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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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IV. Führer.
in Augenblicken der Gefahr eine wahrhaft rührende Selbst-
verleugnung, bewundernswürdigen Scharfsinn, Spürtalent,
Sichzuhelfenwissen, Muth und Unermüdlichkeit bethätigen.
Solche Leute wird nicht leicht Jemand wie Dienstboten ge-
wöhnlichen Schlags behandeln, zumal sie gar nicht selten aus
dem Verkehr mit Gebildeten sich hübsche Kenntnisse und ge-
fällige Umgangsformen erworben haben. Deutschen gegen-
über bedarf es überhaupt schwerlich jener Aufforderungen,
welche englische Schriftsteller ihren Landsleuten so oft wieder-
holen: seid freundlich mit Euren Führern, zeigt ihnen Ver-
trauen, Wohlwollen, denn Ihr werdet den Vortheil davon
haben. -- In Tirol und Salzburg wird hoffentlich das
Führerwesen nun bald auch auf einen besseren Standpunkt
kommen. Vor Leuten, die ihre Führung um einen auffallend
wohlfeilen Preis anbieten, warnt Bädeker mit Recht. Wer
Führer zu schwierigen Ersteigungen braucht, bitte ein Alpenver-
einsmitglied um Auskunft, verlasse sich nicht auf die Empfehlung
durch einen Wirth, auch nicht auf das äußere Abzeichen, die
über der Schulter getragene, vielfach geschlungene Leine, denn
Mancher, der sich dadurch das Ansehen zu geben trachtet, als
gehöre er in die Classe des "hochsteigenden Edelthiers", zählt
seiner Natur nach zum Genus "gemeiner Packesel". Wo ich
die Wahl habe, ziehe ich Männer in reiferen Jahren vor,
denn sie haben außer der längeren Erfahrung die Ruhe und
Besonnenheit für sich. Keineswegs blos jüngere Leute übri-
gens, sondern auch einzelne ältere, sonst tüchtige Führer nei-
gen zur Eilfertigkeit. Für den Grund halte ich weniger Hab-
sucht als Ehrgeiz. Sie wollen ihre Aufgabe nicht nur lösen,
sondern auch elegant, d. h. rasch lösen, um Nebenbuhler aus-
zustechen. Hier und da habe ich noch einen andern Fehler an
Führern ersten Ranges bemerkt. Während sie einem mittel-
mäßigen Bergsteiger gegenüber alle ihre Talente aufbieten,
bis die Gefahr vorüber ist, pflegen sie wohl einem Touristen,
an dem ihr Kennerauge nach der ersten ernsthaften Probe,
welche sie scharf beobachten, gute Befähigung und Uebung

IV. Führer.
in Augenblicken der Gefahr eine wahrhaft rührende Selbſt-
verleugnung, bewundernswürdigen Scharfſinn, Spürtalent,
Sichzuhelfenwiſſen, Muth und Unermüdlichkeit bethätigen.
Solche Leute wird nicht leicht Jemand wie Dienſtboten ge-
wöhnlichen Schlags behandeln, zumal ſie gar nicht ſelten aus
dem Verkehr mit Gebildeten ſich hübſche Kenntniſſe und ge-
fällige Umgangsformen erworben haben. Deutſchen gegen-
über bedarf es überhaupt ſchwerlich jener Aufforderungen,
welche engliſche Schriftſteller ihren Landsleuten ſo oft wieder-
holen: ſeid freundlich mit Euren Führern, zeigt ihnen Ver-
trauen, Wohlwollen, denn Ihr werdet den Vortheil davon
haben. — In Tirol und Salzburg wird hoffentlich das
Führerweſen nun bald auch auf einen beſſeren Standpunkt
kommen. Vor Leuten, die ihre Führung um einen auffallend
wohlfeilen Preis anbieten, warnt Bädeker mit Recht. Wer
Führer zu ſchwierigen Erſteigungen braucht, bitte ein Alpenver-
einsmitglied um Auskunft, verlaſſe ſich nicht auf die Empfehlung
durch einen Wirth, auch nicht auf das äußere Abzeichen, die
über der Schulter getragene, vielfach geſchlungene Leine, denn
Mancher, der ſich dadurch das Anſehen zu geben trachtet, als
gehöre er in die Claſſe des „hochſteigenden Edelthiers“, zählt
ſeiner Natur nach zum Genus „gemeiner Packeſel“. Wo ich
die Wahl habe, ziehe ich Männer in reiferen Jahren vor,
denn ſie haben außer der längeren Erfahrung die Ruhe und
Beſonnenheit für ſich. Keineswegs blos jüngere Leute übri-
gens, ſondern auch einzelne ältere, ſonſt tüchtige Führer nei-
gen zur Eilfertigkeit. Für den Grund halte ich weniger Hab-
ſucht als Ehrgeiz. Sie wollen ihre Aufgabe nicht nur löſen,
ſondern auch elegant, d. h. raſch löſen, um Nebenbuhler aus-
zuſtechen. Hier und da habe ich noch einen andern Fehler an
Führern erſten Ranges bemerkt. Während ſie einem mittel-
mäßigen Bergſteiger gegenüber alle ihre Talente aufbieten,
bis die Gefahr vorüber iſt, pflegen ſie wohl einem Touriſten,
an dem ihr Kennerauge nach der erſten ernſthaften Probe,
welche ſie ſcharf beobachten, gute Befähigung und Uebung

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[82/0096] IV. Führer. in Augenblicken der Gefahr eine wahrhaft rührende Selbſt- verleugnung, bewundernswürdigen Scharfſinn, Spürtalent, Sichzuhelfenwiſſen, Muth und Unermüdlichkeit bethätigen. Solche Leute wird nicht leicht Jemand wie Dienſtboten ge- wöhnlichen Schlags behandeln, zumal ſie gar nicht ſelten aus dem Verkehr mit Gebildeten ſich hübſche Kenntniſſe und ge- fällige Umgangsformen erworben haben. Deutſchen gegen- über bedarf es überhaupt ſchwerlich jener Aufforderungen, welche engliſche Schriftſteller ihren Landsleuten ſo oft wieder- holen: ſeid freundlich mit Euren Führern, zeigt ihnen Ver- trauen, Wohlwollen, denn Ihr werdet den Vortheil davon haben. — In Tirol und Salzburg wird hoffentlich das Führerweſen nun bald auch auf einen beſſeren Standpunkt kommen. Vor Leuten, die ihre Führung um einen auffallend wohlfeilen Preis anbieten, warnt Bädeker mit Recht. Wer Führer zu ſchwierigen Erſteigungen braucht, bitte ein Alpenver- einsmitglied um Auskunft, verlaſſe ſich nicht auf die Empfehlung durch einen Wirth, auch nicht auf das äußere Abzeichen, die über der Schulter getragene, vielfach geſchlungene Leine, denn Mancher, der ſich dadurch das Anſehen zu geben trachtet, als gehöre er in die Claſſe des „hochſteigenden Edelthiers“, zählt ſeiner Natur nach zum Genus „gemeiner Packeſel“. Wo ich die Wahl habe, ziehe ich Männer in reiferen Jahren vor, denn ſie haben außer der längeren Erfahrung die Ruhe und Beſonnenheit für ſich. Keineswegs blos jüngere Leute übri- gens, ſondern auch einzelne ältere, ſonſt tüchtige Führer nei- gen zur Eilfertigkeit. Für den Grund halte ich weniger Hab- ſucht als Ehrgeiz. Sie wollen ihre Aufgabe nicht nur löſen, ſondern auch elegant, d. h. raſch löſen, um Nebenbuhler aus- zuſtechen. Hier und da habe ich noch einen andern Fehler an Führern erſten Ranges bemerkt. Während ſie einem mittel- mäßigen Bergſteiger gegenüber alle ihre Talente aufbieten, bis die Gefahr vorüber iſt, pflegen ſie wohl einem Touriſten, an dem ihr Kennerauge nach der erſten ernſthaften Probe, welche ſie ſcharf beobachten, gute Befähigung und Uebung

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/96>, abgerufen am 21.11.2024.