweihung des Pfarrhauses angesehen werden konnte. Zur Nachtzeit, heimlich wie ein Dieb, drang er in die Wohnung des Geistlichen! -- Wenn es nun unglücklich ablief? Wenn die Pfarrleute erwachten und ihn bei dem Mädchen trafen, was dachten diese von ihm? -- Daß er der unverschämteste und gottloseste Mensch sei auf der ganzen Welt! Und sie behandelten ihn, wie er's

die Glocke auf dem nahen Kirchthurm so stark, wie er nie geglaubt hätte, daß es möglich wäre. Nach leichtem Schreck sich fassend, zählte er die Schläge. Es waren elf. — Die Zeit war gekommen — es mußte gewagt sein!

Indem er sich vorsichtig umschaute und zu seinem Troste Niemand gewahrte, schlich er zu der Hofthüre, öffnete sie, lehnte sie wieder an und zog sich hinter den Holderbaum zurück. Hier konnte er nicht gesehen werden, aber auf den Ruf der Geliebten gleich erscheinen.

Die Stille des Grabes umgab ihn. Die dunkle Nacht, die nur von einzelnen, zwischen Wolken vorblickenden Sternen erhellt war, der heilige Bezirk, in dem er sich befand, und der ganze feierliche Umkreis stimmten ihn ernst und ernster. Er begann zu überlegen, was er eigentlich im Sinn habe, und wie es ausfallen könnte. Bei tieferregter Empfindung, bei einem Geist, der durch Furcht und Sorge geschärft und zu lebhaften Vorstellungen befähigt war, sah er die Größe seines Wagnisses in hellem Licht und wurde besonders durch diejenige Seite des Unternehmens getroffen, wonach es als eine Entweihung des Pfarrhauses angesehen werden konnte. Zur Nachtzeit, heimlich wie ein Dieb, drang er in die Wohnung des Geistlichen! — Wenn es nun unglücklich ablief? Wenn die Pfarrleute erwachten und ihn bei dem Mädchen trafen, was dachten diese von ihm? — Daß er der unverschämteste und gottloseste Mensch sei auf der ganzen Welt! Und sie behandelten ihn, wie er's

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[0093] die Glocke auf dem nahen Kirchthurm so stark, wie er nie geglaubt hätte, daß es möglich wäre. Nach leichtem Schreck sich fassend, zählte er die Schläge. Es waren elf. — Die Zeit war gekommen — es mußte gewagt sein! Indem er sich vorsichtig umschaute und zu seinem Troste Niemand gewahrte, schlich er zu der Hofthüre, öffnete sie, lehnte sie wieder an und zog sich hinter den Holderbaum zurück. Hier konnte er nicht gesehen werden, aber auf den Ruf der Geliebten gleich erscheinen. Die Stille des Grabes umgab ihn. Die dunkle Nacht, die nur von einzelnen, zwischen Wolken vorblickenden Sternen erhellt war, der heilige Bezirk, in dem er sich befand, und der ganze feierliche Umkreis stimmten ihn ernst und ernster. Er begann zu überlegen, was er eigentlich im Sinn habe, und wie es ausfallen könnte. Bei tieferregter Empfindung, bei einem Geist, der durch Furcht und Sorge geschärft und zu lebhaften Vorstellungen befähigt war, sah er die Größe seines Wagnisses in hellem Licht und wurde besonders durch diejenige Seite des Unternehmens getroffen, wonach es als eine Entweihung des Pfarrhauses angesehen werden konnte. Zur Nachtzeit, heimlich wie ein Dieb, drang er in die Wohnung des Geistlichen! — Wenn es nun unglücklich ablief? Wenn die Pfarrleute erwachten und ihn bei dem Mädchen trafen, was dachten diese von ihm? — Daß er der unverschämteste und gottloseste Mensch sei auf der ganzen Welt! Und sie behandelten ihn, wie er's

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

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Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/93>, abgerufen am 22.12.2024.