Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.2. Die Gemeinschaft und das Vereinsleben. Während im Alterthum die Arbeiter durch den Arbeitgeber Zu jenen zwei Gedanken: einer Gliederung der Arbeit in Der erste Versuch der Art ist im Alterthum die Plato- 2. Die Gemeinſchaft und das Vereinsleben. Während im Alterthum die Arbeiter durch den Arbeitgeber Zu jenen zwei Gedanken: einer Gliederung der Arbeit in Der erſte Verſuch der Art iſt im Alterthum die Plato- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0076" n="66"/> <div n="2"> <head>2. <hi rendition="#g">Die Gemeinſchaft und das Vereinsleben.</hi></head><lb/> <p>Während im Alterthum die Arbeiter durch den Arbeitgeber<lb/> ernährt wurden, weil ſie ſeine <hi rendition="#g">Sklaven</hi> waren, und deshalb<lb/> weder der Arbeit die Ehre der Freiheit zukam, noch ſie den Reich-<lb/> thum zur Folge hatte: ſehen wir das Mittelalter ſchon den Schritt<lb/> weiter thun, daß die freien Arbeiter ſelbſt unter einander für ihr<lb/> Wohl ſorgen. Aber die Veranſtaltungen, welche getroffen wurden,<lb/> damit der Arbeiter ſeinen genügenden Lohn finde, ſind ebenſo<lb/> wenig mit der Freiheit der Arbeit verträglich, als ſie die Ent-<lb/> wickelung des Gewerbfleißes befördern konnten. Die <hi rendition="#g">Zünfte</hi><lb/> waren geſchloſſen. Es wurden nur ſo viel Meiſter aufgenommen,<lb/> als der Arbeitszweig Meiſter ernähren konnte. Da jeder ſein<lb/> ſicheres Brod hatte, brauchte er ſich nicht anzuſtrengen, ſich vor<lb/> Andern auszuzeichnen und ihnen den Rang abzulaufen. Die<lb/> Concurrenz verſchwand, und ſomit ſchwang der Erfindunsgeiſt<lb/> ſich nicht bis zu der Höhe, die er jetzt erreicht hat. Das Hand-<lb/> werk, die Kunſt und die Wiſſenſchaft blieben ſtehen. Denn das<lb/> Zunftweſen ergriff auch die höheren edleren Beſchäftigungen; und<lb/> in der Wiſſenſchaft haben ſie ſich ſogar noch bis in die Gegen-<lb/> wart erhalten. Durch die Eheloſigkeit der Prieſter, durch die<lb/> Keuſchheitsgelübde der geiſtlichen Orden wurde die übergroße<lb/> Steigerung der Bevölkerung, wenn auch auf Koſten der Sittlich-<lb/> keit, verhindert; und wenn dennoch Ueberfluß an Arbeitskraft<lb/> vorhanden war, ſo ſorgten die Klöſter für den Hungrigen, und<lb/> ließen kein Proletariat entſtehen.</p><lb/> <p>Zu jenen zwei Gedanken: einer Gliederung der Arbeit in<lb/> der Familie (denn der Sklave gehört der Familie an) und in dem<lb/> Stande durch die Zünfte, trat bald der umfaſſende Plan hinzu,<lb/> den Staat eine ſolche Gliederung im Ganzen unternehmen zu<lb/> laſſen; wodurch allerdings der Freiheit des Einzelnen alle Ent-<lb/> wickelung entzogen, und alle Macht und alle Thätigkeit dem Ge-<lb/> ſammtleben übergeben wird.</p><lb/> <p>Der erſte Verſuch der Art iſt im Alterthum die <hi rendition="#g">Plato-<lb/> niſche Republik.</hi> Sie ging von dem richtigen Grundſatz aus,<lb/> daß die Gliederung der Arbeit nicht dem Zufall überlaſſen<lb/> werden müſſe, ſondern der Einſicht; — ein Grundſatz welcher<lb/> durch Sokrates aufgeſtellt worden war. Dieſe Einſicht ſoll wie-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0076]
2. Die Gemeinſchaft und das Vereinsleben.
Während im Alterthum die Arbeiter durch den Arbeitgeber
ernährt wurden, weil ſie ſeine Sklaven waren, und deshalb
weder der Arbeit die Ehre der Freiheit zukam, noch ſie den Reich-
thum zur Folge hatte: ſehen wir das Mittelalter ſchon den Schritt
weiter thun, daß die freien Arbeiter ſelbſt unter einander für ihr
Wohl ſorgen. Aber die Veranſtaltungen, welche getroffen wurden,
damit der Arbeiter ſeinen genügenden Lohn finde, ſind ebenſo
wenig mit der Freiheit der Arbeit verträglich, als ſie die Ent-
wickelung des Gewerbfleißes befördern konnten. Die Zünfte
waren geſchloſſen. Es wurden nur ſo viel Meiſter aufgenommen,
als der Arbeitszweig Meiſter ernähren konnte. Da jeder ſein
ſicheres Brod hatte, brauchte er ſich nicht anzuſtrengen, ſich vor
Andern auszuzeichnen und ihnen den Rang abzulaufen. Die
Concurrenz verſchwand, und ſomit ſchwang der Erfindunsgeiſt
ſich nicht bis zu der Höhe, die er jetzt erreicht hat. Das Hand-
werk, die Kunſt und die Wiſſenſchaft blieben ſtehen. Denn das
Zunftweſen ergriff auch die höheren edleren Beſchäftigungen; und
in der Wiſſenſchaft haben ſie ſich ſogar noch bis in die Gegen-
wart erhalten. Durch die Eheloſigkeit der Prieſter, durch die
Keuſchheitsgelübde der geiſtlichen Orden wurde die übergroße
Steigerung der Bevölkerung, wenn auch auf Koſten der Sittlich-
keit, verhindert; und wenn dennoch Ueberfluß an Arbeitskraft
vorhanden war, ſo ſorgten die Klöſter für den Hungrigen, und
ließen kein Proletariat entſtehen.
Zu jenen zwei Gedanken: einer Gliederung der Arbeit in
der Familie (denn der Sklave gehört der Familie an) und in dem
Stande durch die Zünfte, trat bald der umfaſſende Plan hinzu,
den Staat eine ſolche Gliederung im Ganzen unternehmen zu
laſſen; wodurch allerdings der Freiheit des Einzelnen alle Ent-
wickelung entzogen, und alle Macht und alle Thätigkeit dem Ge-
ſammtleben übergeben wird.
Der erſte Verſuch der Art iſt im Alterthum die Plato-
niſche Republik. Sie ging von dem richtigen Grundſatz aus,
daß die Gliederung der Arbeit nicht dem Zufall überlaſſen
werden müſſe, ſondern der Einſicht; — ein Grundſatz welcher
durch Sokrates aufgeſtellt worden war. Dieſe Einſicht ſoll wie-
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