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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Lectionen im Müßiggang.
greifen und zur Verantwortung zu ziehen. Sollten sich denn
aber nicht Wege finden lassen, der Strenge dieses Gesetzes zu
entgehen, gibt es nicht irgend ein Lösegeld, das auch schwache
Kräfte bei gutem Willen aufbringen können? Läßt sich nicht
vielleicht, wie jede andere Kunstfertigkeit, auch der Müßig-
gang erlernen? Dann wäre ja statt des aufgegebenen ein
neuer Beruf geschaffen und wir hätten nicht abzurechnen mit
täglichen so und soviel unerbittlichen Stunden, deren jede
aus wohlgezählten sechzig bleiernen Minuten besteht? -- --
Diesen Betrachtungen gab ich mich hin, als meine Aerzte mich
von einem Badeort zum andern ordinirten. --

-- Nun, theurer Meister, Ihr schweigt? Beim Styx,
redet, wie läßt sich's anstellen, um ohne Arbeit den Erinnyen-
klauen der Langenweile zu entgehen? Curgäste, Rentiers,
Sinecuristen jeder Art würden dem Wohlthäter, der sie
diese Kunst lehrt, ein Denkmal setzen. Läßt sich der Müßig-
gang, ich meine den behaglichen, anständigen Müßiggang,
der nicht wie der Gähner die Hand vorzuhalten braucht, läßt
er sich in der That erlernen?

-- Erlernen läßt sich etwas der Art, aber nicht lehren,
mein vielfragender junger Freund, so lauteten die ersten ge-
flügelten Worte, die der Weise endlich kundgab. Alle anderen
Künste und Fertigkeiten können beigebracht werden, die Kunst
des Müßiggangs hingegen ist eine freie, die aller Regeln
spottet. Wer vermöchte vorauszusehen und zu classificiren,
welche Gebote und Verbote dem Einzelnen seine Verhältnisse
auferlegen? Ich kann nur mahnen, eifrig und unermüdlich
zu suchen. Das Wort Müßiggang fasse ich hier im weitesten
Sinne, verstehe darunter Alles, was außerhalb des gewohn-
ten Berufstreibens liegt, und glaube allerdings, daß Einer,
der durch zwingende Umstände aus seinem gewohnten Treiben
gerissen ist, ein neues, ihm angemessenes, seine Zeit und ihn
selbst einigermaßen ausfüllendes in den meisten Fällen nicht
lange vergebens suchen wird.

Die vornehmste Warnung, die ich an einen Solchen richten

V. Lectionen im Müßiggang.
greifen und zur Verantwortung zu ziehen. Sollten ſich denn
aber nicht Wege finden laſſen, der Strenge dieſes Geſetzes zu
entgehen, gibt es nicht irgend ein Löſegeld, das auch ſchwache
Kräfte bei gutem Willen aufbringen können? Läßt ſich nicht
vielleicht, wie jede andere Kunſtfertigkeit, auch der Müßig-
gang erlernen? Dann wäre ja ſtatt des aufgegebenen ein
neuer Beruf geſchaffen und wir hätten nicht abzurechnen mit
täglichen ſo und ſoviel unerbittlichen Stunden, deren jede
aus wohlgezählten ſechzig bleiernen Minuten beſteht? — —
Dieſen Betrachtungen gab ich mich hin, als meine Aerzte mich
von einem Badeort zum andern ordinirten. —

— Nun, theurer Meiſter, Ihr ſchweigt? Beim Styx,
redet, wie läßt ſich’s anſtellen, um ohne Arbeit den Erinnyen-
klauen der Langenweile zu entgehen? Curgäſte, Rentiers,
Sinecuriſten jeder Art würden dem Wohlthäter, der ſie
dieſe Kunſt lehrt, ein Denkmal ſetzen. Läßt ſich der Müßig-
gang, ich meine den behaglichen, anſtändigen Müßiggang,
der nicht wie der Gähner die Hand vorzuhalten braucht, läßt
er ſich in der That erlernen?

— Erlernen läßt ſich etwas der Art, aber nicht lehren,
mein vielfragender junger Freund, ſo lauteten die erſten ge-
flügelten Worte, die der Weiſe endlich kundgab. Alle anderen
Künſte und Fertigkeiten können beigebracht werden, die Kunſt
des Müßiggangs hingegen iſt eine freie, die aller Regeln
ſpottet. Wer vermöchte vorauszuſehen und zu claſſificiren,
welche Gebote und Verbote dem Einzelnen ſeine Verhältniſſe
auferlegen? Ich kann nur mahnen, eifrig und unermüdlich
zu ſuchen. Das Wort Müßiggang faſſe ich hier im weiteſten
Sinne, verſtehe darunter Alles, was außerhalb des gewohn-
ten Berufstreibens liegt, und glaube allerdings, daß Einer,
der durch zwingende Umſtände aus ſeinem gewohnten Treiben
geriſſen iſt, ein neues, ihm angemeſſenes, ſeine Zeit und ihn
ſelbſt einigermaßen ausfüllendes in den meiſten Fällen nicht
lange vergebens ſuchen wird.

Die vornehmſte Warnung, die ich an einen Solchen richten

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[156/0170] V. Lectionen im Müßiggang. greifen und zur Verantwortung zu ziehen. Sollten ſich denn aber nicht Wege finden laſſen, der Strenge dieſes Geſetzes zu entgehen, gibt es nicht irgend ein Löſegeld, das auch ſchwache Kräfte bei gutem Willen aufbringen können? Läßt ſich nicht vielleicht, wie jede andere Kunſtfertigkeit, auch der Müßig- gang erlernen? Dann wäre ja ſtatt des aufgegebenen ein neuer Beruf geſchaffen und wir hätten nicht abzurechnen mit täglichen ſo und ſoviel unerbittlichen Stunden, deren jede aus wohlgezählten ſechzig bleiernen Minuten beſteht? — — Dieſen Betrachtungen gab ich mich hin, als meine Aerzte mich von einem Badeort zum andern ordinirten. — — Nun, theurer Meiſter, Ihr ſchweigt? Beim Styx, redet, wie läßt ſich’s anſtellen, um ohne Arbeit den Erinnyen- klauen der Langenweile zu entgehen? Curgäſte, Rentiers, Sinecuriſten jeder Art würden dem Wohlthäter, der ſie dieſe Kunſt lehrt, ein Denkmal ſetzen. Läßt ſich der Müßig- gang, ich meine den behaglichen, anſtändigen Müßiggang, der nicht wie der Gähner die Hand vorzuhalten braucht, läßt er ſich in der That erlernen? — Erlernen läßt ſich etwas der Art, aber nicht lehren, mein vielfragender junger Freund, ſo lauteten die erſten ge- flügelten Worte, die der Weiſe endlich kundgab. Alle anderen Künſte und Fertigkeiten können beigebracht werden, die Kunſt des Müßiggangs hingegen iſt eine freie, die aller Regeln ſpottet. Wer vermöchte vorauszuſehen und zu claſſificiren, welche Gebote und Verbote dem Einzelnen ſeine Verhältniſſe auferlegen? Ich kann nur mahnen, eifrig und unermüdlich zu ſuchen. Das Wort Müßiggang faſſe ich hier im weiteſten Sinne, verſtehe darunter Alles, was außerhalb des gewohn- ten Berufstreibens liegt, und glaube allerdings, daß Einer, der durch zwingende Umſtände aus ſeinem gewohnten Treiben geriſſen iſt, ein neues, ihm angemeſſenes, ſeine Zeit und ihn ſelbſt einigermaßen ausfüllendes in den meiſten Fällen nicht lange vergebens ſuchen wird. Die vornehmſte Warnung, die ich an einen Solchen richten

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/170>, abgerufen am 21.11.2024.