Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

sind durch die staatlichen, gewerblichen und geselligen Zusammen-
künfte in stets gegliedertem Umlauf. Der staatlichen
Presse
steht die landwirthschaftliche, gewerbliche, ärzt-
liche, künstlerische, religiöse, wissenschaftliche
zur Seite.
Durch den allseitigen Austausch der Ansichten wird das Volk den-
ken und handeln als Ein Mann; seine Vertreter sind nur seine
Bevollmächtigte und drücken im Gesetz nur den wahren allgemei-
nen Willen aus. Es giebt nur noch eine Adelsherrschaft der Ar-
beit. Der beste Arbeiter in jedem Zweige im staatlichen oder ge-
werblichen Gebiete kommt an die Spitze, sei es in den gesetzge-
benden Versammlungen, sei es in den verschiedenen Räthen, sei
es als Minister. Diese gesellschaftliche Umgestaltung ist Frei-
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit,
möge ein gewähltes
Oberhaupt oder ein erblicher König an der Spitze stehen. Jn
einer solchen Verfassung sind alle Fragen, Jnteressen und Gegen-
sätze in Einem Grundsatz vereinigt, jedes Dasein das Ergebniß
aller andern.

Jndem Proudhon diesen Zustand des nicht vorgeschichtlichen
unlebendigen All-Bewußtseins, sondern diese letzte Vollendung
des Menschengeschlechts
nach Lösung der gesellschaftlichen
Frage in einer höchst dichterischen Verzückung beschreiben wollte,
drückte er sich also aus: "Wir glaubten mitten in einem Aether-
meere zu leben. Die Lebensgeister, die von jedem Einzelnen auf
die Andern ausstrahlten, verknüpften unser Dasein zu einer Gemein-
samkeit und unsere Jchheiten bildeten, ohne in einander zu fließen,
eine große, zusammenklingende, mitfühlende Seele. Eine höhere
Vernunft, wie ein Blitz von Oben, erleuchtete unseren Verstand.
Zum Bewußtsein unserer Gedanken gesellte sich in uns das Ein-
dringen in die Gedanken der Andern; und aus diesem innigen
Verkehr entsprang in unseren Herzen das köstliche Gefühl eines
einstimmigen Wollens, das dennoch in seinem Ausdruck und in
seinen Beweggründen verschieden war. Wir fühlten uns verei-
nigter, unzertrennlicher und doch freier. Kein Gedanke erwachte
in uns, der nicht lauter gewesen wäre, keine Emfindung ohne
Geradheit und Edelmuth. Jn dieser Entzückung Eines Augen-
blicks und dieser durchgängigen Gemeinschaft, die, ohne die Cha-
raktere aufzuheben, sie vielmehr durch die Liebe bis zum Jdeale

ſind durch die ſtaatlichen, gewerblichen und geſelligen Zuſammen-
künfte in ſtets gegliedertem Umlauf. Der ſtaatlichen
Preſſe
ſteht die landwirthſchaftliche, gewerbliche, ärzt-
liche, künſtleriſche, religiöſe, wiſſenſchaftliche
zur Seite.
Durch den allſeitigen Austauſch der Anſichten wird das Volk den-
ken und handeln als Ein Mann; ſeine Vertreter ſind nur ſeine
Bevollmächtigte und drücken im Geſetz nur den wahren allgemei-
nen Willen aus. Es giebt nur noch eine Adelsherrſchaft der Ar-
beit. Der beſte Arbeiter in jedem Zweige im ſtaatlichen oder ge-
werblichen Gebiete kommt an die Spitze, ſei es in den geſetzge-
benden Verſammlungen, ſei es in den verſchiedenen Räthen, ſei
es als Miniſter. Dieſe geſellſchaftliche Umgeſtaltung iſt Frei-
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit,
möge ein gewähltes
Oberhaupt oder ein erblicher König an der Spitze ſtehen. Jn
einer ſolchen Verfaſſung ſind alle Fragen, Jntereſſen und Gegen-
ſätze in Einem Grundſatz vereinigt, jedes Daſein das Ergebniß
aller andern.

Jndem Proudhon dieſen Zuſtand des nicht vorgeſchichtlichen
unlebendigen All-Bewußtſeins, ſondern dieſe letzte Vollendung
des Menſchengeſchlechts
nach Löſung der geſellſchaftlichen
Frage in einer höchſt dichteriſchen Verzückung beſchreiben wollte,
drückte er ſich alſo aus: „Wir glaubten mitten in einem Aether-
meere zu leben. Die Lebensgeiſter, die von jedem Einzelnen auf
die Andern ausſtrahlten, verknüpften unſer Daſein zu einer Gemein-
ſamkeit und unſere Jchheiten bildeten, ohne in einander zu fließen,
eine große, zuſammenklingende, mitfühlende Seele. Eine höhere
Vernunft, wie ein Blitz von Oben, erleuchtete unſeren Verſtand.
Zum Bewußtſein unſerer Gedanken geſellte ſich in uns das Ein-
dringen in die Gedanken der Andern; und aus dieſem innigen
Verkehr entſprang in unſeren Herzen das köſtliche Gefühl eines
einſtimmigen Wollens, das dennoch in ſeinem Ausdruck und in
ſeinen Beweggründen verſchieden war. Wir fühlten uns verei-
nigter, unzertrennlicher und doch freier. Kein Gedanke erwachte
in uns, der nicht lauter geweſen wäre, keine Emfindung ohne
Geradheit und Edelmuth. Jn dieſer Entzückung Eines Augen-
blicks und dieſer durchgängigen Gemeinſchaft, die, ohne die Cha-
raktere aufzuheben, ſie vielmehr durch die Liebe bis zum Jdeale

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0137" n="127"/>
&#x017F;ind durch die &#x017F;taatlichen, gewerblichen und ge&#x017F;elligen Zu&#x017F;ammen-<lb/>
künfte <hi rendition="#g">in &#x017F;tets gegliedertem Umlauf.</hi> Der <hi rendition="#g">&#x017F;taatlichen<lb/>
Pre&#x017F;&#x017F;e</hi> &#x017F;teht die <hi rendition="#g">landwirth&#x017F;chaftliche, gewerbliche, ärzt-<lb/>
liche, kün&#x017F;tleri&#x017F;che, religiö&#x017F;e, wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche</hi> zur Seite.<lb/>
Durch den all&#x017F;eitigen Austau&#x017F;ch der An&#x017F;ichten wird das Volk den-<lb/>
ken und handeln als Ein Mann; &#x017F;eine Vertreter &#x017F;ind nur &#x017F;eine<lb/>
Bevollmächtigte und drücken im Ge&#x017F;etz nur den wahren allgemei-<lb/>
nen Willen aus. Es giebt nur noch eine Adelsherr&#x017F;chaft der Ar-<lb/>
beit. Der be&#x017F;te Arbeiter in jedem Zweige im &#x017F;taatlichen oder ge-<lb/>
werblichen Gebiete kommt an die Spitze, &#x017F;ei es in den ge&#x017F;etzge-<lb/>
benden Ver&#x017F;ammlungen, &#x017F;ei es in den ver&#x017F;chiedenen Räthen, &#x017F;ei<lb/>
es als Mini&#x017F;ter. Die&#x017F;e ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Umge&#x017F;taltung i&#x017F;t <hi rendition="#g">Frei-<lb/>
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit,</hi> möge ein gewähltes<lb/>
Oberhaupt oder ein erblicher König an der Spitze &#x017F;tehen. Jn<lb/>
einer &#x017F;olchen Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;ind alle Fragen, Jntere&#x017F;&#x017F;en und Gegen-<lb/>
&#x017F;ätze in Einem Grund&#x017F;atz vereinigt, jedes Da&#x017F;ein das Ergebniß<lb/>
aller andern.</p><lb/>
            <p>Jndem Proudhon die&#x017F;en Zu&#x017F;tand des nicht vorge&#x017F;chichtlichen<lb/>
unlebendigen All-Bewußt&#x017F;eins, &#x017F;ondern die&#x017F;e <hi rendition="#g">letzte Vollendung<lb/>
des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts</hi> nach Lö&#x017F;ung der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
Frage in einer höch&#x017F;t dichteri&#x017F;chen Verzückung be&#x017F;chreiben wollte,<lb/>
drückte er &#x017F;ich al&#x017F;o aus: &#x201E;Wir glaubten mitten in einem Aether-<lb/>
meere zu leben. Die Lebensgei&#x017F;ter, die von jedem Einzelnen auf<lb/>
die Andern aus&#x017F;trahlten, verknüpften un&#x017F;er Da&#x017F;ein zu einer Gemein-<lb/>
&#x017F;amkeit und un&#x017F;ere Jchheiten bildeten, ohne in einander zu fließen,<lb/>
eine große, zu&#x017F;ammenklingende, mitfühlende Seele. Eine höhere<lb/>
Vernunft, wie ein Blitz von Oben, erleuchtete un&#x017F;eren Ver&#x017F;tand.<lb/>
Zum Bewußt&#x017F;ein un&#x017F;erer Gedanken ge&#x017F;ellte &#x017F;ich in uns das Ein-<lb/>
dringen in die Gedanken der Andern; und aus die&#x017F;em innigen<lb/>
Verkehr ent&#x017F;prang in un&#x017F;eren Herzen das kö&#x017F;tliche Gefühl eines<lb/>
ein&#x017F;timmigen Wollens, das dennoch in &#x017F;einem Ausdruck und in<lb/>
&#x017F;einen Beweggründen ver&#x017F;chieden war. Wir fühlten uns verei-<lb/>
nigter, unzertrennlicher und doch freier. Kein Gedanke erwachte<lb/>
in uns, der nicht lauter gewe&#x017F;en wäre, keine Emfindung ohne<lb/>
Geradheit und Edelmuth. Jn die&#x017F;er Entzückung Eines Augen-<lb/>
blicks und die&#x017F;er durchgängigen Gemein&#x017F;chaft, die, ohne die Cha-<lb/>
raktere aufzuheben, &#x017F;ie vielmehr durch die Liebe bis zum Jdeale<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] ſind durch die ſtaatlichen, gewerblichen und geſelligen Zuſammen- künfte in ſtets gegliedertem Umlauf. Der ſtaatlichen Preſſe ſteht die landwirthſchaftliche, gewerbliche, ärzt- liche, künſtleriſche, religiöſe, wiſſenſchaftliche zur Seite. Durch den allſeitigen Austauſch der Anſichten wird das Volk den- ken und handeln als Ein Mann; ſeine Vertreter ſind nur ſeine Bevollmächtigte und drücken im Geſetz nur den wahren allgemei- nen Willen aus. Es giebt nur noch eine Adelsherrſchaft der Ar- beit. Der beſte Arbeiter in jedem Zweige im ſtaatlichen oder ge- werblichen Gebiete kommt an die Spitze, ſei es in den geſetzge- benden Verſammlungen, ſei es in den verſchiedenen Räthen, ſei es als Miniſter. Dieſe geſellſchaftliche Umgeſtaltung iſt Frei- heit, Gleichheit, Brüderlichkeit, möge ein gewähltes Oberhaupt oder ein erblicher König an der Spitze ſtehen. Jn einer ſolchen Verfaſſung ſind alle Fragen, Jntereſſen und Gegen- ſätze in Einem Grundſatz vereinigt, jedes Daſein das Ergebniß aller andern. Jndem Proudhon dieſen Zuſtand des nicht vorgeſchichtlichen unlebendigen All-Bewußtſeins, ſondern dieſe letzte Vollendung des Menſchengeſchlechts nach Löſung der geſellſchaftlichen Frage in einer höchſt dichteriſchen Verzückung beſchreiben wollte, drückte er ſich alſo aus: „Wir glaubten mitten in einem Aether- meere zu leben. Die Lebensgeiſter, die von jedem Einzelnen auf die Andern ausſtrahlten, verknüpften unſer Daſein zu einer Gemein- ſamkeit und unſere Jchheiten bildeten, ohne in einander zu fließen, eine große, zuſammenklingende, mitfühlende Seele. Eine höhere Vernunft, wie ein Blitz von Oben, erleuchtete unſeren Verſtand. Zum Bewußtſein unſerer Gedanken geſellte ſich in uns das Ein- dringen in die Gedanken der Andern; und aus dieſem innigen Verkehr entſprang in unſeren Herzen das köſtliche Gefühl eines einſtimmigen Wollens, das dennoch in ſeinem Ausdruck und in ſeinen Beweggründen verſchieden war. Wir fühlten uns verei- nigter, unzertrennlicher und doch freier. Kein Gedanke erwachte in uns, der nicht lauter geweſen wäre, keine Emfindung ohne Geradheit und Edelmuth. Jn dieſer Entzückung Eines Augen- blicks und dieſer durchgängigen Gemeinſchaft, die, ohne die Cha- raktere aufzuheben, ſie vielmehr durch die Liebe bis zum Jdeale

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/137
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/137>, abgerufen am 24.11.2024.