Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.thut, abgelöst hat. Nichts gefällt dem Menschen, was er nicht zu- thut, abgelöſt hat. Nichts gefällt dem Menſchen, was er nicht zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0127" n="117"/> thut, abgelöſt hat. Nichts gefällt dem Menſchen, was er nicht zu-<lb/> bereitet; Allem will er den künſtleriſchen Charakter aufdrücken.<lb/> Aber gerade dieſe Kunſt wird von der Arbeit entwickelt; ſo daß,<lb/> je mehr ſich der Gewerbfleiß des Menſchen dem Jdeal nähert,<lb/> um ſo höher er ſich über die Sinnlichkeit erhebt. Was den Reiz<lb/> und die Würde der Arbeit ausmacht, iſt dies, durch den Gedan-<lb/> ken zu ſchaffen. Wer wäre nicht ſchon Arbeitern begegnet, denen<lb/> die Vollkommenheit der Arbeit ein ebenſo dringendes Bedürfniß<lb/> geworden war, als ihr Lebensunterhalt, und die in einer ſcheinbar<lb/> geringfügigen Eigenthümlichkeit plötzlich die herrlichſten Fernſichten<lb/> entdeckten? Die Liebe, als Kunſtſtoff, eine der ernſtlichſten Ange-<lb/> legenheiten der Menſchheit, ſtrebt, ſobald ſie durch die Ehe beſtimmt<lb/> iſt, ſich von der Tyrannei der Sinne zu befreien. Die Flatter-<lb/> triebe in der Liebe, die Bündniſſe der Vertraulichkeit, welche Fou-<lb/> rier neben der Ehe beſtehen laſſen will, gehören vor dieſelbe. Man<lb/> wird nicht mehr für die Verheirathung der Mädchen zu ſorgen<lb/> haben. Der Gewiſſensbund, welcher dem Weibe erlaubt, ſich<lb/> den Regungen ſeiner Seele hinzugeben, iſt vielleicht das beſte<lb/> Mittel gegen das öffentliche Preisgeben. Bei unverdorbenen Völ-<lb/> kern, ſagt <hi rendition="#g">Rouſſeau,</hi> ſind die Mädchen frei, die Frauen ſtreng;<lb/> bei verdorbenen findet das Gegentheil ſtatt. Jn Tyrol geht der<lb/> Ehe die Hingebung meiſt voran. So machen die Bauern, nach<lb/> dem Urſprung des Worts erſt dann <hi rendition="#g">Hoch</hi> zeit, wenn es <hi rendition="#g">hohe</hi> Zeit<lb/> für die Braut iſt, die in dieſem Falle den Strohkranz trägt. Wenn<lb/> die Freiheit einer andern Wahl die Ehe löſen kann, weil das Lie-<lb/> besband ein Gefühlsvertrag iſt, ſo giebt es keinen Ehebruch. Die<lb/> Ehe iſt das Grab der Leidenſchaft, die Befreiung der Liebe, die<lb/> eben mit jenem Tode erſt wahrhaft für den Menſchen beginnt.<lb/> Der Mann hat ein unwiderſtehliches Bedürfniß, ſeine Frau, wie<lb/> ſeine Arbeit, geiſtig zu lieben: ſie zu bilden, zu ſchmücken, zu ver-<lb/> ſchönern. Wir wollen die ſchöne, die ſittlich gewordene Sinnlich-<lb/> keit damit nicht, wie Proudhon zu thun ſcheint, aus der Ehe ver-<lb/> bannen, und ſie nur in ein freies vor der Ehe ſtattfindendes<lb/> Verhältniß legen. Nichtsdeſtoweniger erliſcht oder beſſer geſagt<lb/> verwandelt ſich die Liebe in der Vaterſchaft, im erreichten Zwecke,<lb/> im Kinde. Die Vergeiſtigung der Arbeit und die <hi rendition="#g">Heiligung<lb/> der Liebe iſt die Befreiung des Menſchen von der Na-<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0127]
thut, abgelöſt hat. Nichts gefällt dem Menſchen, was er nicht zu-
bereitet; Allem will er den künſtleriſchen Charakter aufdrücken.
Aber gerade dieſe Kunſt wird von der Arbeit entwickelt; ſo daß,
je mehr ſich der Gewerbfleiß des Menſchen dem Jdeal nähert,
um ſo höher er ſich über die Sinnlichkeit erhebt. Was den Reiz
und die Würde der Arbeit ausmacht, iſt dies, durch den Gedan-
ken zu ſchaffen. Wer wäre nicht ſchon Arbeitern begegnet, denen
die Vollkommenheit der Arbeit ein ebenſo dringendes Bedürfniß
geworden war, als ihr Lebensunterhalt, und die in einer ſcheinbar
geringfügigen Eigenthümlichkeit plötzlich die herrlichſten Fernſichten
entdeckten? Die Liebe, als Kunſtſtoff, eine der ernſtlichſten Ange-
legenheiten der Menſchheit, ſtrebt, ſobald ſie durch die Ehe beſtimmt
iſt, ſich von der Tyrannei der Sinne zu befreien. Die Flatter-
triebe in der Liebe, die Bündniſſe der Vertraulichkeit, welche Fou-
rier neben der Ehe beſtehen laſſen will, gehören vor dieſelbe. Man
wird nicht mehr für die Verheirathung der Mädchen zu ſorgen
haben. Der Gewiſſensbund, welcher dem Weibe erlaubt, ſich
den Regungen ſeiner Seele hinzugeben, iſt vielleicht das beſte
Mittel gegen das öffentliche Preisgeben. Bei unverdorbenen Völ-
kern, ſagt Rouſſeau, ſind die Mädchen frei, die Frauen ſtreng;
bei verdorbenen findet das Gegentheil ſtatt. Jn Tyrol geht der
Ehe die Hingebung meiſt voran. So machen die Bauern, nach
dem Urſprung des Worts erſt dann Hoch zeit, wenn es hohe Zeit
für die Braut iſt, die in dieſem Falle den Strohkranz trägt. Wenn
die Freiheit einer andern Wahl die Ehe löſen kann, weil das Lie-
besband ein Gefühlsvertrag iſt, ſo giebt es keinen Ehebruch. Die
Ehe iſt das Grab der Leidenſchaft, die Befreiung der Liebe, die
eben mit jenem Tode erſt wahrhaft für den Menſchen beginnt.
Der Mann hat ein unwiderſtehliches Bedürfniß, ſeine Frau, wie
ſeine Arbeit, geiſtig zu lieben: ſie zu bilden, zu ſchmücken, zu ver-
ſchönern. Wir wollen die ſchöne, die ſittlich gewordene Sinnlich-
keit damit nicht, wie Proudhon zu thun ſcheint, aus der Ehe ver-
bannen, und ſie nur in ein freies vor der Ehe ſtattfindendes
Verhältniß legen. Nichtsdeſtoweniger erliſcht oder beſſer geſagt
verwandelt ſich die Liebe in der Vaterſchaft, im erreichten Zwecke,
im Kinde. Die Vergeiſtigung der Arbeit und die Heiligung
der Liebe iſt die Befreiung des Menſchen von der Na-
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