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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VII. Englische Zurückhaltung.
aber eine Richtschnur für unser Benehmen, wir dürfen viel-
mehr aus unsrer Volksart heraus handeln und jenem
Anderen entgegenkommen, vorausgesetzt, daß eine schickliche
Gelegenheit geboten ist und seine Persönlichkeit und sein Be-
nehmen dies nicht von Haus aus widerrathen. Häufige
Reisen und Berührungen mit Fremden wirken denn auch
meistens jener Scheu vor Annäherung entgegen und bilden
zugleich die Fähigkeit aus, welche Mißgriffe in der Wahl der
Personen und der Art des Entgegenkommens verhindert.

"Der Engländer reist nicht, um andere Engländer kennen
zu lernen, darum nehmen wir unterwegs von einander keine
Notiz," ist die gewöhnliche, auf eine dahin gerichtete Frage
gegebene Antwort, oder vielmehr Ausrede. Die wahren
Gründe liegen tiefer. Ein Befreundeter gab mir einst
folgende Erklärung. Es wirkt mancherlei zusammen. Unser
Hang zur Absonderung mag sich wohl schon in alten Zeiten
entwickelt haben, als die gewaltthätigen Normannen die
Angelsachsen überfielen, sie weder zu vertreiben noch auszu-
rotten vermochten, und beide grundverschiedene Stämme unter
langen Kämpfen sich endlich nebeneinander festsetzten. An
schwerer Arbeit, einschließlich politischer, hat es seit jeher
nicht gefehlt, ebenso wenig an gefahrvollen Reisen und rauhen
Berührungen mit wilden Völkerschaften, und alles das seine
Spuren im Volksgemüth zurückgelassen. Daß bei uns auch
Rang- und Classenvorurtheile sehr tief gewurzelt sind, will ich
nicht leugnen, behaupte aber, daß diese und andere hier nicht
zu berührende Dinge in unsren Beziehungen zum Ausländer
auf dem Continente kaum in's Spiel kommen. --

Vor Allem ist zu beachten, daß nicht ein Theil, sondern
wir dürfen fast sagen, die ganze Nation gern und viel reist,
und zwar bis hinab in die niederen Schichten der Gesellschaft,
wo die zu einem Ausflug auf's Festland nöthigen Geldmittel
noch vorhanden sind, mehr als in anderen Ländern. So
fällt natürlich auf die gesammte britische Touristenschaft ein
größerer Procentsatz unliebsamer Elemente und die Kleidung

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VII. Engliſche Zurückhaltung.
aber eine Richtſchnur für unſer Benehmen, wir dürfen viel-
mehr aus unſrer Volksart heraus handeln und jenem
Anderen entgegenkommen, vorausgeſetzt, daß eine ſchickliche
Gelegenheit geboten iſt und ſeine Perſönlichkeit und ſein Be-
nehmen dies nicht von Haus aus widerrathen. Häufige
Reiſen und Berührungen mit Fremden wirken denn auch
meiſtens jener Scheu vor Annäherung entgegen und bilden
zugleich die Fähigkeit aus, welche Mißgriffe in der Wahl der
Perſonen und der Art des Entgegenkommens verhindert.

„Der Engländer reiſt nicht, um andere Engländer kennen
zu lernen, darum nehmen wir unterwegs von einander keine
Notiz,“ iſt die gewöhnliche, auf eine dahin gerichtete Frage
gegebene Antwort, oder vielmehr Ausrede. Die wahren
Gründe liegen tiefer. Ein Befreundeter gab mir einſt
folgende Erklärung. Es wirkt mancherlei zuſammen. Unſer
Hang zur Abſonderung mag ſich wohl ſchon in alten Zeiten
entwickelt haben, als die gewaltthätigen Normannen die
Angelſachſen überfielen, ſie weder zu vertreiben noch auszu-
rotten vermochten, und beide grundverſchiedene Stämme unter
langen Kämpfen ſich endlich nebeneinander feſtſetzten. An
ſchwerer Arbeit, einſchließlich politiſcher, hat es ſeit jeher
nicht gefehlt, ebenſo wenig an gefahrvollen Reiſen und rauhen
Berührungen mit wilden Völkerſchaften, und alles das ſeine
Spuren im Volksgemüth zurückgelaſſen. Daß bei uns auch
Rang- und Claſſenvorurtheile ſehr tief gewurzelt ſind, will ich
nicht leugnen, behaupte aber, daß dieſe und andere hier nicht
zu berührende Dinge in unſren Beziehungen zum Ausländer
auf dem Continente kaum in’s Spiel kommen. —

Vor Allem iſt zu beachten, daß nicht ein Theil, ſondern
wir dürfen faſt ſagen, die ganze Nation gern und viel reiſt,
und zwar bis hinab in die niederen Schichten der Geſellſchaft,
wo die zu einem Ausflug auf’s Feſtland nöthigen Geldmittel
noch vorhanden ſind, mehr als in anderen Ländern. So
fällt natürlich auf die geſammte britiſche Touriſtenſchaft ein
größerer Procentſatz unliebſamer Elemente und die Kleidung

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[209/0223] VII. Engliſche Zurückhaltung. aber eine Richtſchnur für unſer Benehmen, wir dürfen viel- mehr aus unſrer Volksart heraus handeln und jenem Anderen entgegenkommen, vorausgeſetzt, daß eine ſchickliche Gelegenheit geboten iſt und ſeine Perſönlichkeit und ſein Be- nehmen dies nicht von Haus aus widerrathen. Häufige Reiſen und Berührungen mit Fremden wirken denn auch meiſtens jener Scheu vor Annäherung entgegen und bilden zugleich die Fähigkeit aus, welche Mißgriffe in der Wahl der Perſonen und der Art des Entgegenkommens verhindert. „Der Engländer reiſt nicht, um andere Engländer kennen zu lernen, darum nehmen wir unterwegs von einander keine Notiz,“ iſt die gewöhnliche, auf eine dahin gerichtete Frage gegebene Antwort, oder vielmehr Ausrede. Die wahren Gründe liegen tiefer. Ein Befreundeter gab mir einſt folgende Erklärung. Es wirkt mancherlei zuſammen. Unſer Hang zur Abſonderung mag ſich wohl ſchon in alten Zeiten entwickelt haben, als die gewaltthätigen Normannen die Angelſachſen überfielen, ſie weder zu vertreiben noch auszu- rotten vermochten, und beide grundverſchiedene Stämme unter langen Kämpfen ſich endlich nebeneinander feſtſetzten. An ſchwerer Arbeit, einſchließlich politiſcher, hat es ſeit jeher nicht gefehlt, ebenſo wenig an gefahrvollen Reiſen und rauhen Berührungen mit wilden Völkerſchaften, und alles das ſeine Spuren im Volksgemüth zurückgelaſſen. Daß bei uns auch Rang- und Claſſenvorurtheile ſehr tief gewurzelt ſind, will ich nicht leugnen, behaupte aber, daß dieſe und andere hier nicht zu berührende Dinge in unſren Beziehungen zum Ausländer auf dem Continente kaum in’s Spiel kommen. — Vor Allem iſt zu beachten, daß nicht ein Theil, ſondern wir dürfen faſt ſagen, die ganze Nation gern und viel reiſt, und zwar bis hinab in die niederen Schichten der Geſellſchaft, wo die zu einem Ausflug auf’s Feſtland nöthigen Geldmittel noch vorhanden ſind, mehr als in anderen Ländern. So fällt natürlich auf die geſammte britiſche Touriſtenſchaft ein größerer Procentſatz unliebſamer Elemente und die Kleidung 14

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/223>, abgerufen am 21.11.2024.