Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und sah umher. Wie sie den Erwarteten nicht erblickte, entschlüpfte ein aus der tiefsten Brust kommendes "Ah" ihrem Mund. In diesem "Ah" lag so viel Bedauern, so viel getäuschte Hoffnung, so viel Gekränktheit, daß es den Burschen in die Seele traf. Er ging vor und richtete seine Schritte nach der Thüre. Und nun folgte ein anderes "Ah", das Freude, Liebe, Beifall ausdrückte und auf seine Seele noch ergreifender wirkte. An dem Auftritt angekommen, bot er ihr leise guten Abend; die Bäbe rief in kräftigem Flüsterton: Komm! und winkte ihm energisch. In denselbem Moment glaubte er von der Gasse die Schritte eines Vorübergehenden zu vernehmen -- hastig stieg er hinan und trat über die Schwelle.

Es war geschehen. Der Pfad war ihm gewiesen, er konnte nicht mehr zurück und mußte vorwärts -- zum Heil oder zum Verderben. Aber wie sollte er vorwärts? Die Bäbe hatte die Thür wieder zugemacht und eingeklinkt -- tiefes Dunkel umfing sie. In der schauerlichen Finsterniß wurde ihm das Schwarze seiner That wieder recht fühlbar, und das Herzklopfen begann aufs Neue. Er ergriff die Hand der Bäbe mit dem Instinct der Furcht, die nach der Verbindung mit dem Muthe trachtet, und drückte sie -- die gute Bäbe meinte, aus Liebe! Aber gleich sollte sie enttäuscht werden. Bäbe, flüsterte der Schneider, eh' wir weiter gehen, laß uns überlegen! In dem Haus ist's fürchterlich dunkel, ich seh' nicht einen Stich und bin nicht so bekannt hier,

und sah umher. Wie sie den Erwarteten nicht erblickte, entschlüpfte ein aus der tiefsten Brust kommendes „Ah“ ihrem Mund. In diesem „Ah“ lag so viel Bedauern, so viel getäuschte Hoffnung, so viel Gekränktheit, daß es den Burschen in die Seele traf. Er ging vor und richtete seine Schritte nach der Thüre. Und nun folgte ein anderes „Ah“, das Freude, Liebe, Beifall ausdrückte und auf seine Seele noch ergreifender wirkte. An dem Auftritt angekommen, bot er ihr leise guten Abend; die Bäbe rief in kräftigem Flüsterton: Komm! und winkte ihm energisch. In denselbem Moment glaubte er von der Gasse die Schritte eines Vorübergehenden zu vernehmen — hastig stieg er hinan und trat über die Schwelle.

Es war geschehen. Der Pfad war ihm gewiesen, er konnte nicht mehr zurück und mußte vorwärts — zum Heil oder zum Verderben. Aber wie sollte er vorwärts? Die Bäbe hatte die Thür wieder zugemacht und eingeklinkt — tiefes Dunkel umfing sie. In der schauerlichen Finsterniß wurde ihm das Schwarze seiner That wieder recht fühlbar, und das Herzklopfen begann aufs Neue. Er ergriff die Hand der Bäbe mit dem Instinct der Furcht, die nach der Verbindung mit dem Muthe trachtet, und drückte sie — die gute Bäbe meinte, aus Liebe! Aber gleich sollte sie enttäuscht werden. Bäbe, flüsterte der Schneider, eh' wir weiter gehen, laß uns überlegen! In dem Haus ist's fürchterlich dunkel, ich seh' nicht einen Stich und bin nicht so bekannt hier,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0095"/>
und sah umher. Wie sie den Erwarteten nicht erblickte, entschlüpfte ein      aus der tiefsten Brust kommendes &#x201E;Ah&#x201C; ihrem Mund. In diesem &#x201E;Ah&#x201C; lag so viel Bedauern, so viel      getäuschte Hoffnung, so viel Gekränktheit, daß es den Burschen in die Seele traf. Er ging vor      und richtete seine Schritte nach der Thüre. Und nun folgte ein anderes &#x201E;Ah&#x201C;, das Freude, Liebe,      Beifall ausdrückte und auf seine Seele noch ergreifender wirkte. An dem Auftritt angekommen,      bot er ihr leise guten Abend; die Bäbe rief in kräftigem Flüsterton: Komm! und winkte ihm      energisch. In denselbem Moment glaubte er von der Gasse die Schritte eines Vorübergehenden zu      vernehmen &#x2014; hastig stieg er hinan und trat über die Schwelle.</p><lb/>
        <p>Es war geschehen. Der Pfad war ihm gewiesen, er konnte nicht mehr zurück und mußte vorwärts &#x2014;      zum Heil oder zum Verderben. Aber wie sollte er vorwärts? Die Bäbe hatte die Thür wieder      zugemacht und eingeklinkt &#x2014; tiefes Dunkel umfing sie. In der schauerlichen Finsterniß wurde ihm      das Schwarze seiner That wieder recht fühlbar, und das Herzklopfen begann aufs Neue. Er ergriff      die Hand der Bäbe mit dem Instinct der Furcht, die nach der Verbindung mit dem Muthe trachtet,      und drückte sie &#x2014; die gute Bäbe meinte, aus Liebe! Aber gleich sollte sie enttäuscht werden.      Bäbe, flüsterte der Schneider, eh' wir weiter gehen, laß uns überlegen! In dem Haus ist's      fürchterlich dunkel, ich seh' nicht einen Stich und bin nicht so bekannt hier,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] und sah umher. Wie sie den Erwarteten nicht erblickte, entschlüpfte ein aus der tiefsten Brust kommendes „Ah“ ihrem Mund. In diesem „Ah“ lag so viel Bedauern, so viel getäuschte Hoffnung, so viel Gekränktheit, daß es den Burschen in die Seele traf. Er ging vor und richtete seine Schritte nach der Thüre. Und nun folgte ein anderes „Ah“, das Freude, Liebe, Beifall ausdrückte und auf seine Seele noch ergreifender wirkte. An dem Auftritt angekommen, bot er ihr leise guten Abend; die Bäbe rief in kräftigem Flüsterton: Komm! und winkte ihm energisch. In denselbem Moment glaubte er von der Gasse die Schritte eines Vorübergehenden zu vernehmen — hastig stieg er hinan und trat über die Schwelle. Es war geschehen. Der Pfad war ihm gewiesen, er konnte nicht mehr zurück und mußte vorwärts — zum Heil oder zum Verderben. Aber wie sollte er vorwärts? Die Bäbe hatte die Thür wieder zugemacht und eingeklinkt — tiefes Dunkel umfing sie. In der schauerlichen Finsterniß wurde ihm das Schwarze seiner That wieder recht fühlbar, und das Herzklopfen begann aufs Neue. Er ergriff die Hand der Bäbe mit dem Instinct der Furcht, die nach der Verbindung mit dem Muthe trachtet, und drückte sie — die gute Bäbe meinte, aus Liebe! Aber gleich sollte sie enttäuscht werden. Bäbe, flüsterte der Schneider, eh' wir weiter gehen, laß uns überlegen! In dem Haus ist's fürchterlich dunkel, ich seh' nicht einen Stich und bin nicht so bekannt hier,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/95
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/95>, abgerufen am 22.12.2024.