zu halten, als uns, je mehr werden sich gewisse Gegensätze zum gemeinsamen Besten endlich ausgleichen. --
Als unser Meister einmal so recht im Zuge war, sein Lieblingsthema, "Anknüpfung von Bekanntschaften mit Leuten und Nationalitäten allerlei Art" zu behandeln, fiel ihm mein Mitschüler Eduard in's Wort. -- Nun gut, ich will ja thun, was ich kann, wie fange ich's aber an, um aus der Masse fremder Leute, denen ich täglich begegne, die herauszufinden, welchen ich und die mir nicht unwillkommen sind, namentlich, wie vermeide ich die Alltagsmenschen, von denen die Welt wimmelt und aus deren Ansprache weder Belehrung noch Unterhaltung zu schöpfen ist?
-- Auf diese jugendlich kecke Frage habe ich keine Antwort, fuhr der Oheim in scharfem Tone heraus. Einen Talisman be- sitze ich nicht, kann dir auch keinen verschaffen. Mir selbst würde ich sagen: entweder bin auch ich ein Alltagsmensch, und dann fehlt mir die Berechtigung, Geistesverwandte zu fliehen, ich bin vielmehr auf ihre Gesellschaft angewiesen; oder ich bin keiner, dann will ich doch, um dies zu besthätigen, wenigstens den Versuch machen, an Alltagsmenschen, mit denen mich der Zufall zusammenführt, eine Seite zu finden, die meine Be- achtung verdient, meine Menschenkenntniß vervollständigen, mich anregen, von der ich lernen kann, positiv oder negativ. Finde ich sie nicht, so liegt es vermuthlich an mir, suche ich gar nicht danach, so ist die Aussicht, Sonntagsmenschen zu begegnen, um so geringer. Wenn schon auf einem Masken- balle das Errathen und Erkennen für den Hauptreiz gilt, warum sollte ich nicht die durch das Reiseleben gewährte Maskenfreiheit benutzen, bald hier bald da leise anzuklopfen, um unter der Menge Fremder und Fremdartiger Wahlver- wandte zu finden, und neue Blicke zu thun in's Menschen- leben, die mir in den heimatlichen Kreisen versagt sind? Auf der Reise verschiebt sich leicht die Maske, fällt, wird abge- worfen, der Beobachtung ist also weites Feld gegeben. Je höher meine geistige Rangstufe, je seltener zwar werde ich
VII. Alltagsmenſchen — geiſtige Rangſtufen.
zu halten, als uns, je mehr werden ſich gewiſſe Gegenſätze zum gemeinſamen Beſten endlich ausgleichen. —
Als unſer Meiſter einmal ſo recht im Zuge war, ſein Lieblingsthema, „Anknüpfung von Bekanntſchaften mit Leuten und Nationalitäten allerlei Art“ zu behandeln, fiel ihm mein Mitſchüler Eduard in’s Wort. — Nun gut, ich will ja thun, was ich kann, wie fange ich’s aber an, um aus der Maſſe fremder Leute, denen ich täglich begegne, die herauszufinden, welchen ich und die mir nicht unwillkommen ſind, namentlich, wie vermeide ich die Alltagsmenſchen, von denen die Welt wimmelt und aus deren Anſprache weder Belehrung noch Unterhaltung zu ſchöpfen iſt?
— Auf dieſe jugendlich kecke Frage habe ich keine Antwort, fuhr der Oheim in ſcharfem Tone heraus. Einen Talisman be- ſitze ich nicht, kann dir auch keinen verſchaffen. Mir ſelbſt würde ich ſagen: entweder bin auch ich ein Alltagsmenſch, und dann fehlt mir die Berechtigung, Geiſtesverwandte zu fliehen, ich bin vielmehr auf ihre Geſellſchaft angewieſen; oder ich bin keiner, dann will ich doch, um dies zu beſthätigen, wenigſtens den Verſuch machen, an Alltagsmenſchen, mit denen mich der Zufall zuſammenführt, eine Seite zu finden, die meine Be- achtung verdient, meine Menſchenkenntniß vervollſtändigen, mich anregen, von der ich lernen kann, poſitiv oder negativ. Finde ich ſie nicht, ſo liegt es vermuthlich an mir, ſuche ich gar nicht danach, ſo iſt die Ausſicht, Sonntagsmenſchen zu begegnen, um ſo geringer. Wenn ſchon auf einem Masken- balle das Errathen und Erkennen für den Hauptreiz gilt, warum ſollte ich nicht die durch das Reiſeleben gewährte Maskenfreiheit benutzen, bald hier bald da leiſe anzuklopfen, um unter der Menge Fremder und Fremdartiger Wahlver- wandte zu finden, und neue Blicke zu thun in’s Menſchen- leben, die mir in den heimatlichen Kreiſen verſagt ſind? Auf der Reiſe verſchiebt ſich leicht die Maske, fällt, wird abge- worfen, der Beobachtung iſt alſo weites Feld gegeben. Je höher meine geiſtige Rangſtufe, je ſeltener zwar werde ich
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VII. Alltagsmenſchen — geiſtige Rangſtufen.
zu halten, als uns, je mehr werden ſich gewiſſe Gegenſätze
zum gemeinſamen Beſten endlich ausgleichen. —
Als unſer Meiſter einmal ſo recht im Zuge war, ſein
Lieblingsthema, „Anknüpfung von Bekanntſchaften mit Leuten
und Nationalitäten allerlei Art“ zu behandeln, fiel ihm mein
Mitſchüler Eduard in’s Wort. — Nun gut, ich will ja thun,
was ich kann, wie fange ich’s aber an, um aus der Maſſe
fremder Leute, denen ich täglich begegne, die herauszufinden,
welchen ich und die mir nicht unwillkommen ſind, namentlich,
wie vermeide ich die Alltagsmenſchen, von denen die
Welt wimmelt und aus deren Anſprache weder Belehrung
noch Unterhaltung zu ſchöpfen iſt?
— Auf dieſe jugendlich kecke Frage habe ich keine Antwort,
fuhr der Oheim in ſcharfem Tone heraus. Einen Talisman be-
ſitze ich nicht, kann dir auch keinen verſchaffen. Mir ſelbſt würde
ich ſagen: entweder bin auch ich ein Alltagsmenſch, und dann
fehlt mir die Berechtigung, Geiſtesverwandte zu fliehen, ich bin
vielmehr auf ihre Geſellſchaft angewieſen; oder ich bin keiner,
dann will ich doch, um dies zu beſthätigen, wenigſtens den
Verſuch machen, an Alltagsmenſchen, mit denen mich der
Zufall zuſammenführt, eine Seite zu finden, die meine Be-
achtung verdient, meine Menſchenkenntniß vervollſtändigen,
mich anregen, von der ich lernen kann, poſitiv oder negativ.
Finde ich ſie nicht, ſo liegt es vermuthlich an mir, ſuche ich
gar nicht danach, ſo iſt die Ausſicht, Sonntagsmenſchen zu
begegnen, um ſo geringer. Wenn ſchon auf einem Masken-
balle das Errathen und Erkennen für den Hauptreiz gilt,
warum ſollte ich nicht die durch das Reiſeleben gewährte
Maskenfreiheit benutzen, bald hier bald da leiſe anzuklopfen,
um unter der Menge Fremder und Fremdartiger Wahlver-
wandte zu finden, und neue Blicke zu thun in’s Menſchen-
leben, die mir in den heimatlichen Kreiſen verſagt ſind? Auf
der Reiſe verſchiebt ſich leicht die Maske, fällt, wird abge-
worfen, der Beobachtung iſt alſo weites Feld gegeben. Je
höher meine geiſtige Rangſtufe, je ſeltener zwar werde ich
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/230>, abgerufen am 16.02.2025.
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