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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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stimmungen des Wahlgesetzes vom 8. April 1848 schon ent-
halten; und so scheint sein Zweck nur die einseitige Abschaffung
des mit dem Vereinigten Landtage vereinbarten Gesetzes vom
8. April zu sein, um damit auch die Vereinbarung zu beseitigen.
Nur das Wort selbstständig ist eigenmächtig und ungesetzlich
eingeschaltet worden. Und wenn die Minister, vollkommene Of-
fenheit versprechend, das vieldeutige Wort darum nicht auslegen
wollten, weil sie dies der künftigen Gesetzgebung überlassen zu
müssen glaubten: so war es noch viel offener, den gesetzlichen
Weg zu gehen und sich keine eigenmächtigen Einschaltungen zu
erlauben, über deren Dunkelheit man sich dann recht "constitutio-
nell" beklagen kann. Wenn dann Frankfurt abgewiesen wurde,
als es sich um die häusliche Angelegenheit eines Preußischen Mi-
nisteriums handelte, so ist ein Wahlgesetz für eine Preußische
Kammer eine nicht minder häusliche Angelegenheit, wobei man sich
am allerwenigsten auf Frankfurt zu berufen brauchte. Wenn aber
seitdem eine ministerielle Erläuterung selbstständig jeden, der
nicht ein Verrückter, Verschwender oder Gefangener sei, nennt,
so wird die Sache schon bedenklicher. Denn Temme und viel-
leicht 180 ehemaligen Volksvertretern hätte damit das Wahlrecht
entzogen werden können. Wird man nun, nachdem Frankfurt durch
die erste Lesung des Reichswahlgesetzes die Preußischen Rück-
schrittshoffnungen so glänzend zu Nichte gemacht hat, die vor-
gängige Berufung nachträglich zurückzuziehen und immer noch eine
Beschränkung des allgemeinen Wahlrechts anzustreben wagen?

Was aber das Wahlgesetz zur ersten Kammer betrifft, so ist
das Vorrecht der Begüterten, doppelt zu wählen, offenbar eine
Verletzung der in der Urkunde (§. 4.) selbst gewährten Gleichheit vor
dem Gesetze, und die Einsetzung der schlechtesten Adelsherrschaft, die
es giebt, des Geldadels nämlich; was an "das doppelte Stimm-
recht" Carl's X. erinnert. Und so in der Luft der Willkür des
Octroyirens schwebend, soll diese erste Kammer dazu beitragen,
den Grundstein des Rechtsgebäudes eines Volkes für Jahrhun-
derte zu legen? Welche Verblendung!

Sind nun durch den Artikel 110. die Hauptgrundrechte der
Preußen, wie wir aus bitterer Erfahrung bereits wissen, wieder
in Frage gestellt, um auch in Zukunft jeden Augenblick unter den

ſtimmungen des Wahlgeſetzes vom 8. April 1848 ſchon ent-
halten; und ſo ſcheint ſein Zweck nur die einſeitige Abſchaffung
des mit dem Vereinigten Landtage vereinbarten Geſetzes vom
8. April zu ſein, um damit auch die Vereinbarung zu beſeitigen.
Nur das Wort ſelbſtſtändig iſt eigenmächtig und ungeſetzlich
eingeſchaltet worden. Und wenn die Miniſter, vollkommene Of-
fenheit verſprechend, das vieldeutige Wort darum nicht auslegen
wollten, weil ſie dies der künftigen Geſetzgebung überlaſſen zu
müſſen glaubten: ſo war es noch viel offener, den geſetzlichen
Weg zu gehen und ſich keine eigenmächtigen Einſchaltungen zu
erlauben, über deren Dunkelheit man ſich dann recht „conſtitutio-
nell‟ beklagen kann. Wenn dann Frankfurt abgewieſen wurde,
als es ſich um die häusliche Angelegenheit eines Preußiſchen Mi-
niſteriums handelte, ſo iſt ein Wahlgeſetz für eine Preußiſche
Kammer eine nicht minder häusliche Angelegenheit, wobei man ſich
am allerwenigſten auf Frankfurt zu berufen brauchte. Wenn aber
ſeitdem eine miniſterielle Erläuterung ſelbſtſtändig jeden, der
nicht ein Verrückter, Verſchwender oder Gefangener ſei, nennt,
ſo wird die Sache ſchon bedenklicher. Denn Temme und viel-
leicht 180 ehemaligen Volksvertretern hätte damit das Wahlrecht
entzogen werden können. Wird man nun, nachdem Frankfurt durch
die erſte Leſung des Reichswahlgeſetzes die Preußiſchen Rück-
ſchrittshoffnungen ſo glänzend zu Nichte gemacht hat, die vor-
gängige Berufung nachträglich zurückzuziehen und immer noch eine
Beſchränkung des allgemeinen Wahlrechts anzuſtreben wagen?

Was aber das Wahlgeſetz zur erſten Kammer betrifft, ſo iſt
das Vorrecht der Begüterten, doppelt zu wählen, offenbar eine
Verletzung der in der Urkunde (§. 4.) ſelbſt gewährten Gleichheit vor
dem Geſetze, und die Einſetzung der ſchlechteſten Adelsherrſchaft, die
es giebt, des Geldadels nämlich; was an „das doppelte Stimm-
recht‟ Carl’s X. erinnert. Und ſo in der Luft der Willkür des
Octroyirens ſchwebend, ſoll dieſe erſte Kammer dazu beitragen,
den Grundſtein des Rechtsgebäudes eines Volkes für Jahrhun-
derte zu legen? Welche Verblendung!

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Preußen, wie wir aus bitterer Erfahrung bereits wiſſen, wieder
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[29/0039] ſtimmungen des Wahlgeſetzes vom 8. April 1848 ſchon ent- halten; und ſo ſcheint ſein Zweck nur die einſeitige Abſchaffung des mit dem Vereinigten Landtage vereinbarten Geſetzes vom 8. April zu ſein, um damit auch die Vereinbarung zu beſeitigen. Nur das Wort ſelbſtſtändig iſt eigenmächtig und ungeſetzlich eingeſchaltet worden. Und wenn die Miniſter, vollkommene Of- fenheit verſprechend, das vieldeutige Wort darum nicht auslegen wollten, weil ſie dies der künftigen Geſetzgebung überlaſſen zu müſſen glaubten: ſo war es noch viel offener, den geſetzlichen Weg zu gehen und ſich keine eigenmächtigen Einſchaltungen zu erlauben, über deren Dunkelheit man ſich dann recht „conſtitutio- nell‟ beklagen kann. Wenn dann Frankfurt abgewieſen wurde, als es ſich um die häusliche Angelegenheit eines Preußiſchen Mi- niſteriums handelte, ſo iſt ein Wahlgeſetz für eine Preußiſche Kammer eine nicht minder häusliche Angelegenheit, wobei man ſich am allerwenigſten auf Frankfurt zu berufen brauchte. Wenn aber ſeitdem eine miniſterielle Erläuterung ſelbſtſtändig jeden, der nicht ein Verrückter, Verſchwender oder Gefangener ſei, nennt, ſo wird die Sache ſchon bedenklicher. Denn Temme und viel- leicht 180 ehemaligen Volksvertretern hätte damit das Wahlrecht entzogen werden können. Wird man nun, nachdem Frankfurt durch die erſte Leſung des Reichswahlgeſetzes die Preußiſchen Rück- ſchrittshoffnungen ſo glänzend zu Nichte gemacht hat, die vor- gängige Berufung nachträglich zurückzuziehen und immer noch eine Beſchränkung des allgemeinen Wahlrechts anzuſtreben wagen? Was aber das Wahlgeſetz zur erſten Kammer betrifft, ſo iſt das Vorrecht der Begüterten, doppelt zu wählen, offenbar eine Verletzung der in der Urkunde (§. 4.) ſelbſt gewährten Gleichheit vor dem Geſetze, und die Einſetzung der ſchlechteſten Adelsherrſchaft, die es giebt, des Geldadels nämlich; was an „das doppelte Stimm- recht‟ Carl’s X. erinnert. Und ſo in der Luft der Willkür des Octroyirens ſchwebend, ſoll dieſe erſte Kammer dazu beitragen, den Grundſtein des Rechtsgebäudes eines Volkes für Jahrhun- derte zu legen? Welche Verblendung! Sind nun durch den Artikel 110. die Hauptgrundrechte der Preußen, wie wir aus bitterer Erfahrung bereits wiſſen, wieder in Frage geſtellt, um auch in Zukunft jeden Augenblick unter den

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/39>, abgerufen am 23.11.2024.