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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Aeußerste, welche mit Besitz und Erwerb keine Arbeit zu verbin-
den brauchen, weil sie von dem Theil des Gewinns leben können,
den sie dadurch erhalten, daß sie ihr Eigenthum durch Arbeiter
umgestalten und verwenden lassen. Jhr Eigenthum, ihr Capital,
welches man nicht übel "angehäufte Arbeit" genannt hat, arbeitet
für sie. Sie genießen, ohne zu arbeiten, weil ihre Eltern ge-
wissermaßen, um in den Ausdrücken eines katholischen Glaubens-
satzes zu sprechen, überflüssig gute Werke, nämlich in Bezug auf
das leibliche Wohl der Menschen, gethan haben. Diese äußersten
Glieder, Reiche und Arme, sind gerade nicht der Glanzpunkt der
bürgerlichen Gesellschaft: und in der Mitte stehen die Männer
mit Besitz und Erwerb durch Arbeit, und die Männer ohne Be-
sitz mit Erwerb durch Arbeit (Wohlhabende und Dürftige), die
eigentliche Kraft des Volkes, -- der sogenannte Mittelstand; je
mehr er verschwindet, desto mehr nähern wir uns der gesellschaft-
lichen Umwälzung.

Die Hauptaufgabe der Volkswirthschaft ist also, der Armuth
zu steuern, indem die Armen Arbeit erhalten, -- die Reichen, welche
nicht arbeiten, ohne ihnen ihr Eigenthum zu nehmen, durch Staats-
Einrichtungen zur Arbeit zu veranlassen, und in höherem Grade,
als es bisher geschehen, zum Tragen der gemeinsamen Lasten her-
anzuziehen: folglich es zum Grundsatz zu machen, daß aller Genuß
eine Wirkung der Arbeit sei, alle Arbeit aber auch einen Erwerb
gewähre; daß Jeder, der arbeiten will, auch Arbeit habe, der aber,
welcher kein Eigenthum und keine Arbeitskraft besitzt, für das
während der Zeit seiner Kräfte Geleistete auch den Ruhestand als
Ziel und Belohnung seiner Arbeit genieße. Jn diesen Forderungen
liegen zwei Hauptpunkte: 1) daß die Arbeit die Quelle des Reich-
thums sei; 2) daß das Recht auf Arbeit anerkannt werde. Und
wir stellen uns damit gerade an den Rand des Abgrundes, der
sich in unserer Zeit geöffnet hat, und den auszufüllen die Auf-
gabe nicht nur der Wissenschaft, sondern mehr noch des Lebens
ist. Vor ihm zu fliehen ist feig, und hilft uns nicht einmal aus
der Noth heraus; denn wir werden durch die Natur der Sache,
durch das nothwendige Vorwärtsdrängen der Gesellschaft immer
wieder von selbst auf ihn hingestoßen.

Aeußerſte, welche mit Beſitz und Erwerb keine Arbeit zu verbin-
den brauchen, weil ſie von dem Theil des Gewinns leben können,
den ſie dadurch erhalten, daß ſie ihr Eigenthum durch Arbeiter
umgeſtalten und verwenden laſſen. Jhr Eigenthum, ihr Capital,
welches man nicht übel „angehäufte Arbeit‟ genannt hat, arbeitet
für ſie. Sie genießen, ohne zu arbeiten, weil ihre Eltern ge-
wiſſermaßen, um in den Ausdrücken eines katholiſchen Glaubens-
ſatzes zu ſprechen, überflüſſig gute Werke, nämlich in Bezug auf
das leibliche Wohl der Menſchen, gethan haben. Dieſe äußerſten
Glieder, Reiche und Arme, ſind gerade nicht der Glanzpunkt der
bürgerlichen Geſellſchaft: und in der Mitte ſtehen die Männer
mit Beſitz und Erwerb durch Arbeit, und die Männer ohne Be-
ſitz mit Erwerb durch Arbeit (Wohlhabende und Dürftige), die
eigentliche Kraft des Volkes, — der ſogenannte Mittelſtand; je
mehr er verſchwindet, deſto mehr nähern wir uns der geſellſchaft-
lichen Umwälzung.

Die Hauptaufgabe der Volkswirthſchaft iſt alſo, der Armuth
zu ſteuern, indem die Armen Arbeit erhalten, — die Reichen, welche
nicht arbeiten, ohne ihnen ihr Eigenthum zu nehmen, durch Staats-
Einrichtungen zur Arbeit zu veranlaſſen, und in höherem Grade,
als es bisher geſchehen, zum Tragen der gemeinſamen Laſten her-
anzuziehen: folglich es zum Grundſatz zu machen, daß aller Genuß
eine Wirkung der Arbeit ſei, alle Arbeit aber auch einen Erwerb
gewähre; daß Jeder, der arbeiten will, auch Arbeit habe, der aber,
welcher kein Eigenthum und keine Arbeitskraft beſitzt, für das
während der Zeit ſeiner Kräfte Geleiſtete auch den Ruheſtand als
Ziel und Belohnung ſeiner Arbeit genieße. Jn dieſen Forderungen
liegen zwei Hauptpunkte: 1) daß die Arbeit die Quelle des Reich-
thums ſei; 2) daß das Recht auf Arbeit anerkannt werde. Und
wir ſtellen uns damit gerade an den Rand des Abgrundes, der
ſich in unſerer Zeit geöffnet hat, und den auszufüllen die Auf-
gabe nicht nur der Wiſſenſchaft, ſondern mehr noch des Lebens
iſt. Vor ihm zu fliehen iſt feig, und hilft uns nicht einmal aus
der Noth heraus; denn wir werden durch die Natur der Sache,
durch das nothwendige Vorwärtsdrängen der Geſellſchaft immer
wieder von ſelbſt auf ihn hingeſtoßen.

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[46/0056] Aeußerſte, welche mit Beſitz und Erwerb keine Arbeit zu verbin- den brauchen, weil ſie von dem Theil des Gewinns leben können, den ſie dadurch erhalten, daß ſie ihr Eigenthum durch Arbeiter umgeſtalten und verwenden laſſen. Jhr Eigenthum, ihr Capital, welches man nicht übel „angehäufte Arbeit‟ genannt hat, arbeitet für ſie. Sie genießen, ohne zu arbeiten, weil ihre Eltern ge- wiſſermaßen, um in den Ausdrücken eines katholiſchen Glaubens- ſatzes zu ſprechen, überflüſſig gute Werke, nämlich in Bezug auf das leibliche Wohl der Menſchen, gethan haben. Dieſe äußerſten Glieder, Reiche und Arme, ſind gerade nicht der Glanzpunkt der bürgerlichen Geſellſchaft: und in der Mitte ſtehen die Männer mit Beſitz und Erwerb durch Arbeit, und die Männer ohne Be- ſitz mit Erwerb durch Arbeit (Wohlhabende und Dürftige), die eigentliche Kraft des Volkes, — der ſogenannte Mittelſtand; je mehr er verſchwindet, deſto mehr nähern wir uns der geſellſchaft- lichen Umwälzung. Die Hauptaufgabe der Volkswirthſchaft iſt alſo, der Armuth zu ſteuern, indem die Armen Arbeit erhalten, — die Reichen, welche nicht arbeiten, ohne ihnen ihr Eigenthum zu nehmen, durch Staats- Einrichtungen zur Arbeit zu veranlaſſen, und in höherem Grade, als es bisher geſchehen, zum Tragen der gemeinſamen Laſten her- anzuziehen: folglich es zum Grundſatz zu machen, daß aller Genuß eine Wirkung der Arbeit ſei, alle Arbeit aber auch einen Erwerb gewähre; daß Jeder, der arbeiten will, auch Arbeit habe, der aber, welcher kein Eigenthum und keine Arbeitskraft beſitzt, für das während der Zeit ſeiner Kräfte Geleiſtete auch den Ruheſtand als Ziel und Belohnung ſeiner Arbeit genieße. Jn dieſen Forderungen liegen zwei Hauptpunkte: 1) daß die Arbeit die Quelle des Reich- thums ſei; 2) daß das Recht auf Arbeit anerkannt werde. Und wir ſtellen uns damit gerade an den Rand des Abgrundes, der ſich in unſerer Zeit geöffnet hat, und den auszufüllen die Auf- gabe nicht nur der Wiſſenſchaft, ſondern mehr noch des Lebens iſt. Vor ihm zu fliehen iſt feig, und hilft uns nicht einmal aus der Noth heraus; denn wir werden durch die Natur der Sache, durch das nothwendige Vorwärtsdrängen der Geſellſchaft immer wieder von ſelbſt auf ihn hingeſtoßen.

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/56>, abgerufen am 21.11.2024.