Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.III. Schriftliche Aufzeichnungen -- Gedächtniß und Phantasie. seinen einheimischen Nebenbuhlern zu behandeln, auch wennsie ihm befreundet sind, wie etwa ein Knabe die Auskund- schaftung eines Vogelnestes, das er ausnehmen will; dem Fremden gegenüber schweigt aber meistens die Stimme der Selbstsucht, oder vielmehr sie flüstert: der ist ungefährlich, dem willst du doch zeigen, daß auch du Kenner und Liebhaber bist und daß auch bei uns ein guter Tropfen zu haben ist. -- Ueber die Wahl eines Führers (vergl. VI.) in entlegenen Gebirgsorten höre ich gern den Geistlichen. Nicht als Krücke, sondern als rechten Wanderstab und Es ist damit gar seltsam. Gemälde dunkeln nach im III. Schriftliche Aufzeichnungen — Gedächtniß und Phantaſie. ſeinen einheimiſchen Nebenbuhlern zu behandeln, auch wennſie ihm befreundet ſind, wie etwa ein Knabe die Auskund- ſchaftung eines Vogelneſtes, das er ausnehmen will; dem Fremden gegenüber ſchweigt aber meiſtens die Stimme der Selbſtſucht, oder vielmehr ſie flüſtert: der iſt ungefährlich, dem willſt du doch zeigen, daß auch du Kenner und Liebhaber biſt und daß auch bei uns ein guter Tropfen zu haben iſt. — Ueber die Wahl eines Führers (vergl. VI.) in entlegenen Gebirgsorten höre ich gern den Geiſtlichen. Nicht als Krücke, ſondern als rechten Wanderſtab und Es iſt damit gar ſeltſam. Gemälde dunkeln nach im <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0072" n="58"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Schriftliche Aufzeichnungen — Gedächtniß und Phantaſie.</fw><lb/> ſeinen einheimiſchen Nebenbuhlern zu behandeln, auch wenn<lb/> ſie ihm befreundet ſind, wie etwa ein Knabe die Auskund-<lb/> ſchaftung eines Vogelneſtes, das er ausnehmen will; dem<lb/> Fremden gegenüber ſchweigt aber meiſtens die Stimme der<lb/> Selbſtſucht, oder vielmehr ſie flüſtert: der iſt ungefährlich,<lb/> dem willſt du doch zeigen, daß auch du Kenner und Liebhaber<lb/> biſt und daß auch bei uns ein guter Tropfen zu haben iſt. —<lb/> Ueber die Wahl eines Führers (vergl. <hi rendition="#aq">VI.</hi>) in entlegenen<lb/> Gebirgsorten höre ich gern den Geiſtlichen.</p><lb/> <p>Nicht als Krücke, ſondern als rechten Wanderſtab und<lb/> Stütze für jedes Gedächtniß iſt die Art von ſchriftlichen <hi rendition="#g">Auf-<lb/> zeichnungen</hi> zu rühmen, die nicht auf Ausarbeitungen und<lb/> Beſchreibungen ausgeht, ſondern ſich mit Wörtern, Zahlen,<lb/> kurzen Sätzen im Telegrammenſtil begnügt, grundſätzlich<lb/> aber keinen Tag ohne einige Zeilen läßt. Nehmen wir, wie<lb/> ſchwärmeriſche Jünglinge und Jungfrauen zu thun pflegen,<lb/> den Vorſatz mit, gleich unterwegs ununterbrochenes voll-<lb/> ſtändiges Tagebuch zu führen, ſo kommt das nur zu raſch<lb/> ganz in’s Stocken, weil es bald an Zeit, Luſt, Friſche, bald<lb/> an einer zum Schreiben geeigneten Oertlichkeit und an Un-<lb/> geſtörtheit fehlt. Keinen Dispens gibt dagegen ein gutes<lb/> Reiſegewiſſen von der regelmäßigen Aufzeichnung kurzer<lb/> Notizen. Je ſtärker unſer Gedächtniß und unſere Phantaſie<lb/> und je aufmerkſamer unſer Auge iſt, je mehr Nutzen und<lb/> Freude haben wir von ſolchen Schreibereien, je kärglicher wir<lb/> in dieſer Beziehung begabt ſind, je mehr bedürfen wir ihrer.<lb/> Sie dienen theils als Grundlage für Briefe, mündliche Er-<lb/> zählungen, Ausarbeitungen, theils um an ihrer Hand nach<lb/> langen Jahren im Geiſte die Reiſe wieder und wieder machen<lb/> zu können, wobei noch der große Gewinn iſt, daß in der Er-<lb/> innerung alles Schöne hervor, alles Häßliche und Gleich-<lb/> giltige hingegen zurücktritt.</p><lb/> <p>Es iſt damit gar ſeltſam. Gemälde dunkeln nach im<lb/> Laufe der Jahre oder verblaſſen, anders verhält es ſich mit<lb/> den Bildern, die unſer Gedächtniß aufbewahrt. Dieſer treue,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [58/0072]
III. Schriftliche Aufzeichnungen — Gedächtniß und Phantaſie.
ſeinen einheimiſchen Nebenbuhlern zu behandeln, auch wenn
ſie ihm befreundet ſind, wie etwa ein Knabe die Auskund-
ſchaftung eines Vogelneſtes, das er ausnehmen will; dem
Fremden gegenüber ſchweigt aber meiſtens die Stimme der
Selbſtſucht, oder vielmehr ſie flüſtert: der iſt ungefährlich,
dem willſt du doch zeigen, daß auch du Kenner und Liebhaber
biſt und daß auch bei uns ein guter Tropfen zu haben iſt. —
Ueber die Wahl eines Führers (vergl. VI.) in entlegenen
Gebirgsorten höre ich gern den Geiſtlichen.
Nicht als Krücke, ſondern als rechten Wanderſtab und
Stütze für jedes Gedächtniß iſt die Art von ſchriftlichen Auf-
zeichnungen zu rühmen, die nicht auf Ausarbeitungen und
Beſchreibungen ausgeht, ſondern ſich mit Wörtern, Zahlen,
kurzen Sätzen im Telegrammenſtil begnügt, grundſätzlich
aber keinen Tag ohne einige Zeilen läßt. Nehmen wir, wie
ſchwärmeriſche Jünglinge und Jungfrauen zu thun pflegen,
den Vorſatz mit, gleich unterwegs ununterbrochenes voll-
ſtändiges Tagebuch zu führen, ſo kommt das nur zu raſch
ganz in’s Stocken, weil es bald an Zeit, Luſt, Friſche, bald
an einer zum Schreiben geeigneten Oertlichkeit und an Un-
geſtörtheit fehlt. Keinen Dispens gibt dagegen ein gutes
Reiſegewiſſen von der regelmäßigen Aufzeichnung kurzer
Notizen. Je ſtärker unſer Gedächtniß und unſere Phantaſie
und je aufmerkſamer unſer Auge iſt, je mehr Nutzen und
Freude haben wir von ſolchen Schreibereien, je kärglicher wir
in dieſer Beziehung begabt ſind, je mehr bedürfen wir ihrer.
Sie dienen theils als Grundlage für Briefe, mündliche Er-
zählungen, Ausarbeitungen, theils um an ihrer Hand nach
langen Jahren im Geiſte die Reiſe wieder und wieder machen
zu können, wobei noch der große Gewinn iſt, daß in der Er-
innerung alles Schöne hervor, alles Häßliche und Gleich-
giltige hingegen zurücktritt.
Es iſt damit gar ſeltſam. Gemälde dunkeln nach im
Laufe der Jahre oder verblaſſen, anders verhält es ſich mit
den Bildern, die unſer Gedächtniß aufbewahrt. Dieſer treue,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |