Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VII. Moralische Erzählungen vom Lohn der Tugend. fallen lassen, als in Badeorten, in denen man sich so häufigwieder begegnet, hier gilt es mithin, noch vorsichtiger in der Annäherung zu sein, immerhin ist jedoch, wenn einmal Zufall oder Absicht eine solche eingeleitet hat, der Bruch nicht zu übereilen. Früher hatte ich diese üble Gewohnheit und verfuhr oft recht unsanft, den Einflüsterungen der Ungeduld nachgebend, welche Mutter der Rücksichtslosigkeit und Tante der Grobheit ist, bin aber durch eine Reihe von Erfahrungen belehrt davon zurückgekommen. Die für mich unliebsamen, nur für Andere lustigen dieser Erlebnisse verschweige ich, blos zwei kleine moralische Erzählungen, wie Tugend belohnt wird, mögen hier stehen. Eine Postfahrt aus Sachsen nach Carlsbad hatte mich VII. Moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend. fallen laſſen, als in Badeorten, in denen man ſich ſo häufigwieder begegnet, hier gilt es mithin, noch vorſichtiger in der Annäherung zu ſein, immerhin iſt jedoch, wenn einmal Zufall oder Abſicht eine ſolche eingeleitet hat, der Bruch nicht zu übereilen. Früher hatte ich dieſe üble Gewohnheit und verfuhr oft recht unſanft, den Einflüſterungen der Ungeduld nachgebend, welche Mutter der Rückſichtsloſigkeit und Tante der Grobheit iſt, bin aber durch eine Reihe von Erfahrungen belehrt davon zurückgekommen. Die für mich unliebſamen, nur für Andere luſtigen dieſer Erlebniſſe verſchweige ich, blos zwei kleine moraliſche Erzählungen, wie Tugend belohnt wird, mögen hier ſtehen. Eine Poſtfahrt aus Sachſen nach Carlsbad hatte mich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0236" n="222"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend.</fw><lb/> fallen laſſen, als in Badeorten, in denen man ſich ſo häufig<lb/> wieder begegnet, hier gilt es mithin, noch vorſichtiger in der<lb/> Annäherung zu ſein, immerhin iſt jedoch, wenn einmal<lb/> Zufall oder Abſicht eine ſolche eingeleitet hat, der Bruch nicht<lb/> zu übereilen. Früher hatte ich dieſe üble Gewohnheit und<lb/> verfuhr oft recht unſanft, den Einflüſterungen der Ungeduld<lb/> nachgebend, welche Mutter der Rückſichtsloſigkeit und Tante<lb/> der Grobheit iſt, bin aber durch eine Reihe von Erfahrungen<lb/> belehrt davon zurückgekommen. Die für mich unliebſamen,<lb/> nur für Andere luſtigen dieſer Erlebniſſe verſchweige ich,<lb/> blos zwei kleine moraliſche Erzählungen, wie Tugend belohnt<lb/> wird, mögen hier ſtehen.</p><lb/> <p>Eine Poſtfahrt aus <placeName>Sachſen</placeName> nach <placeName>Carlsbad</placeName> hatte mich<lb/> mit einem ſchwarzgalligen alten Herrn zuſammengeführt.<lb/> Seitdem jeden Morgen vor fünf Uhr traf ich dort mit ihm<lb/> am Sprudel zuſammen, wo bekanntlich um dieſe Zeit der<lb/> engere Ausſchuß der europäiſchen Hypochonder tagt. Jeder<lb/> ſteht, den Rücken nach der Verſammlung gekehrt, bläſt in<lb/> den Becher und wirft unholde Blicke rückwärts über die<lb/> Achſel. Ich war der Einzige, dem mein Wagengefährte an-<lb/> vertrauen konnte, wieviel Stunden er nicht geſchlafen, wie-<lb/> viel Becher Mühlbrunn er hinterher trinken werde, was<lb/> ihm geſtern Doctor <persName ref="nognd">H.</persName> ſonſt noch verordnet hatte und wie<lb/> ſchlecht wieder die Suppe im Nn’ſchen Hofe geweſen ſei.<lb/> Schon überlegte ich, wie es wohl anzuſtellen ſei, um los-<lb/> zukommen, als ſich plötzlich die Scene ändert: am Arme des<lb/> verdrießlichen Alten erſcheint eines Morgens ein wunderbar<lb/> ſchönes Mädchen, ſeine Tochter. Nun, dachte ich, es gibt<lb/> ja garſtige, ſtachelige Cacteen, die prachtvolle Blüten treiben.<lb/> Der Cactus verlor aber auch ſeine Stacheln, wurde ein um-<lb/> gänglicher, unterhaltender Mann, wenigſtens war das die<lb/> Anſicht des fröhlichen, belebten Kreiſes, der ſich ſchon nach<lb/> drei Tagen um Papa, Tochter und mich gebildet hatte, ſoviel<lb/> ich weiß, des einzigen derartigen, den damals <placeName>Carlsbad</placeName> beſaß.<lb/> Sogar mehre der Fünfuhrſtammgäſte des Sprudels hatten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [222/0236]
VII. Moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend.
fallen laſſen, als in Badeorten, in denen man ſich ſo häufig
wieder begegnet, hier gilt es mithin, noch vorſichtiger in der
Annäherung zu ſein, immerhin iſt jedoch, wenn einmal
Zufall oder Abſicht eine ſolche eingeleitet hat, der Bruch nicht
zu übereilen. Früher hatte ich dieſe üble Gewohnheit und
verfuhr oft recht unſanft, den Einflüſterungen der Ungeduld
nachgebend, welche Mutter der Rückſichtsloſigkeit und Tante
der Grobheit iſt, bin aber durch eine Reihe von Erfahrungen
belehrt davon zurückgekommen. Die für mich unliebſamen,
nur für Andere luſtigen dieſer Erlebniſſe verſchweige ich,
blos zwei kleine moraliſche Erzählungen, wie Tugend belohnt
wird, mögen hier ſtehen.
Eine Poſtfahrt aus Sachſen nach Carlsbad hatte mich
mit einem ſchwarzgalligen alten Herrn zuſammengeführt.
Seitdem jeden Morgen vor fünf Uhr traf ich dort mit ihm
am Sprudel zuſammen, wo bekanntlich um dieſe Zeit der
engere Ausſchuß der europäiſchen Hypochonder tagt. Jeder
ſteht, den Rücken nach der Verſammlung gekehrt, bläſt in
den Becher und wirft unholde Blicke rückwärts über die
Achſel. Ich war der Einzige, dem mein Wagengefährte an-
vertrauen konnte, wieviel Stunden er nicht geſchlafen, wie-
viel Becher Mühlbrunn er hinterher trinken werde, was
ihm geſtern Doctor H. ſonſt noch verordnet hatte und wie
ſchlecht wieder die Suppe im Nn’ſchen Hofe geweſen ſei.
Schon überlegte ich, wie es wohl anzuſtellen ſei, um los-
zukommen, als ſich plötzlich die Scene ändert: am Arme des
verdrießlichen Alten erſcheint eines Morgens ein wunderbar
ſchönes Mädchen, ſeine Tochter. Nun, dachte ich, es gibt
ja garſtige, ſtachelige Cacteen, die prachtvolle Blüten treiben.
Der Cactus verlor aber auch ſeine Stacheln, wurde ein um-
gänglicher, unterhaltender Mann, wenigſtens war das die
Anſicht des fröhlichen, belebten Kreiſes, der ſich ſchon nach
drei Tagen um Papa, Tochter und mich gebildet hatte, ſoviel
ich weiß, des einzigen derartigen, den damals Carlsbad beſaß.
Sogar mehre der Fünfuhrſtammgäſte des Sprudels hatten
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