Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.lich unter uns vorzuschlagen wagen. Die Staatswirthschaft schlägt Wir sind mit dem Kreise unserer Widersprüche ans lich unter uns vorzuſchlagen wagen. Die Staatswirthſchaft ſchlägt Wir ſind mit dem Kreiſe unſerer Widerſprüche ans <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072" n="62"/> lich unter uns vorzuſchlagen wagen. Die Staatswirthſchaft ſchlägt<lb/> außerdem Vorſicht in der Liebe, Vertagung in der Ehe vor. An-<lb/> dere Mittel fordert man von der Natur und der Vorſehung, wie<lb/> Hungersnoth, Krieg, Peſt. Es iſt dies eine Chineſiſche An-<lb/> ſchauungsweiſe. Denn als der Kaiſer von Rußland dem Chi-<lb/> neſiſchen Kaiſer gute Rathſchläge bei der Annäherung der Cholera<lb/> ertheilen wollte, antwortete ihm dieſer, der Himmel wiſſe am be-<lb/> ſten, wann es nöthig ſei, unnütze Menſchen durch Krankheiten zu<lb/> vertilgen. Andere ſchlagen das Syſtem der dreijährigen Säugung<lb/> vor, indem während dieſer Zeit der Fruchtbarkeit der Mutter eine<lb/> Schranke geſetzt iſt: Fourier die künſtliche Unfruchtbarkeit durch<lb/> die Maſt. Auch auf ganz unſittliche Mittel iſt man verfallen,<lb/> wie Ausſetzung der Kinder, — ein ſchon im Alterthum oft an-<lb/> gewendetes Mittel; gewaltſame Abtreibung der Frucht, Verhütung<lb/> der Empfängniß durch eine Vorrichtung; ja ein franzöſiſcher Arzt<lb/> ſchlug ſogar Herausziehen des Keims oder Ausrottung des Sa-<lb/> mens vor. Das ſicherſte, aber unſittlichſte Mittel wäre die gänz-<lb/> liche Aufhebung der Ehe, die vollſtändige Preisgebung; Freuden-<lb/> mädchen werden in Millionen Fällen nicht Mütter. Endlich müſſen<lb/> wir auch den Vorſchlag des ſchon erwähnten Berliner Volks-<lb/> ſchriftſtellers, daß die Empfängniß in die Willkür der Gatten ge-<lb/> ſetzt werde, für unverträglich mit der Sittlichkeit anſehen. Abge-<lb/> ſehen davon, daß derſelbe unpraktiſch iſt, da der Urheber ſelbſt<lb/> geſteht, daß die Arzneikunde erſt das Mittel erfinden müſſe, dieſe<lb/> Willkür hervorzubringen, liegt in der Forderung dies: die Befrie-<lb/> digung des ſinnlichen Triebes als ſolchen als den letzten Zweck<lb/> auszuſprechen, da dieſelbe doch immer nur als das Mittel für<lb/> die Erzeugung der Kinder gelten darf.</p><lb/> <p>Wir ſind mit dem <hi rendition="#g">Kreiſe unſerer Widerſprüche ans<lb/> Ende gelangt.</hi> Wir haben geſagt, die Arbeit iſt die Quelle<lb/> alles Genuſſes, alles Reichthums. Dieſe Arbeit iſt aber ſogleich<lb/> ein Widerſpruch in ſich ſelbſt. Sie häuft ſich beim Sparſamen.<lb/> Dieſe gehäufte Arbeit, das Eigenthum, wird von ihm auf ſeinen<lb/> Sohn vererbt. Ohne Erbſchaft keine Perſönlichkeit, die eben im<lb/> Nachkommen wieder auferſteht. Jndem nun der Erbe oder Sparer<lb/> von ſeiner gehäuften Arbeit lebt, ſo genießt er ohne zu arbeiten.<lb/> Und der Zwieſpalt iſt in der Arbeit ſelbſt, der vergangenen und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0072]
lich unter uns vorzuſchlagen wagen. Die Staatswirthſchaft ſchlägt
außerdem Vorſicht in der Liebe, Vertagung in der Ehe vor. An-
dere Mittel fordert man von der Natur und der Vorſehung, wie
Hungersnoth, Krieg, Peſt. Es iſt dies eine Chineſiſche An-
ſchauungsweiſe. Denn als der Kaiſer von Rußland dem Chi-
neſiſchen Kaiſer gute Rathſchläge bei der Annäherung der Cholera
ertheilen wollte, antwortete ihm dieſer, der Himmel wiſſe am be-
ſten, wann es nöthig ſei, unnütze Menſchen durch Krankheiten zu
vertilgen. Andere ſchlagen das Syſtem der dreijährigen Säugung
vor, indem während dieſer Zeit der Fruchtbarkeit der Mutter eine
Schranke geſetzt iſt: Fourier die künſtliche Unfruchtbarkeit durch
die Maſt. Auch auf ganz unſittliche Mittel iſt man verfallen,
wie Ausſetzung der Kinder, — ein ſchon im Alterthum oft an-
gewendetes Mittel; gewaltſame Abtreibung der Frucht, Verhütung
der Empfängniß durch eine Vorrichtung; ja ein franzöſiſcher Arzt
ſchlug ſogar Herausziehen des Keims oder Ausrottung des Sa-
mens vor. Das ſicherſte, aber unſittlichſte Mittel wäre die gänz-
liche Aufhebung der Ehe, die vollſtändige Preisgebung; Freuden-
mädchen werden in Millionen Fällen nicht Mütter. Endlich müſſen
wir auch den Vorſchlag des ſchon erwähnten Berliner Volks-
ſchriftſtellers, daß die Empfängniß in die Willkür der Gatten ge-
ſetzt werde, für unverträglich mit der Sittlichkeit anſehen. Abge-
ſehen davon, daß derſelbe unpraktiſch iſt, da der Urheber ſelbſt
geſteht, daß die Arzneikunde erſt das Mittel erfinden müſſe, dieſe
Willkür hervorzubringen, liegt in der Forderung dies: die Befrie-
digung des ſinnlichen Triebes als ſolchen als den letzten Zweck
auszuſprechen, da dieſelbe doch immer nur als das Mittel für
die Erzeugung der Kinder gelten darf.
Wir ſind mit dem Kreiſe unſerer Widerſprüche ans
Ende gelangt. Wir haben geſagt, die Arbeit iſt die Quelle
alles Genuſſes, alles Reichthums. Dieſe Arbeit iſt aber ſogleich
ein Widerſpruch in ſich ſelbſt. Sie häuft ſich beim Sparſamen.
Dieſe gehäufte Arbeit, das Eigenthum, wird von ihm auf ſeinen
Sohn vererbt. Ohne Erbſchaft keine Perſönlichkeit, die eben im
Nachkommen wieder auferſteht. Jndem nun der Erbe oder Sparer
von ſeiner gehäuften Arbeit lebt, ſo genießt er ohne zu arbeiten.
Und der Zwieſpalt iſt in der Arbeit ſelbſt, der vergangenen und
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