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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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I. Erstes Zusammentreffen -- der vielgereiste Engländer -- Kunst d. Reise.
nen, je nach Umständen, alles ohne Präjudiz, so recht für den
Reisegebrauch geeignet. Die Unterhaltung wurde bald leb-
haft, setzte sich fort bis in die Nacht, hatte zur Folge, daß ich
mich beiden Herren für die weitere Reise anschloß und --
daß dieses Büchlein entstand. Da es zur Legitimation dessel-
ben gehört (Wanderer, die sich gar nicht ausweisen können,
laufen Gefahr, als Landstreicher behandelt zu werden), so sei
es vergönnt, zunächst auf einige Personalien einzugehen, die
weiteren Capitel sollen dann um so ausschließlicher Realien
gewidmet sein.

Die Herren waren wirkliche, leibhaftige Engländer,
Oheim und Neffe. Der Erstere, Sohn einer deutschen Mut-
ter, hatte schon als Knabe mehre Jahre in einer deutschen
Lehranstalt zugebracht und war unsrer Sprache völlig mächtig.
Nachdem er lange als Officier in Ostindien gedient und dort
Frau und Kinder verloren, hatte er, tief gebeugt, dazu kränk-
lich, seinen Abschied genommen und war nach Europa zurück-
gekehrt. Auf ärztlichen Rath verbrachte er darauf geraume
Zeit in deutschen Bädern, den Alpen, Südeuropa und dem
Orient. Gegenwärtig war sein Wohnsitz London, es verging
aber selten ein Sommer, den er nicht theilweise auf dem Fest-
lande zubrachte. Als ich ihm begegnete, hatte er seinen Neffen
bei sich, um ihn in der "Kunst der Reise" zu unterrichten,
welche nach seiner Ansicht nicht unter die "noblen Passionen",
sondern höher hinauf, unter die accomplishments of a
thorough gentleman,
die Erfordernisse eines vollkommenen
Gentleman gehörte.

Was ich unter dieser, ehedem "Apodemik" genannten
Kunst verstehe, sagte er, wird sich weiterhin sattsam ergeben,
hier will ich nur bemerken, daß in diesen Bereich meines Er-
achtens Alles gehört, was beitragen kann, die Reise ersprieß-
lich und angenehm zu machen, ein richtiges Verhältniß herzu-
stellen zwischen Mitteln und Zwecken, ihre Mißlichkeiten und
Gefahren zu mindern und ihre Genüsse zu steigern. Nicht
blos sind dabei eigentliche Touristen in's Auge zu fassen,

I. Erſtes Zuſammentreffen — der vielgereiſte Engländer — Kunſt d. Reiſe.
nen, je nach Umſtänden, alles ohne Präjudiz, ſo recht für den
Reiſegebrauch geeignet. Die Unterhaltung wurde bald leb-
haft, ſetzte ſich fort bis in die Nacht, hatte zur Folge, daß ich
mich beiden Herren für die weitere Reiſe anſchloß und —
daß dieſes Büchlein entſtand. Da es zur Legitimation deſſel-
ben gehört (Wanderer, die ſich gar nicht ausweiſen können,
laufen Gefahr, als Landſtreicher behandelt zu werden), ſo ſei
es vergönnt, zunächſt auf einige Perſonalien einzugehen, die
weiteren Capitel ſollen dann um ſo ausſchließlicher Realien
gewidmet ſein.

Die Herren waren wirkliche, leibhaftige Engländer,
Oheim und Neffe. Der Erſtere, Sohn einer deutſchen Mut-
ter, hatte ſchon als Knabe mehre Jahre in einer deutſchen
Lehranſtalt zugebracht und war unſrer Sprache völlig mächtig.
Nachdem er lange als Officier in Oſtindien gedient und dort
Frau und Kinder verloren, hatte er, tief gebeugt, dazu kränk-
lich, ſeinen Abſchied genommen und war nach Europa zurück-
gekehrt. Auf ärztlichen Rath verbrachte er darauf geraume
Zeit in deutſchen Bädern, den Alpen, Südeuropa und dem
Orient. Gegenwärtig war ſein Wohnſitz London, es verging
aber ſelten ein Sommer, den er nicht theilweiſe auf dem Feſt-
lande zubrachte. Als ich ihm begegnete, hatte er ſeinen Neffen
bei ſich, um ihn in der „Kunſt der Reiſe“ zu unterrichten,
welche nach ſeiner Anſicht nicht unter die „noblen Paſſionen“,
ſondern höher hinauf, unter die accomplishments of a
thorough gentleman,
die Erforderniſſe eines vollkommenen
Gentleman gehörte.

Was ich unter dieſer, ehedem „Apodemik“ genannten
Kunſt verſtehe, ſagte er, wird ſich weiterhin ſattſam ergeben,
hier will ich nur bemerken, daß in dieſen Bereich meines Er-
achtens Alles gehört, was beitragen kann, die Reiſe erſprieß-
lich und angenehm zu machen, ein richtiges Verhältniß herzu-
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[2/0016] I. Erſtes Zuſammentreffen — der vielgereiſte Engländer — Kunſt d. Reiſe. nen, je nach Umſtänden, alles ohne Präjudiz, ſo recht für den Reiſegebrauch geeignet. Die Unterhaltung wurde bald leb- haft, ſetzte ſich fort bis in die Nacht, hatte zur Folge, daß ich mich beiden Herren für die weitere Reiſe anſchloß und — daß dieſes Büchlein entſtand. Da es zur Legitimation deſſel- ben gehört (Wanderer, die ſich gar nicht ausweiſen können, laufen Gefahr, als Landſtreicher behandelt zu werden), ſo ſei es vergönnt, zunächſt auf einige Perſonalien einzugehen, die weiteren Capitel ſollen dann um ſo ausſchließlicher Realien gewidmet ſein. Die Herren waren wirkliche, leibhaftige Engländer, Oheim und Neffe. Der Erſtere, Sohn einer deutſchen Mut- ter, hatte ſchon als Knabe mehre Jahre in einer deutſchen Lehranſtalt zugebracht und war unſrer Sprache völlig mächtig. Nachdem er lange als Officier in Oſtindien gedient und dort Frau und Kinder verloren, hatte er, tief gebeugt, dazu kränk- lich, ſeinen Abſchied genommen und war nach Europa zurück- gekehrt. Auf ärztlichen Rath verbrachte er darauf geraume Zeit in deutſchen Bädern, den Alpen, Südeuropa und dem Orient. Gegenwärtig war ſein Wohnſitz London, es verging aber ſelten ein Sommer, den er nicht theilweiſe auf dem Feſt- lande zubrachte. Als ich ihm begegnete, hatte er ſeinen Neffen bei ſich, um ihn in der „Kunſt der Reiſe“ zu unterrichten, welche nach ſeiner Anſicht nicht unter die „noblen Paſſionen“, ſondern höher hinauf, unter die accomplishments of a thorough gentleman, die Erforderniſſe eines vollkommenen Gentleman gehörte. Was ich unter dieſer, ehedem „Apodemik“ genannten Kunſt verſtehe, ſagte er, wird ſich weiterhin ſattſam ergeben, hier will ich nur bemerken, daß in dieſen Bereich meines Er- achtens Alles gehört, was beitragen kann, die Reiſe erſprieß- lich und angenehm zu machen, ein richtiges Verhältniß herzu- ſtellen zwiſchen Mitteln und Zwecken, ihre Mißlichkeiten und Gefahren zu mindern und ihre Genüſſe zu ſteigern. Nicht blos ſind dabei eigentliche Touriſten in’s Auge zu faſſen,

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/16>, abgerufen am 21.11.2024.