Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

Bild:
erste Seite
Ueber Frauenemancipation*).

Die meisten unserer Leser dürften aus diesen Blättern zum
ersten Mal erfahren, daß in den Vereinigten Staaten, und zwar
in ihren civilisirtesten und aufgeklärtesten Theilen, eine planmäßige
Agitation in Betreff einer neuen Frage entstanden ist, - einer
Frage, welche zwar für Denker nicht neu ist und für alle Jene,
welche die Grundsätze freier und volksthümlicher Staatseinrichtungen
nicht blos anerkannt, sondern in sich aufgenommen haben, welche
aber neu und selbst unerhört ist als Gegenstand öffentlicher Ver-
sammlungen und praktischer politischer Thätigkeit. Diese Frage ist
die Emancipation der Frauen, ihre gesetzliche und thatsächliche
Gleichstellung in allen politischen, bürgerlichen und socialen Rechten
mit den männlichen Mitgliedern des Gemeinwesens.

Es wird die Ueberraschung, mit welcher Viele diese Nachricht
vernehmen werden, noch erhöhen, wenn wir hinzufügen, daß diese
junge Bewegung nicht darin besteht, daß männliche Schriftsteller
und Redner für die Frauen eintreten, während Jene, zu deren
Gunsten die Agitation stattfindet, ihr mit Gleichgiltigkeit oder un-
verhohlener Feindseligkeit begegnen. Es ist vielmehr eine politische
Bewegung, welche praktische Ziele anstrebt und in einer Weise geführt
wird, welche die Absicht auszuharren erkennen läßt; und es ist
nicht nur eine Bewegung für sondern auch von Frauen. Jhre
erste öffentliche Bethätigung scheint eine Frauenversammlung ge-
wesen zu sein, die im Staate Ohio im Frühling 1850 stattfand.
Es ist uns kein Bericht über diese Zusammenkunft zu Gesichte ge-
kommen. Am 23. und 24. October des letzten Jahres wurde eine
Reihe von öffentlichen Versammlungen zu Worcester in Massachusetts
abgehalten unter dem Namen von "Versammlungen für die Rechte

*) Westminster Review, Juli 1851. [Der Verf. hat dem Wieder-
abdruck des Aufsatzes ein kurzes Vorwort vorausgeschickt, in dem er erklärt,
daß derselbe zum weitaus größten Theile das Werk seiner seither (1858)
verstorbenen, um ihrer hervorragenden Geistes- und Charaktereigenschaften
willen von ihm warm gepriesenen Gemahlin ist. Vgl. die Widmung zur
Schrift "Die Freiheit", Band I dieser Sammlung.]
Mill, ges. Werke. XII.
Ueber Frauenemancipation*).

Die meisten unserer Leser dürften aus diesen Blättern zum
ersten Mal erfahren, daß in den Vereinigten Staaten, und zwar
in ihren civilisirtesten und aufgeklärtesten Theilen, eine planmäßige
Agitation in Betreff einer neuen Frage entstanden ist, – einer
Frage, welche zwar für Denker nicht neu ist und für alle Jene,
welche die Grundsätze freier und volksthümlicher Staatseinrichtungen
nicht blos anerkannt, sondern in sich aufgenommen haben, welche
aber neu und selbst unerhört ist als Gegenstand öffentlicher Ver-
sammlungen und praktischer politischer Thätigkeit. Diese Frage ist
die Emancipation der Frauen, ihre gesetzliche und thatsächliche
Gleichstellung in allen politischen, bürgerlichen und socialen Rechten
mit den männlichen Mitgliedern des Gemeinwesens.

Es wird die Ueberraschung, mit welcher Viele diese Nachricht
vernehmen werden, noch erhöhen, wenn wir hinzufügen, daß diese
junge Bewegung nicht darin besteht, daß männliche Schriftsteller
und Redner für die Frauen eintreten, während Jene, zu deren
Gunsten die Agitation stattfindet, ihr mit Gleichgiltigkeit oder un-
verhohlener Feindseligkeit begegnen. Es ist vielmehr eine politische
Bewegung, welche praktische Ziele anstrebt und in einer Weise geführt
wird, welche die Absicht auszuharren erkennen läßt; und es ist
nicht nur eine Bewegung für sondern auch von Frauen. Jhre
erste öffentliche Bethätigung scheint eine Frauenversammlung ge-
wesen zu sein, die im Staate Ohio im Frühling 1850 stattfand.
Es ist uns kein Bericht über diese Zusammenkunft zu Gesichte ge-
kommen. Am 23. und 24. October des letzten Jahres wurde eine
Reihe von öffentlichen Versammlungen zu Worcester in Massachusetts
abgehalten unter dem Namen von „Versammlungen für die Rechte

*) Westminster Review, Juli 1851. [Der Verf. hat dem Wieder-
abdruck des Aufsatzes ein kurzes Vorwort vorausgeschickt, in dem er erklärt,
daß derselbe zum weitaus größten Theile das Werk seiner seither (1858)
verstorbenen, um ihrer hervorragenden Geistes- und Charaktereigenschaften
willen von ihm warm gepriesenen Gemahlin ist. Vgl. die Widmung zur
Schrift „Die Freiheit“, Band I dieser Sammlung.]
Mill, ges. Werke. XII.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0001" n="1"/>
      <div n="1">
        <head>Ueber Frauenemancipation<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Westminster Review</hi>, Juli 1851. [Der Verf. hat dem Wieder-<lb/>
abdruck des Aufsatzes ein kurzes Vorwort vorausgeschickt, in dem er erklärt,<lb/>
daß derselbe zum weitaus größten Theile das Werk seiner seither (1858)<lb/>
verstorbenen, um ihrer hervorragenden Geistes- und Charaktereigenschaften<lb/>
willen von ihm warm gepriesenen Gemahlin ist. Vgl. die Widmung zur<lb/>
Schrift &#x201E;Die Freiheit&#x201C;, Band <hi rendition="#aq">I</hi> dieser Sammlung.]</note>.</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>ie meisten unserer Leser dürften aus diesen Blättern zum<lb/>
ersten Mal erfahren, daß in den Vereinigten Staaten, und zwar<lb/>
in ihren civilisirtesten und aufgeklärtesten Theilen, eine planmäßige<lb/>
Agitation in Betreff einer neuen Frage entstanden ist, &#x2013; einer<lb/>
Frage, welche zwar für Denker nicht neu ist und für alle Jene,<lb/>
welche die Grundsätze freier und volksthümlicher Staatseinrichtungen<lb/>
nicht blos anerkannt, sondern in sich aufgenommen haben, welche<lb/>
aber neu und selbst unerhört ist als Gegenstand öffentlicher Ver-<lb/>
sammlungen und praktischer politischer Thätigkeit. Diese Frage ist<lb/>
die Emancipation der Frauen, ihre gesetzliche und thatsächliche<lb/>
Gleichstellung in allen politischen, bürgerlichen und socialen Rechten<lb/>
mit den männlichen Mitgliedern des Gemeinwesens.</p><lb/>
        <p>Es wird die Ueberraschung, mit welcher Viele diese Nachricht<lb/>
vernehmen werden, noch erhöhen, wenn wir hinzufügen, daß diese<lb/>
junge Bewegung nicht darin besteht, daß männliche Schriftsteller<lb/>
und Redner für die Frauen eintreten, während Jene, zu deren<lb/>
Gunsten die Agitation stattfindet, ihr mit Gleichgiltigkeit oder un-<lb/>
verhohlener Feindseligkeit begegnen. Es ist vielmehr eine politische<lb/>
Bewegung, welche praktische Ziele anstrebt und in einer Weise geführt<lb/>
wird, welche die Absicht auszuharren erkennen läßt; und es ist<lb/>
nicht nur eine Bewegung <hi rendition="#g">für</hi> sondern auch <hi rendition="#g">von</hi> Frauen. Jhre<lb/>
erste öffentliche Bethätigung scheint eine Frauenversammlung ge-<lb/>
wesen zu sein, die im Staate Ohio im Frühling 1850 stattfand.<lb/>
Es ist uns kein Bericht über diese Zusammenkunft zu Gesichte ge-<lb/>
kommen. Am 23. und 24. October des letzten Jahres wurde eine<lb/>
Reihe von öffentlichen Versammlungen zu Worcester in Massachusetts<lb/>
abgehalten unter dem Namen von &#x201E;Versammlungen für die Rechte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Mill, ges. Werke. <hi rendition="#aq">XII</hi>.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1/0001] Ueber Frauenemancipation *). Die meisten unserer Leser dürften aus diesen Blättern zum ersten Mal erfahren, daß in den Vereinigten Staaten, und zwar in ihren civilisirtesten und aufgeklärtesten Theilen, eine planmäßige Agitation in Betreff einer neuen Frage entstanden ist, – einer Frage, welche zwar für Denker nicht neu ist und für alle Jene, welche die Grundsätze freier und volksthümlicher Staatseinrichtungen nicht blos anerkannt, sondern in sich aufgenommen haben, welche aber neu und selbst unerhört ist als Gegenstand öffentlicher Ver- sammlungen und praktischer politischer Thätigkeit. Diese Frage ist die Emancipation der Frauen, ihre gesetzliche und thatsächliche Gleichstellung in allen politischen, bürgerlichen und socialen Rechten mit den männlichen Mitgliedern des Gemeinwesens. Es wird die Ueberraschung, mit welcher Viele diese Nachricht vernehmen werden, noch erhöhen, wenn wir hinzufügen, daß diese junge Bewegung nicht darin besteht, daß männliche Schriftsteller und Redner für die Frauen eintreten, während Jene, zu deren Gunsten die Agitation stattfindet, ihr mit Gleichgiltigkeit oder un- verhohlener Feindseligkeit begegnen. Es ist vielmehr eine politische Bewegung, welche praktische Ziele anstrebt und in einer Weise geführt wird, welche die Absicht auszuharren erkennen läßt; und es ist nicht nur eine Bewegung für sondern auch von Frauen. Jhre erste öffentliche Bethätigung scheint eine Frauenversammlung ge- wesen zu sein, die im Staate Ohio im Frühling 1850 stattfand. Es ist uns kein Bericht über diese Zusammenkunft zu Gesichte ge- kommen. Am 23. und 24. October des letzten Jahres wurde eine Reihe von öffentlichen Versammlungen zu Worcester in Massachusetts abgehalten unter dem Namen von „Versammlungen für die Rechte *) Westminster Review, Juli 1851. [Der Verf. hat dem Wieder- abdruck des Aufsatzes ein kurzes Vorwort vorausgeschickt, in dem er erklärt, daß derselbe zum weitaus größten Theile das Werk seiner seither (1858) verstorbenen, um ihrer hervorragenden Geistes- und Charaktereigenschaften willen von ihm warm gepriesenen Gemahlin ist. Vgl. die Widmung zur Schrift „Die Freiheit“, Band I dieser Sammlung.] Mill, ges. Werke. XII.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-07-09T17:21:46Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-07-09T17:21:46Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/1
Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/1>, abgerufen am 21.11.2024.