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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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den Völkern schaffen. Ohne die persönliche Jnitiative zu unter-
sagen, ohne die häusliche Ersparniß zu verhindern, hat sie unab-
lässig die Reichthümer in die Gesellschaft zurückzuführen, welche
die Aneignung aus ihr entfernt: durch diese Bewegung des Her-
ausgehens und Zurückkehrens der Capitale die staatliche und ge-
werbliche Gleichheit der Bürger zu sichern: und durch ein groß-
artiges System öffentlicher Erziehung die Gleichheit der Gewerbe
und die Gleichgültigkeit der Befähigungen herbeizuführen, indem
sie die letzteren immerfort steigert. Dann wird sie durch Gerech-
tigkeit, Wohlstand und Sittlichkeit das menschliche Bewußtsein er-
neuen: den Einklang und das Gleichgewicht der auf einander
folgenden Geschlechter sichern; mit einem Worte, sie wird eine
Gesellschaft sein, die, zugleich Gliederung und Uebergang, dem
Vorläufigen entgehet, Alles gewährleistet und Richts aufs
Spiel setzt.

Diese Lehre der Gegenseitigkeit, deren einfachste Form
das Darlehn des Verbrauchs ist, bildet vom Gesichtspunkt des
Gesammtwesens die Verknüpfung des Eigenthums und der Ge-
meinschaft; -- eine Verknüpfung, die so alt ist, als die Glieder,
welche sie bilden, weil sie nichts Anderes ist, als die Rückkehr der
Gesellschaft zu ihrer ursprünglichen Handlungsweise durch einen
Jrrgang von Erfindungen hindurch. Alles bereitet sich heute auf
diese feierliche Wiederherstellung vor; Alles kündigt an, daß die
Gesellschaft zu ihrem wahrhaften Wesen zurückkehren wird. Die
Scheinheiligkeit, die Verkäuflichkeit, der Ehebruch, der Diebstahl
bilden den Jnhalt des öffentlichen Bewußtseins. Dafern nun die
Gesellschaft nicht lernt, von dem zu leben, was sie tödtet, muß
man des Glaubens leben, daß die Gerechtigkeit und die Versöh-
nung nahen. Wenn das Volk etwas will, und es sich nur noch
fragt, wie es dazu gelangen soll, so läßt die Entdeckung nicht
auf sich warten. Bereitet Euch vor, der große Fasching naht!
Lerne der Philosoph, daß die Vernunft die Gesellschaft ist: und
daß philosophiren heißt, Hand ans Werk legen.

Dies wollen wir jetzt thun, um zu zeigen, wie die Wider-
sprüche der Volkswirthschaft, die wir früher dargestellt haben, durch
das freie Vereinsrecht gelöst werden können.

Das Erste, was die Schwierigkeit des gesellschaftlichen Zu-

den Völkern ſchaffen. Ohne die perſönliche Jnitiative zu unter-
ſagen, ohne die häusliche Erſparniß zu verhindern, hat ſie unab-
läſſig die Reichthümer in die Geſellſchaft zurückzuführen, welche
die Aneignung aus ihr entfernt: durch dieſe Bewegung des Her-
ausgehens und Zurückkehrens der Capitale die ſtaatliche und ge-
werbliche Gleichheit der Bürger zu ſichern: und durch ein groß-
artiges Syſtem öffentlicher Erziehung die Gleichheit der Gewerbe
und die Gleichgültigkeit der Befähigungen herbeizuführen, indem
ſie die letzteren immerfort ſteigert. Dann wird ſie durch Gerech-
tigkeit, Wohlſtand und Sittlichkeit das menſchliche Bewußtſein er-
neuen: den Einklang und das Gleichgewicht der auf einander
folgenden Geſchlechter ſichern; mit einem Worte, ſie wird eine
Geſellſchaft ſein, die, zugleich Gliederung und Uebergang, dem
Vorläufigen entgehet, Alles gewährleiſtet und Richts aufs
Spiel ſetzt.

Dieſe Lehre der Gegenſeitigkeit, deren einfachſte Form
das Darlehn des Verbrauchs iſt, bildet vom Geſichtspunkt des
Geſammtweſens die Verknüpfung des Eigenthums und der Ge-
meinſchaft; — eine Verknüpfung, die ſo alt iſt, als die Glieder,
welche ſie bilden, weil ſie nichts Anderes iſt, als die Rückkehr der
Geſellſchaft zu ihrer urſprünglichen Handlungsweiſe durch einen
Jrrgang von Erfindungen hindurch. Alles bereitet ſich heute auf
dieſe feierliche Wiederherſtellung vor; Alles kündigt an, daß die
Geſellſchaft zu ihrem wahrhaften Weſen zurückkehren wird. Die
Scheinheiligkeit, die Verkäuflichkeit, der Ehebruch, der Diebſtahl
bilden den Jnhalt des öffentlichen Bewußtſeins. Dafern nun die
Geſellſchaft nicht lernt, von dem zu leben, was ſie tödtet, muß
man des Glaubens leben, daß die Gerechtigkeit und die Verſöh-
nung nahen. Wenn das Volk etwas will, und es ſich nur noch
fragt, wie es dazu gelangen ſoll, ſo läßt die Entdeckung nicht
auf ſich warten. Bereitet Euch vor, der große Faſching naht!
Lerne der Philoſoph, daß die Vernunft die Geſellſchaft iſt: und
daß philoſophiren heißt, Hand ans Werk legen.

Dies wollen wir jetzt thun, um zu zeigen, wie die Wider-
ſprüche der Volkswirthſchaft, die wir früher dargeſtellt haben, durch
das freie Vereinsrecht gelöſt werden können.

Das Erſte, was die Schwierigkeit des geſellſchaftlichen Zu-

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[90/0100] den Völkern ſchaffen. Ohne die perſönliche Jnitiative zu unter- ſagen, ohne die häusliche Erſparniß zu verhindern, hat ſie unab- läſſig die Reichthümer in die Geſellſchaft zurückzuführen, welche die Aneignung aus ihr entfernt: durch dieſe Bewegung des Her- ausgehens und Zurückkehrens der Capitale die ſtaatliche und ge- werbliche Gleichheit der Bürger zu ſichern: und durch ein groß- artiges Syſtem öffentlicher Erziehung die Gleichheit der Gewerbe und die Gleichgültigkeit der Befähigungen herbeizuführen, indem ſie die letzteren immerfort ſteigert. Dann wird ſie durch Gerech- tigkeit, Wohlſtand und Sittlichkeit das menſchliche Bewußtſein er- neuen: den Einklang und das Gleichgewicht der auf einander folgenden Geſchlechter ſichern; mit einem Worte, ſie wird eine Geſellſchaft ſein, die, zugleich Gliederung und Uebergang, dem Vorläufigen entgehet, Alles gewährleiſtet und Richts aufs Spiel ſetzt. Dieſe Lehre der Gegenſeitigkeit, deren einfachſte Form das Darlehn des Verbrauchs iſt, bildet vom Geſichtspunkt des Geſammtweſens die Verknüpfung des Eigenthums und der Ge- meinſchaft; — eine Verknüpfung, die ſo alt iſt, als die Glieder, welche ſie bilden, weil ſie nichts Anderes iſt, als die Rückkehr der Geſellſchaft zu ihrer urſprünglichen Handlungsweiſe durch einen Jrrgang von Erfindungen hindurch. Alles bereitet ſich heute auf dieſe feierliche Wiederherſtellung vor; Alles kündigt an, daß die Geſellſchaft zu ihrem wahrhaften Weſen zurückkehren wird. Die Scheinheiligkeit, die Verkäuflichkeit, der Ehebruch, der Diebſtahl bilden den Jnhalt des öffentlichen Bewußtſeins. Dafern nun die Geſellſchaft nicht lernt, von dem zu leben, was ſie tödtet, muß man des Glaubens leben, daß die Gerechtigkeit und die Verſöh- nung nahen. Wenn das Volk etwas will, und es ſich nur noch fragt, wie es dazu gelangen ſoll, ſo läßt die Entdeckung nicht auf ſich warten. Bereitet Euch vor, der große Faſching naht! Lerne der Philoſoph, daß die Vernunft die Geſellſchaft iſt: und daß philoſophiren heißt, Hand ans Werk legen. Dies wollen wir jetzt thun, um zu zeigen, wie die Wider- ſprüche der Volkswirthſchaft, die wir früher dargeſtellt haben, durch das freie Vereinsrecht gelöſt werden können. Das Erſte, was die Schwierigkeit des geſellſchaftlichen Zu-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/100>, abgerufen am 24.11.2024.