Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.VIII. Gelehrter Kram -- touristischer Stammbaum. etymologischen Erklärungen des Wortes "Tourist" und der-gleichen "gelehrtem Krame" beschwerlich zu fallen. Ueber alles das gibt jedes Conversationslexicon Auskunft. Zwar könnte er, um Theilnahme zu erregen, die Sache genealogisch behandeln und nachweisen, daß die geistigen Ahnherren des modernen Touristen die Columbus, Vasco de Gama, Diaz und Magellan sind -- was diese Großen für die Welt ent- deckten, entdecken wir Epigonen für uns, unsre Zuhörer, die Leser unsrer Briefe, Tagebücher, Reiseschilderungen -- den Stammbaum alsdann rückwärts führend zu den vornehmen, Lust- und Erholungsreisen in die Gebirge, in die Schwefel- und Seebäder machenden Römern, zu den griechischen Reise- beschreibern Arrian, Strabo, Herodot, bis zu dem erlauchten Stammvater aus Ithaka. Kenner des Alterthums versichern aber, daß dasselbe wenig Freude am Reisen hatte, und erklären das nicht blos aus dem Mangel an Straßen, der Beschwer- lichkeit, Kostbarkeit, Unsicherheit größerer Fahrten, sondern meinen auch, daß es den alten Griechen und Römern an Auge und Herz für landschaftlichen Reiz gebrach. Hier und da reiste man zu wissenschaftlichen oder anderen Zwecken, schwerlich aber aus bloßer Lust am Reisen selbst. Horaz eifert gegen das Fortziehen aus Rom, leugnet, daß die äußere Umgebung wesentlichen Einfluß auf die Stimmung des Menschen üben könne, und spottet über blasirte Reise- wuth (vgl. S. 127). Auch im Mittelalter scheint es nicht viel anders gewesen zu sein. Venetianer und Genueser kannten nur Handelsreisen. Blos eine aber glänzende Aus- nahme macht der Venetianer Marco Polo (+ 1323); seine Reisebeschreibung ist aus der nachclassischen Zeit die vorzüglichste ältere. Die großen Entdeckungsfahrten der Columbuszeit gaben dem Handelssinn, nebenbei der Aben- teuerlust reiche Nahrung, auch wissen wir, daß im Reforma- tionszeitalter mit der erwachten Theilnahme am classischen Alterthum und an der bildenden Kunst in den höheren Sphären der Bewegungstrieb der Geister sich auch einzelnen VIII. Gelehrter Kram — touriſtiſcher Stammbaum. etymologiſchen Erklärungen des Wortes „Touriſt“ und der-gleichen „gelehrtem Krame“ beſchwerlich zu fallen. Ueber alles das gibt jedes Converſationslexicon Auskunft. Zwar könnte er, um Theilnahme zu erregen, die Sache genealogiſch behandeln und nachweiſen, daß die geiſtigen Ahnherren des modernen Touriſten die Columbus, Vasco de Gama, Diaz und Magellan ſind — was dieſe Großen für die Welt ent- deckten, entdecken wir Epigonen für uns, unſre Zuhörer, die Leſer unſrer Briefe, Tagebücher, Reiſeſchilderungen — den Stammbaum alsdann rückwärts führend zu den vornehmen, Luſt- und Erholungsreiſen in die Gebirge, in die Schwefel- und Seebäder machenden Römern, zu den griechiſchen Reiſe- beſchreibern Arrian, Strabo, Herodot, bis zu dem erlauchten Stammvater aus Ithaka. Kenner des Alterthums verſichern aber, daß daſſelbe wenig Freude am Reiſen hatte, und erklären das nicht blos aus dem Mangel an Straßen, der Beſchwer- lichkeit, Koſtbarkeit, Unſicherheit größerer Fahrten, ſondern meinen auch, daß es den alten Griechen und Römern an Auge und Herz für landſchaftlichen Reiz gebrach. Hier und da reiſte man zu wiſſenſchaftlichen oder anderen Zwecken, ſchwerlich aber aus bloßer Luſt am Reiſen ſelbſt. Horaz eifert gegen das Fortziehen aus Rom, leugnet, daß die äußere Umgebung weſentlichen Einfluß auf die Stimmung des Menſchen üben könne, und ſpottet über blaſirte Reiſe- wuth (vgl. S. 127). Auch im Mittelalter ſcheint es nicht viel anders geweſen zu ſein. Venetianer und Genueſer kannten nur Handelsreiſen. Blos eine aber glänzende Aus- nahme macht der Venetianer Marco Polo († 1323); ſeine Reiſebeſchreibung iſt aus der nachclaſſiſchen Zeit die vorzüglichſte ältere. Die großen Entdeckungsfahrten der Columbuszeit gaben dem Handelsſinn, nebenbei der Aben- teuerluſt reiche Nahrung, auch wiſſen wir, daß im Reforma- tionszeitalter mit der erwachten Theilnahme am claſſiſchen Alterthum und an der bildenden Kunſt in den höheren Sphären der Bewegungstrieb der Geiſter ſich auch einzelnen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0254" n="240"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Gelehrter Kram — touriſtiſcher Stammbaum.</fw><lb/> etymologiſchen Erklärungen des Wortes „Touriſt“ und der-<lb/> gleichen „gelehrtem Krame“ beſchwerlich zu fallen. Ueber<lb/> alles das gibt jedes Converſationslexicon Auskunft. Zwar<lb/> könnte er, um Theilnahme zu erregen, die Sache genealogiſch<lb/> behandeln und nachweiſen, daß die geiſtigen Ahnherren des<lb/> modernen Touriſten die <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118564994">Columbus</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118537431">Vasco de Gama</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118678159">Diaz</persName><lb/> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117518530">Magellan</persName> ſind — was dieſe Großen für die Welt ent-<lb/> deckten, entdecken wir Epigonen für uns, unſre Zuhörer, die<lb/> Leſer unſrer Briefe, Tagebücher, Reiſeſchilderungen — den<lb/> Stammbaum alsdann rückwärts führend zu den vornehmen,<lb/> Luſt- und Erholungsreiſen in die Gebirge, in die Schwefel-<lb/> und Seebäder machenden Römern, zu den griechiſchen Reiſe-<lb/> beſchreibern <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118504436">Arrian</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118618806">Strabo</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName>, bis zu dem erlauchten<lb/> Stammvater aus <placeName>Ithaka</placeName>. Kenner des Alterthums verſichern<lb/> aber, daß daſſelbe wenig Freude am Reiſen hatte, und erklären<lb/> das nicht blos aus dem Mangel an Straßen, der Beſchwer-<lb/> lichkeit, Koſtbarkeit, Unſicherheit größerer Fahrten, ſondern<lb/> meinen auch, daß es den alten Griechen und Römern an<lb/> Auge und Herz für landſchaftlichen Reiz gebrach. Hier und<lb/> da reiſte man zu wiſſenſchaftlichen oder anderen Zwecken,<lb/> ſchwerlich aber aus bloßer Luſt am Reiſen ſelbſt. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118553569">Horaz</persName><lb/> eifert gegen das Fortziehen aus <placeName>Rom</placeName>, leugnet, daß die<lb/> äußere Umgebung weſentlichen Einfluß auf die Stimmung<lb/> des Menſchen üben könne, und ſpottet über blaſirte Reiſe-<lb/> wuth (vgl. S. 127). Auch im Mittelalter ſcheint es nicht<lb/> viel anders geweſen zu ſein. Venetianer und Genueſer<lb/> kannten nur Handelsreiſen. Blos eine aber glänzende Aus-<lb/> nahme macht der Venetianer <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595563">Marco Polo</persName></hi> († 1323);<lb/> ſeine Reiſebeſchreibung iſt aus der nachclaſſiſchen Zeit die<lb/> vorzüglichſte ältere. Die großen Entdeckungsfahrten der<lb/> Columbuszeit gaben dem Handelsſinn, nebenbei der Aben-<lb/> teuerluſt reiche Nahrung, auch wiſſen wir, daß im Reforma-<lb/> tionszeitalter mit der erwachten Theilnahme am claſſiſchen<lb/> Alterthum und an der bildenden Kunſt in den höheren<lb/> Sphären der Bewegungstrieb der Geiſter ſich auch einzelnen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [240/0254]
VIII. Gelehrter Kram — touriſtiſcher Stammbaum.
etymologiſchen Erklärungen des Wortes „Touriſt“ und der-
gleichen „gelehrtem Krame“ beſchwerlich zu fallen. Ueber
alles das gibt jedes Converſationslexicon Auskunft. Zwar
könnte er, um Theilnahme zu erregen, die Sache genealogiſch
behandeln und nachweiſen, daß die geiſtigen Ahnherren des
modernen Touriſten die Columbus, Vasco de Gama, Diaz
und Magellan ſind — was dieſe Großen für die Welt ent-
deckten, entdecken wir Epigonen für uns, unſre Zuhörer, die
Leſer unſrer Briefe, Tagebücher, Reiſeſchilderungen — den
Stammbaum alsdann rückwärts führend zu den vornehmen,
Luſt- und Erholungsreiſen in die Gebirge, in die Schwefel-
und Seebäder machenden Römern, zu den griechiſchen Reiſe-
beſchreibern Arrian, Strabo, Herodot, bis zu dem erlauchten
Stammvater aus Ithaka. Kenner des Alterthums verſichern
aber, daß daſſelbe wenig Freude am Reiſen hatte, und erklären
das nicht blos aus dem Mangel an Straßen, der Beſchwer-
lichkeit, Koſtbarkeit, Unſicherheit größerer Fahrten, ſondern
meinen auch, daß es den alten Griechen und Römern an
Auge und Herz für landſchaftlichen Reiz gebrach. Hier und
da reiſte man zu wiſſenſchaftlichen oder anderen Zwecken,
ſchwerlich aber aus bloßer Luſt am Reiſen ſelbſt. Horaz
eifert gegen das Fortziehen aus Rom, leugnet, daß die
äußere Umgebung weſentlichen Einfluß auf die Stimmung
des Menſchen üben könne, und ſpottet über blaſirte Reiſe-
wuth (vgl. S. 127). Auch im Mittelalter ſcheint es nicht
viel anders geweſen zu ſein. Venetianer und Genueſer
kannten nur Handelsreiſen. Blos eine aber glänzende Aus-
nahme macht der Venetianer Marco Polo († 1323);
ſeine Reiſebeſchreibung iſt aus der nachclaſſiſchen Zeit die
vorzüglichſte ältere. Die großen Entdeckungsfahrten der
Columbuszeit gaben dem Handelsſinn, nebenbei der Aben-
teuerluſt reiche Nahrung, auch wiſſen wir, daß im Reforma-
tionszeitalter mit der erwachten Theilnahme am claſſiſchen
Alterthum und an der bildenden Kunſt in den höheren
Sphären der Bewegungstrieb der Geiſter ſich auch einzelnen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |