Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.die auch Strafgefangenen in vollem Maße gewährt werden, und doch pflegt man so karg damit zu sein, daß an einer langen Tafel oft nur eine oder zwei Wasser- und ebenso viel Salzquellen vorhanden sind, der Brodkorb am Saum des Horizonts hängt und jeder Gast auf die in der äußersten Serviettennische verkrochene, ameiseneiförmige Semmel und die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarsnachbarn angewiesen ist, denn die Kellner gehen meistens in der "Sorge für's Allgemeine" so völlig auf, daß sie für das "Besondere" und seine Anliegen keinen Sinn, überhaupt wie gewisse Verba kein Präsens, sondern nur Imperfectum und Futurum haben. Glauben die Herren vielleicht, daß der Schmachtende um so mehr Wein trinken werde? -- Warum ist ferner nicht stets für mehrerlei Brod, schwarzes und weißes, gesorgt? Sogar auf die königliche Tafel in Hietzing kommt regelmäßig beides, obwohl S. M. sonst gegen diese Farben den leidenschaftlichsten Widerwillen hat. Auch Goethe -- er war zwar nur Dichter, gehörte aber als Minister doch unter die Vornehmen -- aß selbst Mittags Roggenbrod, ließ jedoch seinen Gästen stets gleichzeitig Weizengebäck vorsetzen, wie seine Biographen ge- treulich berichten. Wenig verstehen auch Hoteliers ihren Vortheil, die das die auch Strafgefangenen in vollem Maße gewährt werden, und doch pflegt man ſo karg damit zu ſein, daß an einer langen Tafel oft nur eine oder zwei Waſſer- und ebenſo viel Salzquellen vorhanden ſind, der Brodkorb am Saum des Horizonts hängt und jeder Gaſt auf die in der äußerſten Serviettenniſche verkrochene, ameiſeneiförmige Semmel und die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarsnachbarn angewieſen iſt, denn die Kellner gehen meiſtens in der „Sorge für’s Allgemeine“ ſo völlig auf, daß ſie für das „Beſondere“ und ſeine Anliegen keinen Sinn, überhaupt wie gewiſſe Verba kein Präſens, ſondern nur Imperfectum und Futurum haben. Glauben die Herren vielleicht, daß der Schmachtende um ſo mehr Wein trinken werde? — Warum iſt ferner nicht ſtets für mehrerlei Brod, ſchwarzes und weißes, geſorgt? Sogar auf die königliche Tafel in Hietzing kommt regelmäßig beides, obwohl S. M. ſonſt gegen dieſe Farben den leidenſchaftlichſten Widerwillen hat. Auch Goethe — er war zwar nur Dichter, gehörte aber als Miniſter doch unter die Vornehmen — aß ſelbſt Mittags Roggenbrod, ließ jedoch ſeinen Gäſten ſtets gleichzeitig Weizengebäck vorſetzen, wie ſeine Biographen ge- treulich berichten. Wenig verſtehen auch Hôteliers ihren Vortheil, die das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0186" n="172"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Waſſer u. Brod. Imperfectum u. Futurum. <placeName>Hietzing</placeName>. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118540238">Goethe</persName>. Bier.</fw><lb/> die auch Strafgefangenen in vollem Maße gewährt werden,<lb/> und doch pflegt man ſo karg damit zu ſein, daß an einer<lb/> langen Tafel oft nur eine oder zwei Waſſer- und ebenſo viel<lb/> Salzquellen vorhanden ſind, der Brodkorb am Saum des<lb/> Horizonts hängt und jeder Gaſt auf die in der äußerſten<lb/> Serviettenniſche verkrochene, ameiſeneiförmige Semmel und die<lb/> Gefälligkeit einer Kette von Nachbarsnachbarn angewieſen<lb/> iſt, denn die Kellner gehen meiſtens in der „Sorge für’s<lb/> Allgemeine“ ſo völlig auf, daß ſie für das „Beſondere“ und<lb/> ſeine Anliegen keinen Sinn, überhaupt wie gewiſſe Verba<lb/> kein Präſens, ſondern nur Imperfectum und Futurum haben.<lb/> Glauben die Herren vielleicht, daß der Schmachtende um ſo<lb/> mehr Wein trinken werde? — Warum iſt ferner nicht ſtets<lb/> für mehrerlei Brod, ſchwarzes und weißes, geſorgt? Sogar<lb/> auf die königliche Tafel in <placeName>Hietzing</placeName> kommt regelmäßig beides,<lb/> obwohl S. M. ſonſt gegen dieſe Farben den leidenſchaftlichſten<lb/> Widerwillen hat. Auch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118540238">Goethe</persName> — er war zwar nur Dichter,<lb/> gehörte aber als Miniſter doch unter die Vornehmen — aß<lb/> ſelbſt Mittags Roggenbrod, ließ jedoch ſeinen Gäſten ſtets<lb/> gleichzeitig Weizengebäck vorſetzen, wie ſeine Biographen ge-<lb/> treulich berichten.</p><lb/> <p>Wenig verſtehen auch H<hi rendition="#aq">ô</hi>teliers ihren Vortheil, die das<lb/> von Jahr zu Jahr faſhionabler und kosmopolitiſcher werdende<lb/> germaniſche Lieblingsgetränk grundſätzlich von ihren Tafeln<lb/> ausſchließen, theils weil ſie fürchten, eine unerwünſchte Sorte<lb/> von Gäſten anzuziehen, theils weil ihr Kalkül auf Weinzwang<lb/> fußt. Auch dieſe Wirthsrechnung iſt ohne Wirth gemacht,<lb/> aus Gründen, die Jedem einleuchten, der einigen Geſchäfts-<lb/> blick hat, daher kommt neuerdings gerade in den eleganteſten<lb/> Touriſtenh<hi rendition="#aq">ô</hi>tels dies thörichte Prohibitivſyſtem ganz ab. Man<lb/> hält oder beſorgt auf Verlangen ein gutes <hi rendition="#g">Bier</hi>, berechnet<lb/> es ſo, daß nicht leicht Sparſamkeitsrückſichten zu einer Bevor-<lb/> zugung des Gambrinus vor dem Bacchus veranlaſſen können,<lb/> und geht nicht darauf aus, Leute, die einmal Bier für den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [172/0186]
VI. Waſſer u. Brod. Imperfectum u. Futurum. Hietzing. Goethe. Bier.
die auch Strafgefangenen in vollem Maße gewährt werden,
und doch pflegt man ſo karg damit zu ſein, daß an einer
langen Tafel oft nur eine oder zwei Waſſer- und ebenſo viel
Salzquellen vorhanden ſind, der Brodkorb am Saum des
Horizonts hängt und jeder Gaſt auf die in der äußerſten
Serviettenniſche verkrochene, ameiſeneiförmige Semmel und die
Gefälligkeit einer Kette von Nachbarsnachbarn angewieſen
iſt, denn die Kellner gehen meiſtens in der „Sorge für’s
Allgemeine“ ſo völlig auf, daß ſie für das „Beſondere“ und
ſeine Anliegen keinen Sinn, überhaupt wie gewiſſe Verba
kein Präſens, ſondern nur Imperfectum und Futurum haben.
Glauben die Herren vielleicht, daß der Schmachtende um ſo
mehr Wein trinken werde? — Warum iſt ferner nicht ſtets
für mehrerlei Brod, ſchwarzes und weißes, geſorgt? Sogar
auf die königliche Tafel in Hietzing kommt regelmäßig beides,
obwohl S. M. ſonſt gegen dieſe Farben den leidenſchaftlichſten
Widerwillen hat. Auch Goethe — er war zwar nur Dichter,
gehörte aber als Miniſter doch unter die Vornehmen — aß
ſelbſt Mittags Roggenbrod, ließ jedoch ſeinen Gäſten ſtets
gleichzeitig Weizengebäck vorſetzen, wie ſeine Biographen ge-
treulich berichten.
Wenig verſtehen auch Hôteliers ihren Vortheil, die das
von Jahr zu Jahr faſhionabler und kosmopolitiſcher werdende
germaniſche Lieblingsgetränk grundſätzlich von ihren Tafeln
ausſchließen, theils weil ſie fürchten, eine unerwünſchte Sorte
von Gäſten anzuziehen, theils weil ihr Kalkül auf Weinzwang
fußt. Auch dieſe Wirthsrechnung iſt ohne Wirth gemacht,
aus Gründen, die Jedem einleuchten, der einigen Geſchäfts-
blick hat, daher kommt neuerdings gerade in den eleganteſten
Touriſtenhôtels dies thörichte Prohibitivſyſtem ganz ab. Man
hält oder beſorgt auf Verlangen ein gutes Bier, berechnet
es ſo, daß nicht leicht Sparſamkeitsrückſichten zu einer Bevor-
zugung des Gambrinus vor dem Bacchus veranlaſſen können,
und geht nicht darauf aus, Leute, die einmal Bier für den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |